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Zbanic

© Mike Wolff

Wettbewerb: "In meiner Stadt lasse ich mir nichts verbieten"

Regisseurin Jasmila Zbanic über Burkas in Bosnien und ihren neuen Film "Na Putu".

Frau Zbanic, als Sie 2006 den Goldenen Bären für „Grbavica – Esmas Geheimnis“ bekamen, sagten Sie in Ihrer Rede: „Ich hoffe, der Bär ist nicht enttäuscht, wenn er Bosnien sieht.“ Wie gefällt es ihm denn?



(lacht) Gut. Und er hat viele wichtige Dinge vollbracht: Mit seiner Hilfe konnten wir ein Gesetz in Bosnien ändern. Frauen, die im Krieg vergewaltigt worden sind, werden jetzt als zivile Kriegsopfer anerkannt und bekommen monatlich ein wenig Geld. Das war vorher anders: Sie existierten quasi nicht als Opfergruppe und erhielten auch keinerlei staatliche Unterstützung.

Auch Ihr neuer Film „Na Putu“ ist politisch: Luna und Amar aus Sarajevo geraten in eine Beziehungskrise, als der Mann sich einer fundamentalistischen, islamischen Bewegung, den Wahhabiten, anschließt. Wieso dieses Thema?

Im Haus eines Freundes wurde ich einem Mann vorgestellt, der mir nicht die Hand geben wollte, weil ich eine Frau bin. Ich fand das beleidigend und erniedrigend. Es war das erste Mal, dass ich in meiner Stadt so etwas erlebt habe.

Wie haben Sie reagiert?

Ich begann zu recherchieren und fand heraus, dass der Mann ein ganz normaler Typ aus Sarajevo war: Er hatte einen Universitätsabschluss und war früher viel ausgegangen. Ich wollte wissen: Weshalb jemand wie er Wahhabit wird. Also traf ich mich mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaft und stellte fest, dass viele aus einem alternativen Umfeld kommen. Einige waren vor dem Krieg zum Beispiel Punks oder Junkies gewesen. Für sie ist der Wahhabismus alternativ.

Wie das?

Schon wie sie aussehen: Völlig verhüllte Frauen sind ein total seltsamer Anblick in Sarajevo. Alle starren sie an, genau wie früher als sie Irokesenfrisuren hatten. Das finden sie sexy. Auch das Gruppengefühl ist wichtig. Es ist ähnlich wie früher in den Punk-Cliquen. Was mich aber am meisten schockierte war, dass säkulare, gebildete, städtische Frauen sich freiwillig bedeckten und glücklich damit waren. Ich besuchte zusammen mit Mirijana Karanovic, die die Hauptrolle in „Grbavica“ gespielt hat und auch in „Na Putu“ mitwirkt, verhüllte Frauen. Wir stellten fest, dass sie unter ihren Burkas sehr schön angezogen waren. Sie hatten Uniabschlüsse, arbeiteten und man konnte mit ihnen ins Gespräch kommen.

Haben Sie herausgefunden, warum diese Frauen sich so entschieden haben?

Oft gab es eine sehr traurige Geschichte dahinter: das Gefühl nicht in die Gesellschaft zu passen oder ein Trauma wie der Tod eines geliebten Menschen im Krieg. Manchmal ist es auch ein Protest gegen die moderne Welt, die es zugelassen hat, dass so viele Bosnier getötet wurden. Ein Protest gegen Europa, das während des Krieges einen Genozid in Bosnien zugelassen hat und ihm jetzt wieder eine Ohrfeige verpasst hat, indem es Serbien und Montenegro Visumsfreiheit gegeben hat, Bosnien jedoch nicht. Wenn Europa sagt: Ihr seid keine Europäer, dann suchen die Leute eben nach Alternativen.

Es muss schwer gewesen sein, sich in die Wahhabiten hineinzuversetzen.

Beim Schreiben des Drehbuchs musste ich sehr viele meiner eigenen Vorurteile überwinden. Als Bewohnerin von Sarajevo und als Feministin war ich total sauer darüber, diese verhüllten Frauen zu sehen. Ich dachte: Wie können sie sich das selbst antun? Doch dann kam die Gegenfrage: Wer bist du, mich zu verurteilen? Es ist mein freier Wille, es zu tun. Das ist alles sehr kompliziert. Ich habe mich wirklich bemüht, zu verstehen und unter die Oberfläche zu schauen.

Sie haben an Originalschauplätzen wie der Moschee Kralj Fahd in Sarajevo und einem Wahhabiten-Sommercamp gedreht. Wie haben Sie das geschafft? Es gab doch sicher Vorbehalte.

Das Sommercamp gibt es nicht mehr. Aber wir haben auf demselben Land gedreht, das der Gemeinschaft immer noch gehört. Es ist eine sehr idyllische und abgelegene Gegend an einem See. Wir haben eine Weile gebraucht, sie zu überzeugen. Das Gleiche gilt für die Moschee: Sie wollten erst nicht, dass wir dort drehen. Aber ich lasse mir in meiner Stadt von niemandem etwas verbieten und blieb stur. Dass sie uns den Dreh dort erlaubt haben, sehe ich als große demokratische Leistung an. Einige Gemeindemitglieder haben auch als Statisten mitgewirkt.

Es gibt eine sehr lange, sehr schöne Szene in der Moschee, in der der Wahhabiten-Führer Bahija auf Arabisch singt. Was wollten Sie damit ausdrücken?

Die Szene zeigt die Beziehung zwischen Amar und Bahija. Bahija verführt Amar mit Hilfe der Schönheit. Genau das fasziniert Amar: Er fühlt sich zu der Gruppe ja nicht wegen ideologischer Ideen hingezogen, sondern weil er dort Liebe, Frieden und Geborgenheit findet. Noch dazu geben sie ihm einen Job.

Haben Sie während der Dreharbeiten irgendwelche Drohungen erhalten?

Es gab heftige Diskussionen in einem Internetforum und die Medien haben darum anschließend einen ziemlichen Wirbel gemacht. Ich habe mich nicht eingemischt, denn ich will wirklich keine Spannungen. Mein Ziel ist Dialog, nicht Geschrei. Ich hoffe, dass „Na Putu“ den Zuschauern für 100 Minuten die Möglichkeit gibt, in zwei verschiedenen Paar Schuhen zu stecken und einander so besser zu verstehen.

„Na Putu“ heißt „Auf dem Weg“. Welcher Weg ist damit gemeint?

Für mich bedeutet der Titel, dass es um einen nicht abgeschlossenen Prozess geht. Außerdem bezieht er sich auf den Kinderwunsch von Luna. Ein Baby ist „na putu“ – oder auch nicht. Der Aspekt der Mutterschaft ist mir wichtiger als das Wahhabiten-Thema, denn es könnten genauso gut Krishna-Jünger oder katholischer Radikale sein. Es geht darum, dass du als Frau eine Verantwortung dafür hast, in welche Welt du dein Kind bringst. Wer ist der Vater? Man hat die Freiheit, über bestimmte Dinge zu entscheiden. Anders als Esma in „Grbavica“ hat Luna eine Wahl.

Das Gespräch führte Nadine Lange.

ZUR PERSON

Jasmila Zbanic kam 1974 in Sarajevo zur Welt, wo sie die Akademie für Darstellende Kunst besuchte. 1997 gründete sie zuammen mit Damir Ibrahimovic das Künstlerkollektiv  Deblokada, das heute eine Filmproduktionsfirma ist. Nach einer Reihe von Kurz- und Dokumentarfilmen drehte Jasmila Zbanic ihren Debütspielfilm Grbavica – Esmas Geheimnis, der 2006 den Goldenen Bären gewann. Darin geht es um eine Mutter, die ihrer Tochter verschweigt, dass sie bei einer Vergewaltigung durch einen serbischen Soldaten gezeugt wurde. Die Hauptrolle spielte Mirjana Karanovic. Sie ist genau wie Luna Mijovic und Leon Lucev auch in Zbanic’ neuem Werk „Na Putu“ zu sehen.

Na Putu hat heute um 16.30 Uhr im Berlinale- Palast Premiere. Wiederholungen am 19.2. um 9.30 Uhr (Friedrichstadtpalast), 20 Uhr (Urania) und um 22.30 Uhr (International).

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