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Kultur: „Wer sagt, er lüge nie, der lügt“

Herr Schumacher, in Ihren Filmen kritisieren Sie die Nebenwirkungen der Zivilisation. Ich stelle sie zur Diskussion.

Herr Schumacher, in Ihren Filmen kritisieren Sie die Nebenwirkungen der Zivilisation.

Ich stelle sie zur Diskussion. Ich glaube nicht, dass man den Status quo überhaupt kritisieren kann. Man kann sich darüber lustig machen, ihn satirisch oder ironisch behandeln. In „Nicht auflegen“ mache ich mich über das PublicityGeschäft lustig, über dieses Lügen, um die Wahrheit zu verdecken. Colin Farrells Figur ist eine Übertreibung dieses Prinzips. Außerdem mache ich mich über die Moralisten lustig, die dich umbringen, wenn du nicht ihren Vorstellungen entsprichst.

Was hat Sie am Drehort Telefonzelle gereizt?

Die Telefonzelle ist gläserner Sarg, Beichtstuhl, Gefängnis – ein Ort größter Privatheit, der zum öffentlichen Ort wird. Vor nicht allzu langer Zeit begaben sich die meisten Menschen zum Telefonieren noch in eine akustisch abgeschirmte Zelle. Inzwischen geschieht alles öffentlich: Geschäfte, Beziehungskrisen, Familienangelegenheiten. Dabei beschweren wir uns über den Verlust der Privatsphäre.

Der Sniper deutet an, er könnte ein Vietnam-Veteran sein. Mit „Tigerland“ haben Sie selbst einen Vietnam-Film gedreht.

Unsere ganze Kultur wurde durch Vietnam traumatisiert. Der Irak-Krieg hat das wieder zu Bewusstsein gebracht. Viele Leute unterstützten die Truppen, egal, ob sie für den Krieg waren oder nicht. Denn eine der schlimmsten Folgen von Vietnam war, dass diejenigen, die von dort zurückkamen, sehr schlecht behandelt wurden. Sie wurden verantwortlich gemacht, obwohl viele von ihnen gegen ihren Willen eingezogen worden waren. Heutzutage meldet man sich freiwillig zur Army. Jetzt feiern die Städte ihre Heimkehrer und unterstützen sie. Ich finde das richtig: Auch wenn man gegen den Krieg ist, kann man nicht gegen die jungen Leute sein, die dort kämpfen.

Der Filmstart wurde verschoben ...

Sogar zwei Mal. Der Film sollte im Herbst 2001 herauskommen und wurde wegen des 11. Septembers verschoben. Aber dann war diese Sniper-Geschichte in Washington D.C..

Sie lassen den Sniper am Ende entkommen.

Wenn er dingfest gemacht worden wäre, hätte das geheißen, dass das Böse da draußen nicht mehr existiert. Und das in einem Land, in dem es 250 Millionen Handfeuerwaffen gibt und kein effizientes Waffengesetz ...

Idealisieren Sie im Film nicht die Ehe? Es gibt doch schlimmere Ehemänner als den Helden, der lediglich plant, seine Frau zu betrügen.  

Er ist ein durchschnittlicher Sünder. Ein rücksichtsloser Lügner, aber kein Mörder oder Pädophiler. Wäre er ein Monster, würde man nicht mit ihm fühlen. Es geht hier um Moral, und natürlich ist der Sniper als angeblicher Moralist der größte Heuchler. Er sagt: „Wenn du nicht nach meinen Moralvorstellungen lebst, bringe ich dich um.“ Wir lügen doch alle, um die Gefühle anderer nicht zu verletzen. Jeder der sagt, er lügt nicht, ist ein Lügner. Natürlich gibt es in persönlichen Beziehungen die Forderung, einander nicht zu belügen. Dennoch finde ich nicht, dass Lügen mit Erschießen bestraft werden sollte.

Im Showgeschäft ist es ohnehin gang und gäbe.

Und wenn große Firmen oder Politiker einen Fehler machen, brauchen sie einen Troubleshooter, der das in einen Erfolg ummünzt. Denken Sie nur an den Irak-Krieg. Zuerst hieß es: „Wir führen Krieg wegen der Massenvernichtungswaffen“, Dann: „Wir wollen das Volk befreien“. Jeden Tag etwas anderes. Daran sind wir gewöhnt. Und deshalb sind wir zynisch geworden.

Das Gespräch führte Daniela Sannwald.

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