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Kultur: Wer zuletzt liebt

Grass verfilmen: Robert Glinski besteht mit „Unkenrufe“ die Herausforderung bravourös

„Die Polnisch-Deutsch-Litauische Friedhofsgesellschaft, bald PDLFG genannt, wurde am 2. November des Jahres 1989 zwar nicht gegründet, aber doch ausgerufen; noch fehlten als notwendiges Zubehör weitere Gründungsmitglieder, ein Gesellschaftervertrag, die Satzung und Geschäftsordnung, der Aufsichtsrat und – weil auf dieser Welt nichts umsonst ist – das Gründungskapital samt Kontonummer.“ Reichlich syntaktische Kröten dieser Art musste der polnische Regisseur Robert Glinski schlucken, um aus Günter Grass’ Erzählung „Unkenrufe“ ein Filmkunstwerk zu schaffen. Und nebenbei: eine mitreißende Liebesgeschichte.

Ein Vierteljahrhundert lang – seit Volker Schlöndorffs oscar-gekrönter „Blechtrommel“ (1979) – hat sich kein Regisseur an einen Grass-Stoff gewagt. Zu gern springt der Altmeister nach Froschmanier zwei Schritte vor und einen zurück – auch in dieser Verknüpfung einer westpreußischen Lebensgeschichte mit der deutsch-polnischen Historie der letzten fünfzig Jahre. In seiner Erzählung von 1992, die unter dem Eindruck des von Grass stets mit Warnungen begleiteten deutschen Einigungsprozesses steht, kommt die verzwickte Konstruktion hinzu: Ein Erzähler versucht Briefe, Fotos, Notizen und Tonbänder in eine Form zu bringen – Dokumente eines amourösen und wirtschaftlichen Abenteuers, die ihm sein Schulfreund Alexander Reschke schickt. Zudem mussten Dutzende von Zeitsprüngen in Reschkes Danziger Kindheit umgesetzt werden – mitten hinein in die dreißiger Jahre, als der Danziger Korridor wieder ans „Reich“ angeschlossen werden sollte.

Unvergessen Oskar Matzeraths kaschubische Großmutter, die in der „Blechtrommel“ am Kartoffelfeuer erzählt: Diese Funktion eines vorausdeutenden und warnenden Mediums übernimmt in „Unkenrufe“ ein metaphysisches Doppelwesen: eine echte Rotbauchunke im Verbund mit einem quasselnden Danziger Original. Es ist die Marketenderin Erna Brakup (Dorothea Walda): „Nech Pollacksche, nech Deitsche“, sagt sie, „Danzijerin!“

Die überzeitliche Unke, wie Butt und Rättin eine Zentralfigur in Grass’ Bestiarium, feiert fröhliche Auferstehung, indem sie Zufälle zu einer deutsch-polnischen Liebesgeschichte zusammenfügt. Die beginnt an Allerseelen 1989 auf dem Markt zu Gdansk: Der Bochumer Kunsthistoriker Alexander Reschke (eine Traumrolle für den gebürtigen Danziger Matthias Habich) kollidiert mit der einheimischen Restauratorin Aleksandra Piatkowska (Krystyna Janda). Ein turbulenter Genuss: hier der von Kindheitserinnerungen überwältigte Alexander, dort die resolute Aleksandra, die ihre antideutschen Vorurteile so schnell nicht aufgeben will. Ihr Job: Sie vergoldet einen mittelalterlichen Engel. Reschke wiederum sucht die erotisch gestaltete Grabplatte des Danziger Bürgermeisters Daniel Gralath – also trifft man sich auf dem Friedhof. Eros und Thanatos, Liebes- und Todestrieb grundieren Buch und Film von Anfang bis Ende.

Die Symmetrie der Biografien zweier Vertriebener habe ihn an Grass’ Erzählung besonders gereizt, sagt Robert Glinski. Denn Aleksandras Familie stammt aus Wilna, ihre Familie musste unter Stalin Litauen verlassen. So schmieden die Verliebten ihren Plan eines polnisch-deutsch-litauischen Versöhnungsfriedhofs. Doch das Lehrstück in „polnischem Anfängerkapitalismus“ entwickelt unter einem binationalen Aufsichtsrat (schön borniert: Mareike Carrière, Joachim Król und Udo Samel) bald erschreckendes Eigenleben: Profitdenken und revanchistisches Pathos werden passend untermalt vom Auftritt grau-beige gewandeter Rentnerchöre. Da wenden sich Aleksandra und Alexander doch lieber ihrer unverhofften späten Liebe zu.

Ihren frühherbstlichen Charme verdankt diese schwebende Tragikomödie – gelassene Heiterkeit prägt auch ihre satirischen Elemente – nicht zuletzt ihren Drehbuchautoren Pawel Huelle, Klaus Richter und Cezary Harasimowicz. Auch Grass’ Tochter Helene spielt mit, als Alexanders Tochter, die ihrem Vater das Glück von Herzen gönnt. Doch Vorsicht, da ist noch die Unke: Ein Happy End wäre ihr wesensfremd.

Babylon Mitte, Cinemaxx Potsdamer Platz und Filmkunst 66

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