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Kultur: Wer spricht, weint nicht

Tadeusz Rózewicz, der Grandseigneur der polnischen Gegenwartsliteratur, besucht Berlin. Ein Gespräch über seine Rolle in der Literaturwelt, über den Tod des Theaters und das Hotel Adlon

Das Gespräch nimmt eine abrupte Wendung. Noch Sekundenbruchteile zuvor lächelte Tadeusz Rózewicz. Doch nun zeigt er sein wahres Gesicht: „Das Leben ist nichts wert. Am besten sterben Sie sofort. Warten Sie nicht. Springen Sie: Dritter Stock. Das dürfte reichen.“ Wer so spricht, der meint das nicht ernst. Nein, erzählt er nach dieser kleinen Einlage lachend, vielen Gesprächspartnern habe er es nicht leicht gemacht: sich Interviews radikal verweigert und bockig geschwiegen. „Ich rieche es sofort“ – und er zeigt grinsend auf seine alte Nase – „wenn jemand Übles im Schilde führt.“ Wer den Geruchstest überstanden hat, braucht keine Angst mehr zu haben.

Der 83-Jährige weiß, dass er im polnischen Medienrummel längst zu einem schillernden Kunstobjekt geworden ist. Zu einem „Puzzle der Fremdbestimmung“, wie er sagt. Seine Teile sind nicht nur in Polen bekannt: Da ist zum einen Rózewicz, der Partisanenkämpfer: 1943 kämpft er im polnischen Widerstand der Untergrundarmee gegen Nazi-Deutschland. Er war ein Überlebender, der nicht mehr leben wollte, erinnert sich Rózewicz. Und der nur noch leben konnte, indem er das Dichten tötete – mit der Dichtung selbst. 1947 erscheint sein Gedichtband „Unruhe“, der seinen Weltruhm begründete. „Ich bin vierundzwanzig“, heißt es darin, „unterwegs zur schlachtbank / bin ich davongekommen. // Ich suche einen lehrer und meister / der mir wiedergeben möge / gesichtssinn gehör und sprache / der aufs neue benennt / dinge und begriffe“. Eine „nackte Poesie“ war dies; eine „Antipoesie“, die sich gegen jeglichen Sprachschmuck richtete.

Die Rezeption seiner Texte war in Ost- und Westdeutschland immens. Im Osten passte seine Lyrik zur zeitgenössischen Verbannung expressionistischer Traditionen, im Westen war es die Gruppe 47, die er mit seiner kargen Sprache begeisterte. „Was wurde nicht alles über mich geredet – damals“, amüsiert sich Rózewicz, „ich sei der Nihilist, der Atheist, der Pessimist. Aber dabei war ich doch die Hebamme der Literatur.“ Plötzlich wedelt er mit einem jüngst erschienenen Artikel von Robert Menasse, der darin über den Tod des Gegenwartstheaters räsoniert. Dieser Autor sei ein Totengräber, sagt Rózewicz. „Aber das reicht nicht.“ Er ist in Berlin, um im „Teatr am Salzufer“ sein Stück „Weiße Ehe“ vorzustellen, das dort Premiere hat (wieder im November).

Er war ein Wanderer zwischen den Welten, in Ost und West gleichermaßen beheimatet. „Für mich“, sagt Rózewicz „hat es ein geteiltes Deutschland nie gegeben.“ Doch wie mag es gewesen sein, als der Dichter, der noch wenige Jahre zuvor mit der Waffe im Anschlag für Polen kämpfte, nach dem Krieg deutschen Boden betrat? Was ging in dem Mann vor, der im Widerstandskampf seinen Bruder verlor; der als Überlebender nur noch lebensmüde dichtete; und der doch bereits in den Fünfzigerjahren mehrere Male die Weichsel überquerte? Die Antwort fällt knapp aus: „Es war interessant.“ Denn im Partisanenkampf, da lernte man keine Menschen kennen, keine Familien. Und statt über das Schwierige, das Belastende des deutsch-polnischen Verhältnisses in jener oder heutiger Zeit zu sprechen, fällt sein Blick auf seine Beine, seine Füße, die in dicken Puschen stecken. Rózewicz, der sich immer wieder durch Kichern und Lachen unterbricht, streckt sie kurz in die Höhe – und erzählt eine Anekdote: „Ich musste 1956 in Ost-Berlin mit Schuhen im Bett schlafen, mit Mantel und mit Mütze.“ Nachts steckte er unter einer riesigen Decke, frierend, mit roter Nase. Die Kulturschergen der DDR hatten ihn im einstmaligen Nobel-Hotel Adlon, Unter den Linden, untergebracht. Es hatte bessere Zeiten gesehen, ohne Heizung schlief der gefeierte Dichter Polens in einem Ost-Berliner Eisschrank.

Rózewicz irritiert mit seiner einnehmenden Freundlichkeit, seiner Gelassenheit, seinem wachen, konzentrierten Blick, der sein Alter vergessen lässt. Wenn er lacht, dann ist er ein neugieriges, ein altes Kind. Und dabei war man gewarnt. Erst kürzlich wurde kolportiert, er wende einem beim Sprechen immer den Rücken zu. Mit einem empfindlichen Naserümpfen haben die polnischen Medien reagiert, als er zu keinem Statement über den Tod seines Dichterkollegen Czeslaw Milosz bereit war. Er brauche, um etwas Persönliches über Milosz zu schreiben, ein halbes Jahr, vielleicht ein ganzes.

„Vielleicht auch zehn Jahre“, präzisiert Rózewicz an diesem sonnigen Morgen in Berlin seine publizistische Verweigerung. Das messerscharfe Urteil, der zitierfähige Satz, das braucht Zeit. Schnelle statements sind seine Sache nicht. Eines der letzten Gedichte Rózewicz’ heißt „Ruhm“. Es handelt vom überreizten Literaturbetrieb: „Stets im oktober (an meinem geburtstag) / fragen die mich ob ich mich freue / daß ein anderer den nobelpreis bekam.“ Der polnische Dichter wurde in Stockholm früh gehandelt; früher als Grass, wie er anmerkt. Mit ihm war er befreundet, einstmals. Doch jetzt seien viele frühere Bekannte vom literarischen Geschäft derart eingespannt, das sie nur noch über ihre Sekretärinnen kommunizierten. Und so sucht er in Berlin die Toten auf: Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof schaut er sich das Grab von Heiner Müller an. Mit ihm ist er zwei Mal zusammengetroffen – zum literarischen Gespräch. Den Geruchstest scheint der Kettenraucher nicht überstanden zu haben. „Diese Zigarren...“, erinnert sich Rózewicz. Mehr mag er über Müller nicht sagen.

Es mag an der lakonischen Kürze derartiger Sätze liegen, am plötzlichen Schweigen, am immer wieder kehrenden Refrain des „darüber möchte ich nicht sprechen“, dass Rózewicz’ Werk – ohne Zweifel eines der düstersten Zeugnisse des Weltkriegstraumas in der polnischen Literatur – eng mit dem Bild seines Autors verschmolz. Doch der bitterste Literat Polens, er erscheint in Berlin als heiterer Grandseigneur: Schließlich könne man nicht weinen, sagt er, „wenn man spricht.“

Abends bereitet ihm die polnische Botschaft einen Empfang. Ruhm immerhin, wenn auch kein Literaturpreis. Er liest seine Gedichte: leise und präzise. Am Ende, als die große Fragerunde für die Besucher eingeläutet werden soll, wirft er einen schalkhaften Blick in die Runde: „Wir können diskutieren“, sagt er knapp, „aber warum?“ Mehr sagt er nicht.

Adam Soboczynski

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