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Rainald Grebe in "Westberlin".

© Gianmarco Bresadola

"Westberlin" von und mit Rainald Grebe: Jenseits von Rolf Eden

Im Inselreich der Freien und Verrückten: Rainald Grebe trägt mit seinem Stück „Westberlin“ an der Schaubühne Nachteulen nach Spree-Athen.

Die Schaubühne ist das westlichste Theater der Stadt, und da liegt es ja nahe, sich einmal mit der Geschichte und Mentalität dieses seltsamen Gebildes zu beschäftigen, das hier ohne Bindestrich geschrieben wird: „Westberlin“. Es machen viele jetzt, Filme, Ausstellungen, Bücher. West-Berlin ist wieder da, war nie weg.

„There’s no Bühne like Schaubühne“, sang das Grips Theater schon vor Jahrzehnten. Volker Ludwig und seine Truppe können das, sie sind von hier und haben Maßstäbe gesetzt. Rainald Grebe muss sich sein „Westberlin“ erarbeiten, und man merkt es gleich: Wer zu spät kommt, den bestraft das Theater. Grebe hat intensiv über dieses Inselreich der Freien und Verrückten recherchiert, und eine Art Revue für Neu-Berliner gezimmert. Heraus- oder besser hereingekommen sind: Nachteulen nach Spree-Athen.

So war's halt damals

In einer großen Kneipe mit kleiner Drehbühne lädt Grebe zur Geisterbeschwörung. Sieben Schauspieler, professionelle Akteure, und sieben – etwas ältere – Eingeborene gestalten den gemischten Geschichtsunterricht. Es geht los mit einem feinen Vortrag über die Currywurst, dann Luftbrücken-Stories, Mauerbau – nicht schon wieder! Würde man das als Schülertheater bezeichnen, wäre es eine Beleidigung. Für die Schüler. Und es ist doch über weite Strecken und soll auch sein: Laientheater.

Die echten West-Berliner erzählen wie im Fernsehen aus ihren Biografien. Der schwule Typ, der Schöneberger Sängerknabe war und Stricher am Bahnhof Zoo und bei Romy Haag im Club auftrat. Die Frau, die bei der SEW, dem West-Ableger der SED, an der Weltrevolution mitgewirkt hat und von den Genossen weggemobbt wurde. Die Besetzerin aus der Pfuelstraße mit der kräftigen Rock-Stimme. Die Frau, die bei den Scientologen und den Buddhisten war und auch sonst überall und heute als Therapeutin arbeitet. So war’s halt damals. Man hört sich die Sachen an und ist gerührt, ertappt, gelangweilt, was soll’s?

Eine biedere und anstrengende Produktion

Christiane F. läuft durchs Bild, Juhnke und Pfitze dürfen nicht fehlen, Reagan, Ernst Reuter und JFK dröhnen vom Band. Man singt David Bowies „Heroes“ auf Deutsch, und Rainald Grebe massakriert den „Passenger“ von Iggy Pop. Grebe hat den Kessel Buntes geschrieben und inszeniert und die besten Momente für sich: wenn er als Wolfgang Neuss auftritt oder als Rolf Eden zu einem Song von Interzone (wer kennt die Band noch?) mit Evelyn, der über achtzigjährigen West-Berlinerin eng tanzt. Da blitzt die Morbidität jener Jahre auf, der Schmerz und der Mythos. Schön auch Robert Beyers Hommage an die gute alte Helga Goetze, die einst an der Gedächtniskirche stand und frohlockte: „Ficken ist Ökologie!“

Und dann wagt sich Grebe an das Allerheiligste: die alte Schaubühne vom Halleschen Ufer, das West-Berliner Welttheater. Auf der kleinen Kneipenbühne stehen Birkenstämme und weiß gekleidete Leute, die bedeutsam schwadronieren über Leben und Kunst. Reminiszenz an die „Sommergäste“ in der Regie von Peter Stein, anno 1974, respektvolle Parodie.

Der Duft frisch geschlagener Birken, die irren Theatergeschichten, die Selbstverliebtheit der West-Berliner, die sich im vorrevolutionären Russland der Schaubühne spiegelten: Rainald Grebes Abend fängt richtig an, wenn er endlich bald zu Ende ist. Vielleicht aber steckt in der biederen, braven, angestrengten „Westberlin“-Produktion eine geheime Botschaft. Vielleicht will Rainald Grebe uns neuen deutschen Wellenreitern, Wehrdienstverweigerern, Spontis und Tunix’ sagen: War wohl nicht so wild damals, oder?

Wieder am 12. Und 13. Oktober und vom 23. bis 24. November

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