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Natalia Liublina

© Uwe Steinert

West-Berliner Institutionen neu erfinden: Die Schmökerinsel

"Wolff’s Bücherei" in Berlin-Friedenau schließt, in den Räumen wird "Der Zauberberg" eröffnet. Die Geschichte einer literarischen Legende.

Wäre man Vater oder Mutter eines Buches, würde man es nur allzu gern in Natalia Liublinas Obhut geben. Von wem sonst hört man, wenn es um Bücher geht, Sätze wie „Jedes hat eine Chance verdient“ oder „Es gibt große und kleine, dicke und dünne, traurige und lustige, und ich bin gern von ihnen allen umgeben“. Nur wenn Liublina über den Ort spricht, an dem sie sich mit den Büchern einrichten will, wird sie ernster. Es kann nun vorkommen, dass sich eine Falte über ihrer Nase eingräbt, und man merkt: Natalia Liublina weiß, was sie will, und das ist diese Buchhandlung.

„Der Zauberberg“ soll sie heißen, Eröffnung ist am 23. April, und das auf literaturhistorisch bedeutendem Boden. Liublina ist die neue Eigentümerin der Räume in Berlin-Friedenau, die bislang „Wolff’s Bücherei“ beherbergten, und bei diesem Stichwort zeigt sich womöglich die Falte in Liublinas Gesicht. Liublina schätzte die Buchhandlung sehr, aber sie will nicht Erbin eines Vermächtnisses sein, sondern selbst etwas erschaffen. Auch wenn es Menschen in Friedenau gibt, die ihr sagen: Ohne den Namen Wolff ist das nichts, die sagen, das sei jetzt das Ende einer Ära.

Tatsächlich wiegt der Name „Wolff’s Bücherei“ in etwa so schwer wie ein „Who is who“ der deutschen Literatenszene der Sechziger- und Siebzigerjahre. Damals lebten die wichtigen Schriftsteller in Berlin-Friedenau, unter ihnen Uwe Johnson, bevor er nach Amerika ging. „An das Verlassen des Landes denken wir nicht gern“, schrieb er von dort aus seinem Freund Max Frisch. „Wenn wir zurückkehren, dann wegen des kleinen Viertels, in dem wir gelebt haben und in dem Sie es (…) versuchen wollen.“ Bald darauf zog Frisch in die Sarrazinstraße, und wie er nach einem Streit mit seiner Frau eines Nachts im Pyjama durch das Viertel irrte, hat er in „Montauk“ beschrieben. Ebenfalls in der Umgebung wohnten Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass und Christoph Meckel, und für etliche von ihnen war „Wolff’s Bücherei“ vertrauter Treffpunkt und Lesebühne.

Ihr Inhaber Andreas Wolff hatte 1929 zunächst eine Bücherei eröffnet, 1931 wandelte er sie in eine Buchhandlung um, der Name blieb. Noch heute finden sich im Keller die Leihbücher, darunter Schmonzetten aus den Zwanzigern mit Titeln wie „Der sterbende See“ oder „Das Schlafende Feuer“. Zu Nazizeiten verbarg Wolff im Keller dann verbotene Lektüre. Den Theaterkritiker Friedrich Luft versorgte er mit Klaus Manns „Mephisto“, als draußen die Hakenkreuzfahnen flatterten. Überhaupt, sagte Luft, sei es Wolff gewesen, der ihn in die „große, heilige Literatur“ einführte. Auch las der Buchhändler die Prosaversuche, die Luft selbst unternahm. Angetan sei Wolff nicht gewesen, sagte Luft. „Er hatte recht.“

Als nach dem Krieg Bücher samt und sonders Mangelware wurden, legte Andreas Wolff jedem Exemplar, das er verkaufte, einen Zettel bei: „Wenn Ihnen dieses Buch nicht zusagt (…), bringen Sie es mir bitte zurück. Es wäre schade, wenn bei Ihnen ein seltenes Buch ungelesen liegen bleiben würde.“ Sein Leben stand ganz im Zeichen des Buchs. Seine Tochter Katharina Wagenbach-Wolff erinnert sich, wie sie ihm manchmal an Sonntagen die Bücher abstauben half. 1948 ging er dann für einige Jahre nach Frankfurt, um seinen Freund Peter Suhrkamp beim Aufbau des Verlags zu helfen. Er war es auch, der Siegfried Unseld einstellte, zunächst nur zur Probe. 1963 gründete Wolff die Friedenauer Presse. Mit den feinen Drucken wollte er ein Zeichen gegen die billig produzierten Taschenbücher setzen.

Als Wolff 1972 starb, führten die Buchhändlerinnen Barbara Stieß und Helga Steinhilber das Geschäft in seinem Sinne weiter, doch irgendwann ging es bergab. Immer häufiger hatte „Wolff’s Bücherei“ geschlossen, und wer nichts Hochgeistiges, sondern nur einen Krimi zum Einschlafen suchte, zögerte ohnehin, hier anzuklopfen. Anhänger des Trivialromans wurden, so erzählt man sich, mitunter nicht sonderlich freundlich weggeschickt. Im vergangenen Jahr dann – die finanziellen Probleme waren enorm – beschloss Natalia Liublina, die Buchhandlung zu kaufen. Sie selbst wohnt ebenfalls in Friedenau und kannte „Wolff’s Bücherei“ gut. Den Bücherbestand hat die gelernte Literaturwissenschaftlerin übernommen, doch wird sie neben die alten, teils seltenen Prosa- und Lyrikbände neue Romane, Sachbücher und vor allem Kinderbücher in die dunklen Holzregale stellen, damit auch die jungen Familien des Viertels etwas zu lesen finden.

Bücher, sagt Liublina, sollten für alle da sein, und das klingt fast nach einer demokratischen Grundsatzentscheidung. Vielleicht, weil sie aus ihrer Heimat, der Ukraine, anderes kennt. Dort erreichten sie kulturelle Entwicklungen stets zeitverzögert, ein bisschen habe sie sich, sagt Liublina, stets wie eine von Tschechows „Drei Schwestern“ gefühlt, stets den Ruf „nach Moskau“ auf den Lippen, war sie abgeschlagen in der Provinz, bis sie 1994 nach Berlin emigrierte.

Und damit hat sie doch etwas gemeinsam mit Andreas Wolff. Seine Familie wanderte 1917 von Russland nach Berlin aus. Der Großvater Moritz Wolff hatte eine bekannte Buchhandlung in Sankt Petersburg besessen, Dostojewski war häufiger Gast und er selbst ein Förderer der russischen Literatur. „Mein Wunsch ist es, das ganze Land mit einer Riesenmenge Bücher einzudecken“, schrieb Wolff.

In Berlin-Friedenau, über ein Jahrhundert später, dekoriert Natalia Liublina dieser Tage das Schaufenster der Buchhandlung neu, zu sehen sind viele russische Romane. Es scheint, dass Vergangenheit und Zukunft sich doch ineinanderfügen.

„Der Zauberberg“ feiert am 23. 4. um 19 Uhr 30 Eröffnung in der Bundesallee 133.

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