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Kultur: Wer will Zikra hinrichten?

Nach dem 11. September hat in Teilen der westlichen Gesellschaften ein Nachdenken über eigene Werte und das Verhältnis zum Islam eingesetzt.

Nach dem 11. September hat in Teilen der westlichen Gesellschaften ein Nachdenken über eigene Werte und das Verhältnis zum Islam eingesetzt. Von dem gestiegenen Interesse an der anderen Religion und Kultur zeugt auch die jüngste Titelgeschichte des US-Magazins "Newsweek". In der internationalen Ausgabe vom 11. Februar ist Autor Kenneth L. Woodward den Gemeinsamkeiten von Bibel und Koran auf der Spur. In einem kenntnisreichen Artikel zeigt er über sechs Seiten auf, dass beide "heiligen" Bücher mehr Gemeinsamkeiten haben als man denkt. Auch kommt der Islam gut weg: Rot unterlegt wird als Zwischentitel hervorgehoben, dass der Koran nur sehr wenige, immer wieder zitierte Verse zum Heiligen Krieg enthält. Ungleich ausführlicher würden Akte der Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Mitleid von den Gläubigen gefordert.

Der Artikel sorgt in der islamischen Welt für Aufregung. Doch nicht sein Inhalt wird diskutiert, sondern seine Bebilderung. Unter anderem ist die Reproduktion einer Buchmalerei von 1583 zu sehen, auf welcher der Prophet Mohammed als Person dargestellt wird. Mit Turban, langem Bart und barfuß. Die Darstellung des Propheten wird im Islam als Götzenanbetung angesehen - eine der schwersten Sünden. Dennoch hatte sich zeitweise im Persischen Reich eine Kunstschule herausgebildet, die den Propheten abgebildet hat. Eine innermuslimische Debatte? Nicht nur. Jetzt hat die Al-Azhar-Universität in Kairo daran erinnert, dass Medien keine Abbildungen des Propheten reproduzieren dürften. Indonesien hat daraufhin den Verkauf der "Newsweek"-Ausgabe verboten, in Bangladesch wurden ausgelieferte Ausgaben von Regierungsangestellten konfisziert: Die abgebildete Zeichnung könne religiöse Gefühle von Muslimen verletzen.

Dies sind Fragen, mit denen sich die islamische Welt fünf Monate nach dem 11. September beschäftigt. In Jordanien wird die Zeitschrift weiter verkauft - wie die lokalen Zeitungen ausführlich meldeten; in dem kleinen Land werden etwa 1500 Exemplare in englischer, etwa 1200 Exemplare in arabischer Sprache verkauft. Auch der Leiter des Königlichen Instituts für Inter-religiöse Studien, Kamal Salibi, hat sich gleich am Erscheinungstag ein Exemplar besorgt. Der emeritierte Professor für Geschichte an der Amerikanischen Universität in Beirut bedauert, dass islamische Institutionen sich mit einer Bekräftigung des Bilderverbots beschäftigen, anstatt eine Debatte darüber zu beginnen, wo der Islam heute stehe. "Die Menschen in der islamischen Welt fragen sich, wer sie sind", erläutert der renommierte Wissenschaftler. Sie könnten ohne den Westen nicht leben, wollten aber ihre Traditionen erhalten, von denen einige inkompatibel mit der westlichen Moderne seien. Auf diese gemischten Gefühle wollten die Menschen eine Antwort. Doch die bekommen sie nicht. Dafür verantwortlich macht Salibi in erster Linie die Unsicherheit der islamischen Gesellschaften. Seit 150 Jahren habe die arabisch-muslimische Welt im Wettstreit mit dem Westen "immer den Kürzeren gezogen". Insbesondere der Palästina-Konflikt werde von weiten Teilen der islamischen Welt als Beweis dafür angesehen, dass der christliche Westen gegen den Islam sei. Derart in der Defensive klammere man sich krampfhaft an eigene Traditionen.

Ein weiteres Problem sieht der Gelehrte darin, dass der sunnitische Islam keine oberste Autorität kennt. Auch der Scheich der Al-Azhar-Universität, die in der sunnitischen Welt über einen gewissen informellen Einfluss verfügt, könne nur eine "Meinung" äußern. Jeder Muslim könne jederzeit widersprechen. Daher rühre eine große Verunsicherung, glaubt der christliche Salibi. "Jeder Muslim hat Angst vor einem anderen Muslim, weil der ihn des Abfalls von der Religion beschuldigen kann." So geschehen im Falle der ägyptischen Frauenrechtlerin Nawal as-Saadawi, deren Zwangsscheidung ein Islamist vor Gericht beantragt hatte. Sie wurde abgelehnt. Erfolgreich war ein anderer Eiferer im Falle des ägyptischen Islamwissenschaftlers Nasr Abu Zeid, der in die Niederlande emigrieren musste.

Jüngstes Beispiel: Ein saudischer Scheich forderte diese Woche die Hinrichtung der tunesischen Sängerin Zikra. Sie hatte in einem Interview über die Schwierigkeiten zu Beginn ihrer Karriere gesprochen und sie mit denen des Propheten Mohammed zu Beginn seiner Mission verglichen. Dieser hatte zunächst nicht das Gehör der Bürger Mekkas gefunden und war nach Medina "emigriert". Der Vergleich sei ein Akt der Apostasie, wird Scheich Ibrahim al-Khudairi, Mitglied des Obersten Islamischen Gerichtshofes in Riad, in der Tageszeitung "Al Hayat" zitiert. Ein ägyptischer Mufti sprang der bedrängten Sängerin bei und erklärte, die Frau habe nur ihre Probleme mit denen Mohammeds, nicht aber sich selbst mit dem Propheten verglichen. Die "Hilflosigkeit" angesichts willkürlicher Verleumdung führt nach Ansicht des Historikers Salibi dazu, dass viele Muslime schweigen und kontroverse Debatten über die Auslegung des Islam vermeiden. Gleichzeitig versucht die regierungsnahe Al-Azhar-Universität, mit konservativen Fatwas den Islamisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wo nur soll der Anstoß für eine Debatte in der islamischen Welt herkommen?

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