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Kultur: West-Östliche Verschmelzungen

"So der Westen wie der Osten / geben Reines dir zu kosten." Mit diesen Zeilen aus dem "West-östlichen Diwan" legt das Konzerthaus am Wochenende eine neuerliche Goethe-Spur durch die Musikliteratur und folgt ihr bis ins 20.

"So der Westen wie der Osten / geben Reines dir zu kosten." Mit diesen Zeilen aus dem "West-östlichen Diwan" legt das Konzerthaus am Wochenende eine neuerliche Goethe-Spur durch die Musikliteratur und folgt ihr bis ins 20. Jahrhundert: eine exotische Reise, auch ein Eintauchen in das Ungeheuerliche. Franz Schrekers 1933 vollendetes Werk "Das Weib des Intaphernes" zieht den Zuhörer am Sonnabend in die düstere Welt von Lebensüberdruß, Machtmißbrauch und Lüsternheit am Hof des Perserkönigs Darius. Der, ein häßlicher Mann mit leerem Herzen, hat die Sippe des beneideten Intaphernes in den Kerker geworfen. Einzig die Frau des einstigen Jugendfreundes entkam und bittet nun um das Leben ihrer Lieben. Der grausame Darius, begierig auf die flehende Frau, besessen von der eigenen Kraft zu zerstören, will nur einem von ihnen das Leben schenken. Schreker wählte für diese emotionale tour de force, die in einem Meer von Flammen endet, die Form des Melodrams, die Rezitation des Textes. Der präzise, rhythmisch ausgefeilte Vortrag von Jörg Gudzuhn brachte die Stärken des Genres zum Leuchten: eine fast schon archaische Präsenz der Ballade und ein - von den besten Momenten der Filmmusik bekanntes - subtiles Andeuten und Nachschwingen von Spannung und musikalischen Psychogrammen. Das ursprünglich für großes Orchester komponierte Werk zeigte auch in der Kammerfassung morbide Wirkung durch die vielfarbige Spiel der Kammersymphonie Berlin unter Jürgen Bruns. Die nahm darauf mit Mahlers von chinesischer Lyrik inspiriertem "Lied von der Erde" ein weiteres sinfonisches Großwerk unter die kammermusikalische Lupe. Beeindruckend, wie die Musiker in diesem Abgesang auf das irdische Dasein mit immer wieder aufblühendem Atem auf die Schönheit der Erde zurückblicken. So gewinnt die mit schmetternder Schärfe auftrumpfende Tenorstimme Endrik Wottrichs im "Trinklied vom Jammer der Erde" eine schmerzliche Note, während der warme Alt Iris Vermillions beim "Abschied" sanft verlöscht: "Still ist mein Herz und harrt seiner Stunde." ULRICH AMLING

Goethes durchaus ambivalentes Verhältnis zum Judentum ist Anknüpfungspunkt für das Serapion-Ensemble am nächsten Abend. Mit melancholischem, manchmal scharf klagend ausbrechendem Klarinettenton kann Ib Hausmann schon in der "Rêverie orientale" von Alexander Glasunow eine Art "Stetl"-Atmosphäre erzeugen. Eher Chagall als Goethe beschwören auch die verschlungenen Melismen der knappen Genrebilder "From Jewish Life" von Ernest Bloch, von Stirling am Cello mit sonorer Lamento-Emphase erfüllt. Gewundert hätte man sich nicht, wären plötzlich Herr Zwilling und Frau Zuckermann in den Saal gekommen.

Wie ausgezeichnet das Ensemble um den Primarius des Salzburger Hagen-Quartetts aufeinander eingespielt ist, wie intensiv es sich diese Musik zum Anliegen macht, ist nicht nur in der akzentuierten, sich in duftigen Klang auflösenden "Ouvertüre über hebräische Themen" von Sergej Prokoffiew zu erleben. Wenn die aus Belgrad stammende Geigerin Stankovic "Kaddisch" von Maurice Ravel mit bezwingender Nachdenklichkeit zelebriert, liegt der ganze Schmerz der leidenden Völker des Ostens in ihrem weichen, später gebrochenen Ton. Lukas Hagens jugendfrische Schubert-Interpretation (Sonate A-Dur op. post.) nimmt sich plötzlich "westlich" fremd dagegen aus und formuliert vielleicht doch ein Ideal an Harmonie. Wie Ost und West zum Einklang gelangen, zeigt der in den USA lebende argentinische Jude Osvaldo Golijov (geb. 1960) in "The Dreams and Players of Isaak the Blind" für Klarinette und Streichquartett, wenn er die alten Klagen und tänzerischen Kapriolen in minimalistische Strukturen gießt. Und daß der fromme Großvater des Komponisten die Taschen immer voller Schrauben hatte, um die zusammenbrechende Welt zu reparieren, hört man in manchem Knirschgeräusch der Streicher auch noch.

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