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Kultur: Wer lag in dieser Badewanne?

Von Ingo Bach Sie waren ein Volk der Verträge. In einer Welt, in der der größte Teil der Menschheit noch nicht einmal eine Schrift hervorgebracht hatte, schufen sich die Hethiter in Anatolien ein Reich und sicherten es mit einem umfangreichen System bilateraler Vereinbarungen ab.

Von Ingo Bach

Sie waren ein Volk der Verträge. In einer Welt, in der der größte Teil der Menschheit noch nicht einmal eine Schrift hervorgebracht hatte, schufen sich die Hethiter in Anatolien ein Reich und sicherten es mit einem umfangreichen System bilateraler Vereinbarungen ab. Nirgendwo sonst im Alten Orient des zweiten vorchristlichen Jahrtausends fanden die Archäologen so viele Verträge wie im Reich der Hethiter. Einer dieser Abmachungen gilt als erster Friedensvertrag der Menschheitsgeschichte überhaupt. Die mit Keilschrift übersäte Tonplatte hängt heute als eine stark vergrößerte Replik im UNO-Hauptquartier in New York. Der Vertrag grenzt die Interessensphären der beiden damaligen Supermächte im östlichen Mittelmeer – Ägypten und das Hethiterreich – gegeneinander ab und regelt deren militärische Zusammenarbeit.

Nicht immer war die hethitische Kultur so bekannt, dass sie es ins UN-Hauptquartier geschafft hätte. Erst seit knapp einem Jahrhundert wissen die Archäologen, mit welch einflussreichem Staat sie es in Anatolien zu tun haben. Viel zu lange versperrten die säulenumstandenen Tempel der Griechen und Römer den Blick auf diese viel frühere Kultur, von deren Bauten nur noch die Fundamente geblieben sind. Dabei war das Reich Hatti zu seiner Zeit eine Supermacht, die es mit dem anderen welthistorisch bedeutenden Staat Ägypten aufnehmen konnte – und das auch tat. In der größten Schlacht des zweiten Jahrtausends vor Christus trafen die Heere des sieggewohnten Pharao Ramses II. und des hethtischen Großkönigs Muwatalli II. 1275 v. Chr. bei Kadesch im heutigen Syrien aufeinander. 40 000 Mann sollen an der Auseinandersetzung beteiligt gewesen sein – am Abend des Schlachttages musste Ramses das Weite suchen. Auch wenn es seiner Propaganda anschließend gelang, die Niederlage in einen Sieg umzuklittern, den ihm die Archäologen noch viertausend Jahre später abkauften. Ramses hatte lernen müssen, dass man die Hethiter nicht mit Waffengewalt schlagen konnte. Also verbündete er sich mit ihnen. 18 Jahre nach dem blutigen Treffen besiegelten beide Herrscher den berühmten ersten Friedensvertrag.

Fragmente des Originalvertrages sind jetzt im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen, und mit ihnen 169 weitere Artefakte aus der Blütezeit des Hethiterreiches. Denn die Berliner Festspiel- GmbH ging das – vor allem finanzielle – Wagnis ein, die große Hethiter-Ausstellung aus der Bundeskunsthalle in Bonn, die bis zum 9. Juni dort vor allem Artefakte aus türkischen Museeen gezeigt hatte, nach Berlin zu holen. Im Gegenzug machte sich die „Griechische Klassik“ von Berlin aus auf den Weg an den Rhein. „Die Bonn-Berliner Kulturbrücke funktioniert“, sagte Wenzel Jacob, Direktor der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle anlässlich der Eröffnung der Hethiter-Schau im Gropius-Bau. Die Ausstellung ist mit der Bonner Präsentation identisch. Das Vorderasiatische Museum steuerte für die Berliner Version noch sieben wertvolle hethitische Schrifttafeln und einige Skulpturen bei – und ein umfangreiches Begleitprogramm. In Bonn zog die Ausstellung beachtliche 300 000 Besucher an, freilich im Doppelpack mit der Aufsehen erregenden Troja-Ausstellung.

Solch ein trojanisches Zugpferd hat die Berliner Schau nicht – würde sie aber gut gebrauchen können. Denn die Ausstellung, die gerade mal die Hälfte des oberen Stockwerks des Gropius-Baus füllt, ist nicht sehr besucher- sprich laienfreundlich. Hat man das Foto des Königstores der Hethtiter-Hauptstadt Hattusa durchschritten, dann empfängt einen zu Stein gewordene Vergangenheit: Stelen, Keilschrifttafeln und Skulpturen. Die Vitrinen sind gefüllt mit hervorragenden Keramikarbeiten der hethitischen Handwerker, deren kühn geschwungene Schnabelkannen in ihrem futuristischen Design noch heute Respekt abnötigen. Dazu Vitrinen mit Goldschmiedekunst und Werkzeugen – all dies in den Schaukästen sorgsam aus der Geschichte entrückt.

Das ist das Hauptmanko der Präsentation: Es fehlt an Möglichkeiten, sich dieser Epoche vor 4000 Jahren zu nähern, sie sinnlich erfahren zu können. Einzig die Fotos von Ausgrabungsstätten vermitteln Lokalkolorit. Doch Inszenierungen, wie sie die Museumspädagogik heutzutage gern für historische Ausstellungen nutzt, sind hier fast nicht zu finden. Wo sind die Rekonstruktionen, die den Alltag der Hethiter zeigen? Wo sind die Präsentationen der Fundstücke in ihrer Fundumgebung, vielleicht einem Grab oder rekonstruierten Tempel? Die Schau macht dem Besucher den Flug in die Vergangenheit nicht leicht: Er braucht schon viel Fantasie, um die Vitrinen mit Leben zu füllen. Und trotzdem lohnt sich der Besuch, denn einer ganzen Reihe von Exponaten gelingt es, für den aufmerksamen Blick Geschichten zu erzählen. Die großen irdenen Badewannen zum Beispiel. Die Frage, wie man diesen kleinen Topf wohl für ein Vollbad genutzt haben mag, verleiht den Schwung für den Flug in die Vergangenheit. Mit ein wenig mehr Museumspädagogik wäre es leichter gewesen.

„Die Hethiter – Das Volk der tausend Götter“, bis zum 29. September, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Mittwoch bis Montag 10 bis 20 Uhr, Dienstag geschlossen, Eintritt 6 Euro (erm. 4 Euro), Katalog 25 Euro

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