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Tatarak

© Berlinale

Wettbewerb: Schwalben im Sommer

Andrej Wajdas „Tatarak“ ist eine bewegende Meditation über den Tod. Ein kamikazehaft mutiger Film.

Letztes Jahr war Wajda mit „Katyn“ auf der Berlinale. In „Tatarak“ geht es wieder um den Tod, aber nicht um den ebenso unentrinnbaren wie sinnlosen Tod, wie ihn die Geschichte oft verhängt. Diesmal hat der 82-jährige Pole eine große, subjektive Meditation über das Sterben gedreht. Eine Versuchsanordnung, die den Selbstversuch einschließt. Und den seiner großartigen Schauspielerin Krystyna Janda. Wajdas Film „Der Mann aus Marmor“ (1977) war ihr erster. Das ist lange her. Einmal wollte er noch mit ihr arbeiten.

Leben ist Frist. Mit über 80 noch Kino zu machen, heißt auch, Bilanzen zu ziehen. Wajdas schönste Filme sind nach den Büchern von Jarosmaw Iwaskiewic entstanden: „Das Birkenwäldchen“ oder „Die Mädchen von Wilko“. Noch einmal die Bilder zu einer Iwaskiewic-Geschichte finden – auch das hat Wajda sich gewünscht und dabei immer wieder an „Tatarak“ gedacht, diese Geschichte einer älteren, noch nicht ganz so alten Frau irgendwann nach dem Krieg. Sie wird den Sommer nicht überleben, aber weiß nicht, wie krank sie ist. Und sie begegnet noch einmal einem jungen Mann. Das ist so lebens- und sterbensklug gedacht und dabei von einem so abgründig-morbiden Witz fast wie in Thomas Manns Erzählung „Die Betrogene“.

Marta ist Arztgattin. Beide Söhne sind im Krieg gefallen, die meisten alten Freunde ausgewandert, aber ihre Villa ist noch da, ihr Mann und der schöne Fluss. Und so viele junge Menschen ringsum, die schon nichts mehr zu wissen scheinen von dem großen Sterben. Ja, das Leben geht weiter. Es ist eine Schamlosigkeit. Und manche der jungen Mädchen könnten inwischen die Bräute ihrer Söhne sein. Auch Jugend ist eine Schamlosigkeit. Marta mag keine jungen Mädchen.

Wie konnte das geschehen, das alles noch ist wie früher, nur man selber nicht? Wajda findet Bilder, die dieses Skandalon vor Augen führen: Den schönsten Frühsommer, der sich denken lässt, keinen italienischen also, keinen irgendwie südlichen, sondern einen polnischen mit hohen Himmeln voller Vogellaute, nicht stumm wie im Süden. Ein tiefgrüner Tag auch, in allen Farben blühend und – die Luft voller Mücken. Und dann der tiefe Flug der Schwalben über dem Wasser. Undenkbar dass das einmal aufhören soll. Es ist von Thomas Mannscher Groteske, also von Iwaskiewiczscher Groteske, wie Wajda seine Marta all das sehen lässt und es macht sie traurig und glücklich zugleich. Sie empfindet das Übermaß des Lebens – Krystyna Janda legt in ein halbes Zucken ihrer Oberlippe tausend Gedanken –, und gehört doch schon zu den Toten, weiß es nur nicht.

Und Wajda ieht die Schraube immer weiter an. Diese Mutter zweier toter Söhne begegnet Bogud, einem jungen Mann, nein einem Jungen noch, begegnet ihm wieder … Ältere Frau verliebt sich in jungen Mann? Aber nein, so vergleichsweise abgeschmackt nicht. Im Gegenteil: Sie muss über ihn lachen, sie berät ihn, der Probleme mit seiner Freundin hat, die ihn zu „einfach“ findet. Ja, er sollte Bücher lesen und Marta gibt ihm „Asche und Diamant“ (Wajdas Film von 1959 ), er vergisst das Buch. Er rührt sie, seine Freundin hat schon recht, er ist zu „einfach“. Er sieht die Schönheit des Flusses nicht. Ein Fluss ist ein Fluss, was noch? Der junge Pawem Sajda gibt diesem Bogud alle Gedankenlosigkeit der Jugend, er ist nichts weiter als ein Stück Natur, also: unsterblich. Wer aber die Schönheit sieht, ist schon sterblich geworden. Und göttlich ugleich.

Bogud ist unsterblich? Aber auch das kann sich ändern. Ja, „Tatarak“ hat den bösen Blick, und den humansten zugleich. Aber Wajda bleibt nicht bei der Marta-Geschichte. Immer wieder wird der Dreh unterbrochen und wir sind im Hotelzimmer der Schauspielerin, die Marta spielt. Im Hotelimmer von Krystyna Janda, deren Mann, der Kameramann Edward Klosinski an Krebs starb. Klosinski war auch Wajdas Kameramann. Fast zum Ende der Dreharbeiten stand seine Schauspielerin mit ein paar Blättern vor ihm: Klosinskis letzte Tage, von ihr aufgeschrieben. Jetzt von ihr gesprochen. Allein im Zimmer, laut redend. Das gewinnt eine schmerzhafte Intensität. Am Abend seines Todes stand sie wieder auf der Bühne.

Wajda hat seinen Film beinahe mit kamikazehaftem Mut gebaut. Und das einzig Richtige getan.

14.2., 9.30 Uhr u. 20.30 Uhr (Friedrichstadtpalast), 20 Uhr (Urania)

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