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Kultur: Wer sich einsperrt, sperrt sich aus

Nein, eine Mauer haben sie nicht, da draußen in Hislihisar, aber Stacheldraht - 1867 Rollen, um genau zu sein. Die hat der Zollbeamte Mehti (Kemal Sunal) in sein Heimatdorf mitgebracht, damit die bislang nur gedachte Linie zwischen der Türkei und Syrien genau das wird, was die beiden Staaten jetzt ihren Bauerbürgern einzubläuen trachten: eine Grenze.

Nein, eine Mauer haben sie nicht, da draußen in Hislihisar, aber Stacheldraht - 1867 Rollen, um genau zu sein. Die hat der Zollbeamte Mehti (Kemal Sunal) in sein Heimatdorf mitgebracht, damit die bislang nur gedachte Linie zwischen der Türkei und Syrien genau das wird, was die beiden Staaten jetzt ihren Bauerbürgern einzubläuen trachten: eine Grenze. Und die geht, im Jahre 1948, plötzlich sichtbar durchs Dorf. Achtung, Schießbefehl! Und: Ohne Pass keine Einreise! Nur, was ist das eigentlich, ein Pass? Das muss auch Mehti noch lernen. - Viel zu lernen gibt es in der menschlich-allzumenschlichen Kino-Komödie "Propaganda", vieles, das man eigentlich schon weiß, aber der Mensch ist ja so vergesslich. Zum Beispiel, dass der Staat etwas zutiefst Äußeres ist, das man überlisten sollte hin und wieder (beim Tee draußen vorm Dorf, beiderseits des Stacheldrahts). Dass wer aussperrt, sich selbst einsperrt (was Mehti selbst am Komischsten und Schmerzlichsten widerfährt). Und dass Lachen die beste Medizin ist, sowieso (gleich nach dem Weinen). Ganz auf Mehti und seinen geradezu nathanweisen Widersacher Rahim (Metin Akpinar), den nun jenseits der Grenze lebenden Arzt, ist dieser grundsympathische, mitunter ein wenig zu langatmig und weitwinklig geratene Film zugeschnitten, natürlich Richtung Happyend. Denn was taugt eine menschliche Gemeinschaft ohne Arzt, Lehrerin und Hure, "alle diese wichtigen Leute", die plötzlich auf der falschen Seite leben? Wozu eine Grenze, die Familien und Verliebte trennt? - Mit 18 Kopien, deutsch untertitelt, bringt Warner Bros. den Blockbuster von Sinan Cetin jetzt ins Kino: Türkische Zuschauer mögen sich an den Kurdenkrieg gemahnt fühlen, wenn es heißt, dass gute Türken nicht auf Landsleute schießen, den Deutschen bleibt der modisch-nostalgische Schauder an Zeiten, als das Land noch sichtbar geteilt und alles so klar war. "Propaganda" hat übrigens, so teilt der Verleih mit, in der Türkei zum Start mehr Geld als "Titanic" eingespielt. Hatten wir nicht Ähnliches schon aus Russland, Polen und - vielleicht - Indien vernommen? Irgendwie tröstlich: Es gibt noch Länder auf der Welt, die sind ganz, ganz fern von Hollywood. Zumindest eine Kino-Startwoche lang.

jal

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