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Kultur: Wer in der Textilbranche Erfolg sucht, kommt an der Igedo nicht vorbei

Sie ist ganz oben. Hoch über den Gästen lehnt sie an der Balustrade, schüttelt die zottelige Mähne und lacht, wie eine, die Rampenlicht gewöhnt ist und die der Erfolg schon ein bisschen gesättigt hat.

Sie ist ganz oben. Hoch über den Gästen lehnt sie an der Balustrade, schüttelt die zottelige Mähne und lacht, wie eine, die Rampenlicht gewöhnt ist und die der Erfolg schon ein bisschen gesättigt hat. Tina Turner ist in Düsseldorf. Die Frau, die da im ersten Stock des Forums Nordrhein-Westfalen steht, stiehlt sogar dem Topmodel Tatjana Patitz die Schau. Tina Turner ist angereist, um den 50. Geburtstag der Modemesse Igedo zu feiern, bevor der Trubel losgeht: Bis zum Mittwoch sollen mehr als 50 000 Modemacher und Händler über das Düsseldorfer Messegelände geeilt sein, sollen zwischen Chiffon-Fetzen und Badeanzügen gewühlt haben, zwischen silbernen Sandalen und Leinen-Täschchen für den Sommer 2000. Denn jetzt entscheidet sich, was am Ende des Jahres in den Geschäften hängen wird.

Der Popstar blickt in die Menge. Dort unten drängen sich die weniger prominenten Gäste, ungefähr 800, bewaffnet mit einem Glas Sekt gegen die stickige Hitze. Von einem Podest erhebt Igedo-Chef Manfred Kronen seine Stimme, um ein paar Worte zu sagen über sein Werk und das seines Vaters Willy Kronen, der die Messe vor 50 Jahren zusammen mit 24 deutschen Modemachern gegründet hatte. Über jene Interessengemeinschaft Damenoberbekleidung - kurz Igedo - , die entstanden war, weil es für die Modemesse Durchreise im geteilten Berlin keine Zukunft mehr gab. Dass die Igedo heute die größte Modemesse der Welt ist, hat sie Kronen Junior zu verdanken.

Im Moment allerdings vermag niemand so richtig zuzuhören. Es ist sehr heiß, außerdem gibt es jede Menge zu schauen. "Wie sieht die denn aus?", fragt gerade die Frau in einem giftgrünen Kleid. Wen sie meint, ist unklar. Mehrere kämen in Frage. Ein junger Mann mit kahl geschorenen Haaren, ganz in Schwarz, regt sich darüber auf, dass "schon wieder nur die Turner" da ist. Er fände es gut, wenn mal Giorgio Armani in Düsseldorf vorbeischaute. Aber wer die großen Modemacher dieser Welt sehen will, fährt nach Paris oder Mailand. Auch Glitzer und Glamour sind in der Stadt am Rhein weniger gefragt. Hier geht es ums Geschäft. Und das lohnt. Schließlich geben die deutschen Kundinnen für Kleidung mehr aus als die modebewussten Französinnen und Italienerinnen zusammengenommen.

Wer in der deutschen Modebranche etwas ist oder werden will, lässt sich diese Versammlung der "Profashionals" nicht entgehen. Freilich, Geld braucht hier auch der Newcomer. Ein Stand kostet im Schnitt 25 000 Mark, die Modenschauen nicht mitgerechnet. Manchmal findet sich aber jemand, der ein bisschen Platz abgibt. So hat die Modemacherin Heike Schwiedessen vor elf Jahren begonnen, als sie von einem Bekannten für 1000 Mark vier Quadratmeter Fläche mietete. Damals war sie 42 Jahre alt, und ihre Freunde hatten sie für verrückt erklärt, weil sie sich in diesem Alter als Modemacherin probierte - mit Strickwaren aus dem eher provinziellen Freiburg auch noch. Aber der Erfolg hat ihr Recht gegeben. Ihr Strick setzt inzwischen selbst Trends. Röcke und Pullis der Marke "Ane Kennsen" verkaufen sich in ganz Deutschland, sogar in Mailand und Paris. Vor vier Wochen hat Schwiedessen den neunten Laden eröffnet, in Köln. Die Umsätze "schießen wie eine Rakete nach oben", erzählt die Modemacherin.

Sie ist stolz darauf, dass sie das ohne Hilfe geschafft hat. Wer welche braucht, wird es in Deutschland sowieso schwer haben: Modemacher unterstützt der Staat kaum, anders als in Frankreich oder England, wo die Werke der Designer als nationales Kulturgut betrachtet werden. Aber über dieses Anfangsstadium ist Schwiedessen längst hinaus. Heute war die Generalprobe zur Modenschau ihrer Strickwaren, morgen geht es los. Alles habe geklappt, sagt sie. Die Models hätten ihre Sachen nicht mehr einfach hinter der Bühne durcheinander geworfen. Ein bisschen nervös schaut Schwiedessen umher, während sie in kurzen Schlückchen an ihrem Glas Sekt nippt. Das mit dem Laufsteg sei noch nicht richtig, erklärt sie. Der sei ihr hier in Düsseldorf zu niedrig - in Paris gäbe es längst wieder hohe Laufstege.

Alles muss perfekt inszeniert sein in dieser Welt, in der Frauen fast alles haben - jedenfalls die Frauen, die sich Designermode leisten können. "Finden Sie mal eine über dreißig, die noch kein blaues Jackett hat", sagt Anton Lirsch, der Mann hinter der deutschen Edelmarke Toni Gard. Er jedenfalls hat seit langem keine getroffen. Seit über 20 Jahren ist Lirsch mit seiner Mode auf der Igedo. Er findet es etwas übertrieben, dass jetzt bei dieser glühenden Hitze schon wieder die Herbstsachen in den Schaufenstern zu sehen sind. Und alles sei schon dagewesen: der Glockenrock, der Minirock und der Schlauchrock. Und doch müsse immer etwas Neues in den Geschäften hängen, das zum Kaufen reizt. "Das ist die Kunst." Jetzt trägt man eine Art Joggingschuhe zum Anzug. Die "Streetwear" der Teenager hat sich in die Businessgarderobe der Älteren eingeschlichen. Modemacher Lirsch hat auch solche Turnschuhe. Sind das jetzt Edel-Treter von Jil Sander oder ist dies das preiswerte Imitat der Modehaus-Kette H & M? Die guten Ideen, sagt Lirsch, stammten von den Designern, nicht von Kaufhausketten. Das sei purer Kommerz. Klar, auch die Edeldesigner könnten nicht einfach "herumspinnen". Lirsch hat Glück, denn um das Geschäft muss er sich nicht mehr kümmern. Das macht seit dem vergangenen Jahr der Unternehmer Herbert Frommen. Und wer Frommen hinter sich hat, kann auf seine Kleider gleich noch das Label "Made it" aufnähen. "Made it" für geschafft. Schließlich war es Frommen, mit dem die Namen von Wolfgang Joop und Jil Sander zu Weltmarken geworden sind.

Davon können andere nur träumen. Auch der Düsseldorfer Designer Peter O. Mahler würde sich so etwas wünschen. "Bisher ist aber keiner in Sicht", hatte er am Telefon gesagt und gelacht. Darum kann er heute Abend nicht dabei sein, sondern muss sich um seine Modenschau kümmern, in der seine Kleider mit denen von zwölf anderen jungen Designern täglich über einen Laufsteg wandeln werden. Jetzt sitzt Mahler in seinem Geschäft im Düsseldorfer Zentrum und probt alles nochmal durch. Schließlich ist es ihm schon mal passiert, dass seine Models die Oberteile falsch gewickelt hatten. Das war schrecklich, denn auf die Wickeltechnik kommt es ihm an. Das ist seine Spezialität. Wenn da im entscheidenden Moment etwas schief geht, ist womöglich alles umsonst. Dann bleibt einem nichts anderes übrig, als für den nächsten Herbst zu zeichnen und nähen zu lassen in der Hoffnung, dass einer dich entdeckt und bestellt, damit dein Kleid neben dem von Chanel und von Armani hängt. Dann bist du oben. So einfach ist das. Und doch so schwer.

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