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Kultur: Werner Schneyder, Boxkommentator, Ex-Kabarettist und Schriftsteller

Werner Schneyder, bezeichnet sich selbst als "Universal-Dilettanten".1937 in Graz geboren, arbeitete Schneyder nach dem Studium in Wien als Werbetexter, bis er 1962 als Dramaturg nach Salzburg und Linz wechselte.

Werner Schneyder, bezeichnet sich selbst als "Universal-Dilettanten".1937 in Graz geboren, arbeitete Schneyder nach dem Studium in Wien als Werbetexter, bis er 1962 als Dramaturg nach Salzburg und Linz wechselte.Bekannt wurde er als Fernsehunterhalter, Gastmoderator des ZDF-Sportstudios und Chansonsänger.Seit Anfang der siebziger Jahre arbeitete er regelmäßig mit dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt zusammen.Er kommentierte olympische Boxwettkämpfe und steht nun für RTL am Ring.1995 hat sich Schneyder vom Kabarett verabschiedet.Seither ist er als Theater- und Operettenregisseur tätig.Vor kurzem veröffentlichte er das gemeinsam mit Hans Riehl geschriebene Buch "Ketzereien zur Zeitenwende" (Europa Verlag).Mit Werner Schneyder sprach Thomas Rathnow.

TAGESSPIEGEL: Sie sind - bei einem jeweils unterschiedlichen Publikum - als Kabarettist, Autor und Boxreporter berühmt.Nun löst die Rolle des Regisseurs die des aktiven Kabarettisten ab.

SCHNEYDER: Ja, das stimmt.Schreiber war ich immer.Jetzt möchte ich einmal im Jahr eine schöne Theaterregie machen.

TAGESSPIEGEL: In Meiningen haben Sie Schnitzlers "Das weite Land" inszeniert.Was interessiert Sie an diesem Stück?

SCHNEYDER: "Das weite Land" ist das beste mir bekannte Psychogramm von Erotik.Hinter dem "Weiten Land" steht ja Schnitzlers "Reigen"."Das weite Land" ist ein Reigen der Lüge, der Verstrickung und des Selbstbetrugs.Ein faszinierendes Thema.

TAGESSPIEGEL: Sie haben stets eine skeptische Distanz zur sogenannten Hochkultur gehalten.Auch als Regisseur haben Sie sich Stoffen und Genres zugewandt, die etwas verpönt sind.Was reizt Sie beispielsweise an der Operette?

SCHNEYDER: Ich bin als Regisseur ein Spät- und Quereinsteiger.Mich interessieren daher nur Sachen, bei denen ich der vorherrschenden Feuilleton-Meinung widersprechen kann.Ich bilde mir ein, nachweisen zu können, daß "Der Graf von Luxemburg" von Lehár eine zauberhafte Opera comique ist, wenn man sie richtig inszeniert.

TAGESSPIEGEL: Sie kritisieren am Feuilleton, an der Literatur- und Theaterkritik, daß es den Kontakt zum Publikum völlig verloren habe.Dieser Vorwurf wird häufig auch Theaterregisseuren gemacht.Was für ein Regisseur sind Sie?

SCHNEYDER: Ich bin als Regisseur ein Agent des Autors.Ich betrachte mich als sein Anwalt.Von meiner Zeit als Kabarettist bin ich es gewohnt, an Wirkungen zu denken.Ich versuche, auf der Bühne eine Wahrheit herzustellen, aber ich frage immer, ob diese Wahrheit vom Publikum auch als solche erkannt werden kann.Das öffentlich subventionierte Masturbationstheater, bei dem sich Regisseure, Dramaturgen und diskutierwütige Schauspieler über Monate Figuren erarbeiten, bei denen man allenfalls im Programmheft nachlesen kann, was gemeint ist, ist mir ein absolutes Greuel.

TAGESSPIEGEL: Kommen wir zur theatralischen Dimension des Sports.Im Profiboxen nimmt der inszenatorische Charakter der Kämpfe immer mehr zu, man denke nur an die Einmärsche der Kämpfer.Dennoch wird das Boxen ernst genommen und fasziniert viele Intellektuelle.Vergleicht man damit das Wrestling, müßte man doch sagen, das ist zivilisatorisch ein Fortschritt, alles bleibt in der Sphäre des Als-ob.Warum hat das keinerlei Ansehen?

SCHNEYDER: Wrestling ist ein Gewaltballett, da haben Sie recht.Doch es suggeriert jungen Menschen, daß Tritte, Würfe, Schleudergriffe vollkommen harmlos sind.Hier wird Brutalität simuliert.Die Kids, die das sehen, glauben, auch sie könnten derartige Dinge tun, ohne daß der andere stirbt.Wrestling wörtlich genommen ist aber letal.Das Boxen hat demgegenüber den Vorteil, daß die Schlagwirkung als solche erkennbar ist.Daß man beim Boxen ohnmächtig liegen bleiben kann und in die Ecke gezerrt werden muß, das sieht jeder.Insofern ist Boxen kein Theater.Das Theatralische am Boxen ist die atavistische Dramaturgie: die Urform des Konflikts, der Showdown.

TAGESSPIEGEL: Kritik von Gewalt steht im Zentrum Ihrer kabarettistischen und schriftstellerischen Arbeit.Erfahren Sie es da als Widerspruch, daß Sie zu den wichtigen Popularisierern des Profiboxens gehören? Sie legitimieren dadurch ja etwas, das in mancher Hinsicht mit Sport nicht mehr viel zu tun hat.

SCHNEYDER: Ich bestreite, daß ich ein Förderer des Profiboxens bin.Es gibt nicht wenige Leute im Boxgeschäft, die unter mir leiden und sagen, ich wäre zu kritisch und würde mich eben nicht hinreichend propagandistisch äußern.Ich kommentiere.Wer sagt, das Profiboxen verrate eine ursprüngliche Idee - die des Sports -, muß sich fragen lassen, für welchen Bereich unseres öffentlichen Leben das nicht gilt.Der Boxbetrieb schändet das Boxen jedoch nicht in dem Maße, wie etwa die "Drei Tenöre" Musik mißbrauchen.Es ist doch eine Frechheit, Arien aus "Turandot" oder "Tosca" zu einem bunten Abend zu verrühren.Das ist eine Pervertierung.Ich wehre mich dagegen, daß man dem Sport bzw.seinen Randerscheinungen das vorwirft, was in der gesamten Gesellschaft passiert.Am Sport ist es natürlich leicht ablesbar.Sie erwähnen den peinlichen Einmarsch der Boxer, aber haben Sie schon einmal Politiker auf Wahlkampfveranstaltungen beobachtet?

TAGESSPIEGEL: In Ihrem Buch "Ketzereien zur Zeitenwende" bezeichnen Sie das 20.Jahrhundert als das Jahrhundert des Massenmordens und prophezeien, daß das 21.Jahrhundert das der Relativierung dieser Verbrechen sein werde.Glauben Sie, daß ein Holocaust-Mahnmal, wie in Berlin geplant, der Relativierung entgegenwirken kann?

SCHNEYDER: Grundsätzlich mag ich keine Denkmäler.Ich finde, für Geschichte muß man sich schämen.Schämen ist aber keine Sache der Architektur, man kann sich nicht architektonisch schämen.Ich glaube auch, daß die ganze jahrelange Debatte zwischen Architekten und Künstlern und Designern und den Kulturreferenten und den Finanzreferenten und den Organisationen der Sache mehr schadet als das Denkmal in 1000 Jahren nützen könnte.

TAGESSPIEGEL: Sie schreiben auch, daß es zu einer Verschärfung von Verteilungskämpfen und zu einer neuen Klassengesellschaft kommen wird ...

SCHNEYDER: Ich habe schon als Kabarettist versucht, Szenarien zu entwerfen, natürlich negative, aber immer in dem Wunsch, widerlegt zu werden.Es ist ein schauerlicher Triumph, wenn ein Satiriker stolz darauf ist, daß er recht gehabt hat.Ich habe mich nie unter denen wohl gefühlt, die sich im Besitz der Heilslehre glaubten, ich habe immer das Gespräch mit Leuten von der anderen Seite gesucht.Ich kenne Kapitalisten, bin mit ihnen befreundet: Ich weiß, daß es auch in diesen Kreisen Menschen gibt, die sagen, wenn wir nicht teilen, dann schaffen wir eine revolutionäre Situation.Meine Befürchtung ist, daß nach dem Scheitern der linken Revolution bald eine rechte kommt.Vor nichts habe ich soviel Angst wie vor einer allmählichen Legitimierung rechter Haltungen.

TAGESSPIEGEL: Sie sind Jahrgang 1937.Den Großteil Ihres Lebens haben Sie in Zeiten außergewöhnlicher Stabilität verbracht mit wachsendem Wohlstand für nahezu alle.Werden es die nachkommenden Generationen schwerer haben?

SCHNEYDER: Das bahnt sich an.Wir haben jetzt bereits im Herzen Europas Aufmärsche von Arbeitslosen, die am Rande der Gewalttätigkeit stehen.Wir wissen doch, wie schnell die Straße ein System aushebeln kann.Wenn heute rechte Gewalttaten passieren, sagen die Gescheiten immer, "Das sind doch nur ein paar Idioten" oder "Mit acht Prozent Nazis muß man eben leben".Da fallen mir nun einmal die 20er und 30er Jahre ein.Die Verharmlosungen auch bezüglich der ökonomischen Situation sind heute die gleichen.Die Leute reden denselben lebensgefährlichen Blödsinn wie damals.

TAGESSPIEGEL: Sie glauben, Neonazis könnten politisch an Einfluß gewinnen?

SCHNEYDER: In dem Moment, in dem sich die neuen Nazis von der Geschichte befreien, wo sie sagen, Auschwitz interessiert uns nicht, uns geht es um die Zukunft Deutschlands, haben sie eine Chance.Wenn sie dann vielleicht noch beteuern, wir werden die Fehler unserer Väter nicht wiederholen, ja wir bedauern die Massenvernichtung, wird es in der gegenwärtigen Situation wirklich gefährlich.Daher ist es wichtig, daß eine sozioökonomische Beruhigung hergestellt wird.Wenn sich heute eine ungebildete, alleingelassene, arbeitslose Jugend in trostlosen Fußgängerzonen zusammenrottet, und zu ihnen kommt einer, der ihnen erklärt, warum es ihnen so schlecht geht, dann werden sie dem glauben.

TAGESSPIEGEL: Sie schreiben in Ihrem Buch: "In demokratischen Zeiten stillt das Management das Grundbedürfnis der Gesellschaft nach Faschismus." Was heißt das?

SCHNEYDER: Denken Sie an die berühmte Sportpalast-Rede von Goebbels, in der er fragte "Wollt ihr den totalen Krieg?".Diese Rede wird tagtäglich in Unternehmen vor Vertretern und Verkaufspersonal mit der Frage "Wollt ihr den totalen Verkauf?" erneut gehalten.Da findet sich genau der gleiche Tonfall.Da brüllen und kreischen die Menschen, wenn sie gefragt werden, ob sie im nächsten Jahr soundsoviel neue Computer in Oberfranken oder sonstwo verkaufen wollen.Da herrscht der gleiche Ton - als würde gesagt, wir werden doch Stalingrad nicht verlieren.Wenn sich in einer Gesellschaft auf einem ganz harmlosen Gebiet dieser Ton einfrißt, und keiner findet etwas dabei, dann bekomme ich Zukunftsangst.

THOMAS RATHNOW

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