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Ewige Rebellin.Isil Le Besco in "Camping Sauvage" (20059:

© Arsenal

Werkschau zu Isild Le Besco im Kino Arsenal: Mythos in Großaufnahme

Die französische Schauspielerin Isild le Besco wurde in Cannes, Locarno und anderswo reich gewürdigt, doch in Deutschland ist sie bislang nahezu unbekannt. Jetzt widmet ihr das Berliner Kino Arsenal eine Werkschau.

Sie könnte sich bequem zurücklehnen und auf weitere attraktive Rollen im französischen Film und Fernsehen warten. Sie könnte das Klischee der aparten Blondine herauskehren, das Klatschpresse und Kritik partout in ihr sehen wollen. Isild le Besco, Tochter einer algerisch-französischen Schauspielerin und eines bretonischen Vaters mit vietnamesischen Vorfahren, ist bestens vernetzt in den Clan-ähnlichen Zirkeln in Paris, die über Produktionen, Besetzungen und das Nadelöhr nach Cannes entscheiden. Aber da ist mehr: Die Schauspielerin, deren Geschwister ebenfalls Filme drehen, sucht nach eigenen Bildern für das Lebensgefühl der Millenniums-Kinder und der wahren dunklen Seite des bürgerlichen Comments. Sie wurde auf Festivals in Cannes, Locarno und anderswo reich gewürdigt, blieb in Deutschland bislang jedoch so gut wie unbekannt. Das Arsenal Kino widmet Isild le Besco als Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin nun eine Werkschau.

Mit noch nicht ganz 32 Jahren blickt sie auf ein halbes Leben vor der Kamera zurück. Seit ihrem achten Lebensjahr trat sie in mehr als dreißig Kino- und Fernsehfilmen auf, darunter fünf Filme von Benoît Jacquot, der seine Muse gern auf die Reise einer empfindsamen und schmerzhaften Education sentimentale schickt. Doch die 1982 in Paris geborene Schauspielerin ist dabei, sich seit 2003 in ihren eigenen Filmen, unterstützt von ihren Halbgeschwistern als Darstellern und ihrem Bruder Jowan le Besco als Kameramann, von dem Mythos anmutiger Natürlichkeit zu verabschieden. Raue, ungeschliffene Stücke sind entstanden, die vom Leben fern der Metropole, von abgekrachten Verhältnissen auf dem Land oder den anarchischen Gegenwelten wilder Kids erzählen.

Ihr Spiel steht für rätselhafte Undurchdringlichkeit

Ein Blick zurück: 1999 fiel die unnachahmliche Präsenz von Isild le Besco vor der Kamera in Emanuelle Bercots Kurzfilm „La Puce“ in Cannes zum ersten Mal auf. Da spielte die Vierzehnjährige ein Mädchen, das sich dem Gefühlstumult stellt, den das Begehren eines mehr als doppelt so alten Mannes in ihr auslöst. In „Sade“ (2000), einem schöngeistigen Porträt des Marquis de Sade, setzte Benoît auf die Aura unschuldiger Natürlichkeit. Mit zur Guillotine verdammten Adeligen während der französischen Revolution in einem Edelgefängnis interniert, lernt de Sade (Daniel Auteuil) die junge Emilie kennen, die sich dem radikalen Freigeist anzuschließen versucht, um angesichts des drohenden Endes ihr erstes, vielleicht einziges Mal zu erleben. Die Eloquenz des alerten Gesellschaftskritikers weckt Gefühle in ihr, die das ins Korsett der Konventionen gepresste Mädchen in winzigen Regungen ihres Gesichts spiegelt.

Seit ihren Filmen mit Benoît Jacquot sind Großaufnahmen das mythische Markenzeichen Isild le Bescos. Ihr Spiel steht für rätselhafte Undurchdringlichkeit, der Blick aus schmalen Augen und das minimale Zucken ihrer oft leicht geöffneten Lippen sind zur Projektionsfläche geworden, zum Rätselbild. In Jacquots „À tout de suite“ (2004) verkörperte sie diesen sublimierten Männertraum in der Rolle einer Tochter aus gutem Haus, die sich in einen marokkanischen Kleingangster verliebt und mit ihm und einem Komplizenpärchen flüchtet. Als sie in einem für die Untergetauchten gefährlichen Moment allein am Flughafen Athen zurückgelassen wird, fällt sie in ein lähmendes Trauma, eine tiefe Krise, aus der sie sich nur in kleinen Schritten befreien kann.

Mädchen, die aus bourgeoisen Verhältnissen ausbrechen, haben sie eine zeitlang fasziniert

Ewige Rebellin.Isil Le Besco in "Camping Sauvage" (20059:
Ewige Rebellin.Isil Le Besco in "Camping Sauvage" (20059:

© Arsenal

Auch in Cédric Kahns rabiater Gangsterballade „Roberto Succo“ (2001) erfährt Isild le Besco einen Schock. Mädchen, die aus öden bourgeoisen Elternhäusern ausbrechen, die um der ersten Liebe willen auf die schiefe Bahn geraten und an der Seite egomanischer Desperados mit sich selbst konfrontiert werden, schienen die Schauspielerin eine zeitlang zu faszinieren. Dann aber übernahm sie mehr und mehr Rollen, die weiter gingen und sich unmittelbarer auf die Seite der unangepassten, anstößigen, anarchischen Mädchen schlugen.

In „Camping sauvage“ (2005) provoziert sie als spätpubertierende Rebellin gegen die kleinbürgerliche Dumpfheit ihrer Eltern. Während des gemeinsamen Urlaubs auf einem Campingplatz trägt sie dick auf, zeigt sich in aufreizendem Outfit und beginnt unter den Augen der Eltern eine Liaison mit einem kauzigen älteren Camper, auf die nur der Ausbruch in ein wildes Roadmovie folgen kann. Noch heftiger und ungefälliger gibt sich ihre einsame Antiheldin in „Pas douce“ (2007), einem Film der Schweizer Regisseurin Jeanne Waltz. Da brodelt existenzielle Wut in Frédérique, die eigentlich als Krankenschwester auf fürsorgliches Verhalten festgeschrieben ist. Frédérique will sich umbringen, verletzt jedoch irrtümlich bei ihrem Versuch, sich zu töten, einen 14-jährigen, ebenso aggressiven Jungen. Als dieser in das Krankenhaus eingeliefert wird, in dem die Schwester Dienst tut, setzt ihr Opfer ihr so viel Widerstand entgegen, dass die Lebensmüde darüber neue Kraft gewinnt und endlich Zugang zu einem anderen Menschen findet.

Außenseiter, radikal Freiheitsuchende sind auch die Figuren, die Isild le Besco in ihren eigenen Filmen porträtiert. 2004 drehte sie „Demi-Tarif“, einen quasi-dokumentarischen Spielfilm über die Rumpffamilie dreier allein gelassener Kinder, moderne Wiedergänger der „schrecklichen Kinder“ von Jean Cocteau, die zwar noch zur Schule gehen, aber mehr und mehr in eine Parallelwelt anarchischer Umtriebe gleiten und dabei die Stadt als großen Abenteuerspielplatz erleben. Man könnte verblüfft zuschauen, was die Kinder, unter ihnen le Bescos zehnjähriger Halbbruder Kolia Litscher) anstellen, wäre da nicht der Vor- und Abspann des Films, der nichts außer milchig-trüben Unterwasseraufnahmen zeigt, ein Schweben ohne Ziel.

Freiheit, so das Lebensgefühl ihrer Filme, ist Isild le Besco mehr wert als der bequeme Vorschein von Glück. In „Charly“ (2007) büchst der pubertierende Nicolas (Kolia Litscher), der bei seinen Großeltern auf dem Land lebt, aus und gerät an eine Prostituierte, die ihn im Campingtrailer aufnimmt und ihrem strengen Sinn für die Kontrolle aller Alltagsrituale unterwirft. Nicolas, der frustrierte Schüler, hat Frank Wedekinds „Frühlingserwachen“ in der Tasche. Als die Verlorenen diesen Text zusammen lesen, finden sie für Momente zusammen.

Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, bis 31. Oktober

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