zum Hauptinhalt

Kultur: „Wer schützt mich und mein Liebchen?“

Heinrich von Kleists Berliner Aufenthalte und eine neu entdeckte Handschrift – eine historische Spurensuche zum 225. Geburtstag des Dichters

Heinrich von Kleist ist ein Dichter, nach dessen Spuren man eher selten in Berlin sucht. Dabei war er mit dieser Stadt gewissermaßen bis in den Tod verbunden. Trotz weitschweifenden Reisen haben die Wege Kleists, dessen Geburtstag sich am Freitag zum 225. Mal jährte, immer wieder nach Berlin geführt.

Im August 1800 fand sich der soeben auf eigenen Wunsch aus dem Garderegiment des Königs ausgeschiedene Leutnant in Berlin ein, wo er Verwaltungsbeamter zu werden hoffte. Seine Gedanken bei der Einfahrt in die Stadt hielt er in einem Brief an seine Braut Wilhelmine von Zenge fest: „Wo mag wohl das liebe Dach liegen, das einst mich und mein Liebchen schützen wird? hier an jener stolzen Kolonnade? dort in jenem versteckten Winkel?"

Die Kolonnaden sind vermutlich die Königskolonnaden an dem Platz, der heute seinen Namen trägt: Der Kleistpark in Schöneberg. In Berlin blieb Kleist damals nicht lange, seine tatsächliche Tätigkeit liegt bis heute im Dunkeln. In Briefen machte er ein Geheimnis daraus und bat selbst seine Schwester um Verschwiegenheit. Immerhin plante er eine ominöse Reise nach Würzburg, wo er den Mutmaßungen seiner Biographen zufolge entweder Wirtschaftsspionage betrieb oder sich wegen einer Geschlechtskrankheit behandeln ließ. Jene ominöse Reise war auch der Beginn einer rastlosen Reisewut, die ihn immer wieder nach Berlin zurückführte. Die Aufzeichnungen seiner Eindrücke von unterwegs gelten als Beginn seines literarischen Schaffens, gleichzeitig zeichnet sich darin bereits die innere wie äußere Unruhe ab, die das abenteuerliche Leben Kleists nachdrücklich prägen wird.

Um 1804 wohnte Kleist in der Spandauer Straße am Rathaus, dem Vorgängerbau des heutigen Roten Rathauses. Eine später aufgezeichnete Anekdote über das Läuten der verschiedenen Berliner Kirchen, zeugt davon. Deren Glocken klangen in den Ohren eines Durstigen, als würden die Namen diverser Alkoholika gesungen.

Diese Betrachtung findet sich in einer Ausgabe der „Berliner Abendblätter" von 1810, der wohl wichtigsten Verbindung Kleists mit Berlin. Die von ihm begründeten „Abendblätter“ waren die erste Tageszeitung der preußischen Hauptstadt. Obwohl aus der Tradition der fliegenden Blätter stammend, verband die Zeitung aufklärerisch-nationalpädagogische Agitation mit Unterhaltung, literarischen Miniaturen und anspruchsvollen Essays zur Ästhetik, und gilt damit bis heute als ein selten erreichtes Vorbild der modernen Publizistik. Die Texte nahmen auf einander Bezug, durften sich aber gegenseitig ergänzen oder sogar widersprechen. Unter dem Druck von Zensur und Geldnot verloren die „Abendblätter" bald an Einfluss und mussten im März 1811 schließlich eingestellt werden. Seit seiner Zeit als Publizist bis zu seinem Selbstmord hielt Kleist in der Mauerstraße 53 eine Wohnung.

Heute steht das Haus nicht mehr, doch erinnern Reliefs von Georg Kolbe an den letzten Wohnsitz des Dramatikers. Hier, im heutigen Amtssitz des Bundesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen, durfte man am Donnerstag eine kleine Sensation erwarten: Die Präsentation einer Handschrift aus Kleistens Feder, für die das Frankfurter Museum im vergangenen Herbst den Zuschlag erhalten hatte. Das Auktionshaus Stargardt hatte das vergilbte Stück Papier angeboten, der Hammer war bei einem Gebot von rund 70 000 Mark gefallen (Vgl. Tagesspiegel vom 16.10.).

In einem kargen Vortragssaal in der Mauerstraße bemühten sich nun die Experten um eine Deutung jenes neu entdeckten Zettels, und es war ein launiger Regieeinfall, mit Günter Blamberger und Jochen Golz ausgerechnet die Präsidenten der deutschen Kleist- und der Goethegesellschaft zusammenzuführen. Beide fühlten sich denn auch gleich ermutigt, in die Fußstapfen der großen toten Deutschen zu treten, und den zweihundertjährigen Streit zwischen Goethe und Kleist wieder aufzunehmen. Und während man darüber aneinander geriet, ob Goethe nun den jungen Theaterautor Kleist absichtlich habe auflaufen lassen und von Kleists Drama „Penthesilea" je mehr als nur den Klappentext gelesen habe, leuchtete über alledem die neu erworbene Handschrift wie ein Menetel gewordenes Dia an der Wand: „Unter allen Zweigen ist Ruh,/ In allen Wipfeln hörest du/Keinen Laut./ Die Vögelein schlafen im Walde,/ Warte nur, balde/ Schläfest Du auch."

Das Kuriose dieser Abschrift liegt darin, dass Kleist, der selber kein begnadeter Lyriker war, eines der bekanntesten Goethe-Gedichte umgeschrieben hat. So sind bei Goethe die „Wipfel" noch „Gipfel", der „Laut" noch ein „Hauch" und die Vögelein schliefen nicht, sondern sie schwiegen nur. Hatte Kleist hier Goethe persiflieren wollen? Oder wollte er ihn, wie später Karl Kraus, verbessern? Fest steht bisher einzig, dass die Abwandlung gründlich misslang. Darüber zumindet herrschte selbst zwischen Goethe- und Kleist-Forschern Einigkeit. Als Germanist, so räumte sogar Günter Blamberger von der Kleist-Gesellschaft freimütig ein, hätte ihn ein solches Gedicht kaum interessiert, wenn es denn nicht zufällig von Kleist stammen würde. Wann Kleist diese Zeilen schrieb und in welcher Absicht, darüber dürfen nun die Experten streiten. Momentan sieht es eher danach aus, als hätte man es hier mit einer literaturhistorischen Fußnote zu tun - allerdings mit einer ziemlich teuren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false