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Kultur: Wer hören will, muss fühlen

Von Heinrich Hecht Ein Zauberberg mysteriös geformter Dinge wartet auf der Bühne. Ein Mann tritt ein in das geheimnisvolle Laboratorium, setzt sich ins Dunkel, auf einer Leinwand erscheinen Bilder ohne Ton.

Von Heinrich Hecht

Ein Zauberberg mysteriös geformter Dinge wartet auf der Bühne. Ein Mann tritt ein in das geheimnisvolle Laboratorium, setzt sich ins Dunkel, auf einer Leinwand erscheinen Bilder ohne Ton. Im Raum wächst ein dichter Teppich warmer Trommeln, schwillt an, Stille. Vorne läuft ein Stummfilm, langsam begreift man das, beides gehört zusammen, die Bilder und die Geräte auf die man hauen kann. Der Mann sitzt und steht auf und sitzt wieder, er arbeitet ruhig am Film mit mehr als zwei Armen, er hat ungefähr fünf. Irgendwann vergisst man ihn und versteht, Stummfilm ist eine eigene Kunstform.

Der Mann in Trance heißt Steven Garling und ist Trommler. Seit zehn Jahren hat Garling eine Aufgabe, er trommelt - im wahrsten Sinne des Wortes - für Stummfilme. Er frönt damit keiner uneigennützigen Schwärmerei, Garling verwirklicht sich selbst, als symphonischer Komponist. Der gewöhnliche Trommler ist Drummer. Er spielt in einer Band und hält den Rhythmus gerade. Drummer haben Gitarristen zu dienen und dürfen sich nie verzählen. Richtige Trommler sind selten. Man wird nur Trommler, wenn man den Rahmen verlässt und das Rhythmusinstrument melodisch zu behandeln weiß. Dann passt der Trommler in keine Band mehr, verdient kein Geld und muss sein ganzes Leben lang Jazz spielen, es sei denn, er wird Solist.

Steven Garling hatte noch nie eine Band. Der gebürtige Thüringer, der sich früher bescheiden als der „leiseste Trommler Berlins“ verkaufte, bemerkte schon als Schüler, dass Songstrukturen Widerholung bedeuten, und Wiederholungen findet er langweilig. „Nicht jeder ist prädestiniert, ein Popmusiker zu sein, auch die wenigsten, die sie spielen. Man kann ja Kunst machen, die jedem gefällt, mir aber liegt das nicht, das ist angeboren.“Also wurde er Einzelkämpfer. Solotrommler ist ein törichter Beruf im Musikbusiness, niemand kauft Platten mit Trommeln. Garling spielte in Berlin mit allem, was Rang und n hat, von Conny Bauer bis Steve Binetti und ist bis heute begehrter Gastmusiker. Sein größter Erfolg im Popgeschäft war 1993 eine Soloshow im Vorprogramm der Inchtabokatables. „Goldrausch“, die erste CD, ging 1995 unter, weil die EMI eine synthetische Boygroup unter demselben Namen in den Markt drückte. Zwischenzeitlich verdiente Garling mit Filmmusiken zu „Wege in die Nacht“ und „Sonnenallee“ seinen Lebensunterhalt. Heute dürfte er Deutschlands einziger Trommler sein, der Soloplatten verkauft. 1992 begleitete er - in den damals noch maroden Hackeschen Höfen - eine Charlie -Chaplin-Reihe. Aus drei geplanten Vorstellungen wurde ein Monat ausverkaufter Abende.

Stummfilme folgen ihren eigenen dramaturgischen Gesetzen. „Ich kenne heutzutage keinen Schauspieler, der so ehrlich spielen kann, wie die Stummfilmstars“, sagt Garling und meint damit auch sich selbst. Im Unterschied zu den Orchesterpartituren der existierenden Begleitmusiken, stellt Garling keine Stimmungen her, er setzt sich in den Film und schafft ein spontanes Einmalkunstwerk, unwiederholbar, wie jede gute Theateraufführung. Er sieht sich als „Diener der Schauspieler“ und hat ein szenisches Gespür entwickelt. Den Rücken zur Leinwand spürt er die Schnittfolge im Hell-Dunkelwechsel des Raumes und treibt den Film an. Das Heben einer Augenbraue kann bei ihm eine Gewitter sein, eine Schlacht nur ruhiges Paukenspiel.

Seit 1998 firmiert Garling als „Präsident“ des „Berliner Stummfilmfestivals“. Er holte die ersten chinesischen Stummfilme nach Berlin, erforschte die Anfänge der dänischen Filmindustrie und machte immer weniger Musik. In diesem Jahr hatte er genug vom Managerdasein und ließ das Festival ausfallen. „Pazifik“ ist nun eine doppelte Premiere. Erstmals spielt Garling mit großem Orchester, und erstmals werden zwei Stummfilme zusammen aufgeführt, deren Dreharbeiten Reiseabenteuer waren. „Nanook of the North“ (1922) , einer der ersten ethnographischen Stummfilme, wird zusammen mit Friedrich Wilhelm Murnaus „Tabu“ (1925) gezeigt. Der eine spielt im arktischen Eis, der andere in der Südsee. Entsprechend den Weiten des titelgebenden Ozeans versammelt Garling ein Weltorchester um sich, darunter Sängerin Angelika Baumbach San Pedro (Mexiko), Percussionist Sabiß da Costa ( Brasilien) und Pianist Daniel „Topo“ Gioia (Argentinien). Garling wird am Kulturforum mehr als drei Trommler an seiner Seite haben. Es wird laut werden. Und sehr fröhlich.

Steve Garling begleitet am Samstag am Kulturforum Potsdamer Platz die Stummfilme „Nanook“ und „Tabu“, Mätthaikirchstraße, 22 Uhr.

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