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Ein Türke vom Lande: Hüseyin (Fahri Yardim) wandert in den sechziger Jahren nach Deutschland aus.

© Roxy Film

Wettbewerb: Tagträume

Außer Konkurrenz im WETTBEWERB: „Almanya – Willkommen in Deutschland“ ist ein freundlicher, rundherum gelungener Film, der mit den Vorurteilen von Deutschen und Türken einen mild ironischen Umgang pflegt.

Sonnig-bunt ist es in der türkischen Heimat, die in den Erinnerungen der Migranten im grau-nasskalten Deutschland im warmen Licht leuchtet. Selbst das Dorf in den anatolischen Bergen erscheint in farbenfroher Pracht. Dabei wurden dort angeblich die blumigen und hierzulande belächelten Röcke erfunden, die lange Zeit das Kennzeichen der ersten Generation von Einwandererfrauen waren, weil sie damit der Karg- und Kahlheit ihrer Heimatdörfer ein wenig trotzen wollten. Die Großmutter in diesem traurigen, fröhlichen, besinnlichen, frischen Film fragt ihren Mann schon mal, welches der drei Geblümten sie denn anziehen solle. Und dass der dann antwortet, sie sähen doch alle gleich aus, liegt nicht an der tatsächlichen Ähnlichkeit der Muster, sondern an der grundsätzlichen Unaufmerksamkeit der Männer.

Es ist ein Gemisch aus dokumentarischem Archivmaterial, das plötzlich in Spielszenen übergeht, aus Traumbildern, animierten Fotografien und einer Gegenwartshandlung, das diesen Film zu einem Genuss für Augen und Ohren macht – Letzteres wegen der Musikauswahl: Sechziger-Schlager und Heimatklänge als muntere Kommentare. Vor allem aber wegen seines intelligenten, witzigen Umgangs mit Sprache. Wie für die türkischen Einwanderer in den sechziger Jahren Deutsch geklungen haben muss, so sprechen die Deutschen auch im Film: Zisch- und Kehllaute setzen harte Akzente. Auch wird klar, dass die erste Generation wenig, die zweite gut und die dritte dann ausschließlich Deutsch spricht in dieser Großfamilie, die gemeinsam eine Reise in die Türkei unternimmt, weil Großvater Hüseyin sich das gewünscht hat. So werden zwei Wanderungsbewegungen gegeneinander montiert, die 45 Jahre alte Vergangenheit und die Gegenwart. Und dass die Einwanderer von damals im Film Deutsch sprechen müssen, hat damit zu tun, dass der jüngste Enkel Hüseyins, dem die Familiengeschichte erzählt wird, gar kein Türkisch mehr versteht, wie er ein bisschen traurig feststellt, als er in der Türkei ankommt.

„Almanya – Willkommen in Deutschland“ ist ein freundlicher, sanfter, rundherum gelungener Film, der mit den Vorurteilen beider Seiten einen verständnisvollen, mild ironischen Umgang pflegt. Die Filmfamilie, die sicher mehr als nur ein wenig mit jener der beiden Samdereli- Schwestern Yasemin und Nesrin (Regie und Buch) zu tun hat, erlebt keine Verachtung – nur ein Sich-Wundern über fremde Sitten und Gebräuche.

Und doch: Wie weit die Türkei manchmal noch weg ist, zeigt eine Schulszene, in der die Lehrerin für die Herkunft jedes Kindes ein Fähnchen in die Europakarte steckt. Als der kleine Cenk Anatolien angibt, wird die Lehrerin verlegen: Europa geht nur bis Istanbul. Cenks Fähnchen steht im Abseits.

Heute 12 Uhr (Friedrichstadtpalast); 22.30 Uhr (Urania); 14.2., 12 Uhr (Friedrichstadtpalast), 21.30 Uhr (Passage)

Deutsch klingt seltsam

für die Einwanderer:

diese Zisch- und Kehllaute!

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