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Kultur: Wer hat Angst vor Zigeunern?

Eine

von Gregor Dotzauer

Wenn es nur um Argumente ginge, wäre der Streit um das Berliner Denkmal für die von den Nazis ermordeten Zigeuner längst entschieden. Doch Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, klammert sich an das Zitat von Altbundespräsident Roman Herzog, das bisher als Inschrift dienen sollte: „Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden.“ Und Kulturstaatsministerin Weiss hat momentan keine Chance, die von ihr, Natascha Winter, der Vorsitzenden der Sinti Allianz, sowie allen kulturpolitischen Fraktionssprechern favorisierte Variante durchzusetzen: „Wir gedenken aller Kinder, Frauen und Männer, die von den Nationalsozialisten in ihrem menschenverachtenden Rassenwahn als Zigeuner in Deutschland und Europa verfolgt und ermordet wurden. Wir trauern um alle Opfer dieses systematisch geplanten Völkermords.“

Der Dissens in der Sache liegt zum einen in Roses Angst, ohne ausdrücklichen Bezug zum Holocaust als Opfervolk zweiter Klasse dazustehen: ein absurder Gleichstellungswunsch. Zum anderen entzündet er sich an dem vermeintlich diskriminierenden Wort Zigeuner, dem sogar ein distanzierendes „als“ vorangestellt ist. Bei aller Sensibilität für seinen möglichen Missbrauch als Schimpfwort: Als Oberbegriff ist er nicht zu ersetzen. Denn die (nur im Deutschen übliche) Rede von Sinti und Roma schließt Gruppen wie die Manusch, die Kalé oder die Jenischen aus. Christina Weiss fürchtet zur geplanten Eröffnung des von Dani Karavan entworfenen Denkmals 2006 deshalb schon Gegendemonstranten – und deutet an, dass zur Not eben auf eine Inschrift verzichtet werden müsse. Entscheidend aber ist, dass die einschlägige Wissenschaft, wie sie in Giessen oder Leipzig getrieben wird, ohne Sorge um Misstöne Tsiganologie heißt und eine Marburger Gesellschaft „Antiziganismusforschung“ treibt – beides abgeleitet von der 1054 im Byzantinischen Reich erstmals erwähnten Bezeichnung „atsinganoi“. Die Tsiganologie denkt gar nicht daran, den über ein halbes Jahrtausend gewachsenen und kulturell fest verankerten Begriff Zigeuner aufzugeben. Das Zigeunerschnitzel kann man umbenennen, den „Zigeunerbaron“ nicht. Es wäre womöglich ein Akt neuen Selbstbewusstseins, sich die Selbstbezeichnung zurückzuerobern. Denn die Bedrohung der eigenen Kultur ist durch die Verschlechterung der Lebensbedingungen in Ungarn, Rumänien und der Slowakei besonders für Roma real – und Antitsiganismus an der Tagesordnung.

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