zum Hauptinhalt
Hartes Pflaster. Sweetness (Zoë Kravitz, l.) und ihre Gang in „Yelling to the Sky“.

© Berlinale

Wettbewerb: Sweet Seventeen

Bilderreigen eines zerrütteten Familienlebens, Momentaufnahmen einer zerfurchten Jugend: „Yelling to the Sky“, der Wettbewerbsbeitrag von Victoria Mahoney.

Und dann kommt plötzlich der Vater (Jason Clarke) nach Hause. Er taumelt ins Bad, wie immer betrunken. Vom Kopf tropft ihm Blut, wer weiß warum. Seine 17-jährige Tochter Sweetness (Lenny Kravitz’ Tochter Zoë) steht vom Boden auf. Erschöpft vom Herumhängen auf der Straße war sie neben dem Sofa eingeschlafen. Sie holt dem Vater Alkohol zum Desinfizieren. Wortlos hält sie ihm zwei Spiegel vor den Kopf, damit er sich die Platzwunde selber vernähen kann – als wäre all das selbstverständlich.

In dieser Szene verdichtet sich das Rohe, Raue, Zärtliche dieses Films. Und auch das völlig Unvermittelte: Immer wieder setzen die Szenen dieses Films von Victoria Mahoney mitten im dramatischsten Augenblick ein – und lässt die Ursachen dafür im Dunkeln. Dieses Erzählprinzip verleiht dem Film etwas Unfertiges, beinahe Homemovie-haftes. Und das ist „Yelling to the Sky“ in gewisser Hinsicht ja auch: Bilderreigen eines zerrütteten Familienlebens, Momentaufnahmen einer zerfurchten Jugend. Ohne enges Dramaturgiekorsett. Durchsetzt mit Ellipsen. Und vorwärtsspringend ohne klares Ziel.

Immer wieder geht die Kamera ganz nah heran, bis die Dinge sich in Unschärfe verlieren: Sie zeichnet verschwommene Alltags-Stillleben aus einem dieser Suburbia-Scherbenviertel von New York, die man sich bei uns so schwer vorstellen kann. Einerseits haben die Familien geräumige Häuser mit Garten; andererseits sind Gewaltausbrüche, Drogen und Arbeitslosigkeit allgegenwärtig. Doch selbst hier stechen die O’Haras heraus: Der Vater ist weiß, die Mutter (Yolonda Ross) schwarz. Sweetness und ihre Schwester Ola (Antonique Smith) sind heller als die anderen. Oder dunkler. Ein Dazwischen-Leben. Das macht die Sache nicht leichter.

Der Film habe autobiografische Züge, sagt die 44-jährige New Yorker Regisseurin. Und vielleicht liegt hierin das größte Problem. Denn beim Nacherzählen des Selbsterlebten scheint Mahoney manchmal den Zuschauer zu vergessen. Nach etwa 45 Minuten macht Sweetness einen Wandel vom Prügelopfer zum harten Streetgirl durch, der so abrupt ausfällt, dass er sich beim besten Willen nicht vermittelt. Und am Schluss widerfährt der Figur des Vaters eine Wendung vom Widerling zum Sänftling, deren Motivierung vollends unverständlich bleibt.

Dennoch: In seinen allerbesten Momenten erinnert „Yelling to the Sky“ an die Filme von Larry Clark oder Gus Van Sant, von zwei Regisseuren also, die sich im Geiste des Independent-Kinos empathisch der Jugend Amerikas angenommen haben. Und das ist für einen Debütfilm nicht wenig.

Dass auch Mahoney der verlorenen Jugend viel Sympathie entgegenbringt, zeigt schon der Name der Heldin (die vielleicht ihr Alter Ego ist). Sweetness erinnert an „Precious“, die New Yorker Leidensgenossin, die vor zwei Jahren in Lee Daniels’ Film das Kinopublikum rührte, und an Sweet Sweetback, Melvin Van Peebles emanzipatorischen Helden des Siebzigerjahre-Blaxploitation-Films. Und trägt Sweetness nicht auch den gleichen Nachnamen wie Scarlett O’Hara aus „Vom Winde verweht“? Wie Scarlett kämpft Mahoneys Protagonistin wild und trotzig gegen widrige Umstände. Schließlich ist morgen auch noch ein Tag.

Heute 15 Uhr (Friedrichstadtpalast); 13. 2., 20 Uhr (Urania)

Julian Hanich

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false