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Kultur: Wer war Nadja, wer? - Marcus Braun zerwirft den Text

So etwa könnte es sein: Rosenbaum und Nadja befinden sich in einem Zug von Paris nach Berlin, in einem Abteil mit einem gewissen Stroheim. Zufällig berühren sich die Füße Nadjas und Stroheims.

So etwa könnte es sein: Rosenbaum und Nadja befinden sich in einem Zug von Paris nach Berlin, in einem Abteil mit einem gewissen Stroheim. Zufällig berühren sich die Füße Nadjas und Stroheims. Es folgt: Ein Eifersuchtstaumel Rosenbaums und ein Roman von Marcus Brauns. "Nadiana" erzählt, wie sich Rosenbaum in seine Eifersucht hineinsteigert, wie sein "Angstapparat" fieberhafte, Fantasien entwickelt: Warum ist Nadja, anstatt ihn zu begleiten, im Hotel geblieben? Kannten sich Nadja und Stroheim gar schon in Berlin? Rosenbaum imaginiert, und er weiß es. "Hatte ich Probleme? Das findet im Kopf statt. Nur im Kopf."

Assoziativ entwickelt sich Brauns Roman über Rosenbaums Wahn zu einem hermetischen Text, dessen Figuren sich selbst erfinden, austauschen, auslöschen. Braun errichtet einen abstrakten Textraum, der bis in die Mikrostruktur einzelner, von surrealistischen Vorbildern geprägter Sätze, nur noch sprachmusikalisch getragen wird: "Die Bühne ist im Gegensatz zum Film eine Hure des Augenblicks. Ich bin dein, wir sind dein, wer spricht so? Wir trinken Sekt, ich spekuliere auf deine kleine Handtasche, und wir tauchen an anderer Stelle wieder auf. Nadja, was heißt schon Handlung, und was hat Schnitzler darüber gesagt, was deine Strumpfhose anbelangt, sie war fürchterlich, glaub mir, außerdem sind die analytischen Ansätze Unfug, Orange oder Orange."

Auf semantischen Halt hofft der Leser vergebens. Selbst Stroheims Unfalltod wiederholt sich bei Rosenbaum. Wer hier was fantasiert, ist nicht nachvollziehbar. Ist alles ein Entwurf des Drehbuchautors Stroheim? Ist Nadja das Mädchen, das in einer der seltenen Emphase bewirkenden Szenen, in den Lastwagen steigt? "Plötzlich beginnt man an der Logik einer einfachen Aussage zu zweifeln, und dann ist nichts mehr zu retten, dann beginnt das Zucken der Augäpfel." Natürlich geht es Braun nicht um eine traditionell erzählte Geschichte. Plan und Methode des Autors enthüllt ansatzweise der junge Schauspieler Frederic, der "die Einheit von Raum, Zeit und Handlung" wieder herstellen will, indem er Passagen des Textes als Zitate aus der Literaturgeschichte dechiffriert, natürlich nur, um diese Verweise sofort als Falsifikate zu enthüllen. Vexierspiele und zahllose literarische Anspielungen und Verweise ermöglichen nur entsprechend qualifizierten und motivierten Lesern einen Zugang zu Brauns kryptischem Experiment, das sich krass vom derzeit propagierten Comeback des Erzählens abheben will. Eine auserlesene Gruppe kompetenter Literaturrätselfexe mag sich gut bedient fühlen. Der Rest der Leserwelt ist ausgeschlossen und zur Ratlosigkeit verdammt. Aber vielleicht sind deren konventionelle Rezeptionsgewohnheiten ja alles Ordnungen und Ordnungsvorstellungen, die der Welt nicht gerecht werden".Marcus Braun: Nadiana. Roman. Berlin Verlag, Berlin 2000. 173 Seiten, 29,80 Mark

Thomas Schaefer

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