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Kultur: When we are champions

Triumphmarsch oder Götterdämmerung? Hertha BSC steht kurz vor dem Aufstieg in die erste Bundesliga.

Triumphmarsch oder Götterdämmerung? Hertha BSC steht kurz vor dem Aufstieg in die erste Bundesliga.Ein Fußballclub und ein Stück Berlin zwischen Hoffen und BangenVON MORITZ RINKEDer Berliner Traditionsverein steht heute in Unterhaching (Randlage München) womöglich vor dem triumphalen Aufstieg in die 1.Bundesliga.Auf der Geschäftsstelle des Fußballclubs versucht man der neuen Zeit hinterherzukommen.Wir waren dabei und erinnern uns: Als der Berliner Ballspielverein BFC Hertha im Jahre 1894 dem Deutschen Fußball- und Cricket-Bund beitrat, gelang sofort der Aufstieg aus der 2.in die 1.Klasse.Man spielte mit blauer Mütze und weißer Kordel auf dem Tempelhofer Feld in folgender Formation: Winistädt im Tor, Proske, Robel, Harch und Fritze im Abwehrbereich; Wopp, Schulz und Hahn im Mittelfeld.Lange, Dwelk und Koltze stürmten, was nichts nutzte, denn man stieg mit 0:26 Punkten gleich wieder ab.Heute sind alle tot, aber den Ballspielverein BSC Hertha 92 gibt es immer noch. Mai 1997: Auf der Geschäftsstelle von Hertha BSC in der Hanns-Braun-Straße am Olympiastadion klingelt seit etwa sieben Minuten permanent das Telefon, und niemand hebt ab.Christa Blocksdorf, die neue Empfangsdame der neuen Geschäftsstelle, versucht schon die ganze Zeit Kaffee zu kochen, aber auch die Kaffeemaschine ist neu.Dann läuft Matthias Huber über den königsblauen Teppich in das Empfangsfoyer.Huber ist der Leiter der Geschäftsstelle, die Ende April aus dem Gebäude der Kaufmännischen Krankenkasse in der Heerstraße umzog in die Hanns-Braun-Straße. Hertha also steht kurz vor dem Aufstieg in die 1.Liga.Man muß nur noch nach dem glanzlosen 3:0-Sieg letzten Sonntag gegen Meppen heute in Unterhaching siegen, dann ist - verliert zugleich die Konkurrenz - der Triumph perfekt.Ansonsten rüstet man für die Jubelfeier am kommenden Sonntag, wenn man aus eigener Kraft gegen die Stuttgarter Kickers alles klarmachen kann. Auf der Geschäftsstelle gibt man sich entsprechend euphorisch.Huber öffnet eine Tür zu den neuen sanitären Anlagen der Geschäftsstelle.Königsblaue Fliesen korrespondieren mit dem blankpolierten Weiß des Porzellans.Eine schöne, eine triumphale Toilette.Bestellt hat man die königsblauen Fliesen zusammen mit einer neuen Küche inklusive Kaffeemaschine und Frau Blocksdorf gleich nach dem triumphalen Sieg gegen Kaiserslautern im April vor knapp 76 000 zahlenden Zuschauern; ein Berliner Fußballfest, das Huber plötzlich erahnen ließ, was auf ihn zukommt, wenn Hertha ab August tatsächlich das erste Ligaspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft bestreitet. Huber läuft von den sanitären Anlagen durch den neuen blau-weißen Show-Room direkt in das Herzstück der Geschäftsstelle: das Zimmer mit den neuen Microsoft-Rechnern.Seit April versucht Huber, Hertha mit dem EDV-System vertraut zu machen."Die haben bis vor sechs Wochen den kompletten Geschäftsbereich mit drei elektrischen Schreibmaschinen bestritten", erklärt er.Das muß man sich nur mal vorstellen.Es kommen beinahe 76 000 Zuschauer zu Hertha, und am nächsten Tag sitzt der Kassenwart mit einer Strichliste da und zählt 76 000 verkaufte Tickets an den manuellen Ticket-Rollen aus den Kassenhäuschen ab. Huber sieht müde aus.Vor ein paar Tagen mußte Huber bemerken, daß die Geschäftsstelle noch immer den Vereinssong auf einer Single vertreibt, also auf einer Platte, die man früher auf einen Plattenspieler legte und dann auf 45 Umdrehung umschalten mußte."Fußball", sagt Huber, "ist eine Dienstleistung.Wenn Sie 76 000 Zuschauern auf der Ebene heutiger Freizeitkultur begegnen wollen, müssen Sie rund um die Uhr arbeiten und irgendwann auch mal eine CD herstellen." Huber plant jetzt gerade eine sogenannte Family-Street, eine Art Erlebnispark mit Artisten und Überraschungen für Kinder und Eltern vor und nach dem Spiel.Vielleicht auch mit Fallschirmabsprüngen über dem Olympiastadion."Man muß das Hertha-Hauptstadt-Gefühl komponieren wie eine große und schöne Partitur", sagt Huber.Für das große und schöne Hertha-Hauptstadt-Gefühl ist das Ufa-Sportmarketing des Bertelsmann-Konzerns mit ziemlich großen Summen eingesprungen, und auch im sportlichen Bereich investiert die Ufa.Angeblich stehen 10 Millionen Mark für Neueinkäufe von Spielern bereit, falls Hertha im nächsten Jahr gegen Bayern München antreten darf. Huber läuft jetzt vorbei am Trainer-Zimmer, in dem der Trainer Röber gerade auf Videokassetten das taktische Konzept von Unterhaching studiert.Huber läuft weiter vorbei am Präsidiumszimmer, in dem der Manager Hoeneß (Dieter, der Bruder) und Präsident Zemaitat zusammen mit Finanzrat Müller gerade eine geheime Sitzung abhalten.Jetzt öffnet Huber eine Tür zum Seitenflügel der Geschäftsführung, früher das Quartier der britischen Kriminalpolizei.Wir stehen im Verhörzimmer.Früher wurden hier Mörder und Bankräuber verhört, aber bald werden hier vielleicht der Manager und der Finanzrat mit Icke Häßler oder Andreas Möller verhandeln.Das Verhörzimmer und alle anderen Zimmer sind noch unrenoviert."Renovieren können wir erst, wenn wir wirklich aufgestiegen sind", sagt Huber. Das Zimmer für den vorgesehenen Pressesprecher zum Beispiel ist auch noch nicht fertig.Man wartet lieber bis nach dem Spiel gegen Unterhaching.Huber sagt: "Wir stehen ja eigentlich zwischen zwei Wegen und müssen ständig in beide Richtungen kalkulieren.Es gibt derzeit noch zwei Hertha-Partituren." Huber meint den Triumphmarsch von Verdi oder die Götterdämmerung von Richard Wagner.Frau Blocksdorf hat mittlerweile den Kaffee zu Ende gekocht."Wissen Sie", sagt Huber, "bei Hertha treffen überhaupt zwei Welten aufeinander: ein jahrzehntelanger, von der übrigen Fußballwelt abgeschnittener Inselverein und das neue, von der Ufa gesponsorte Hertha-Hauptstadt-Gefühl." Da hat er vermutlich recht.Als 1963 der Spielbetrieb in der neuen Bundesliga aufgenommen wurde und sich Hertha knapp vor Preußen Münster den Klassenerhalt sicherte, hatte die DDR die Berliner Mauer schon errichtet, und Hertha war auf einer einsamen Insel in Deutschland.In Städten wie München, Hamburg oder Stuttgart verlagerte sich der Nachkriegs-Fußball mehr und mehr vom Sport der Arbeiterklasse zu einer Branche, in der Profis mit kaufmännischer Ausbildung stürmten und Ex-Profis zu Managern im Nadelstreifen-Anzug wurden und dann Neu-Profis auf dem Markt hin und her transferierten.In West-Berlin aber, wo sich außer in Kreuzberg wenig bewegte, blieb der Fußball immer noch eine proletarische Sache.Die Präsidenten trugen Anzüge wie Erich Honecker, arbeiteten hauptberuflich als Kneipiers oder Bauunternehmer und ließen die Hertha-Spieler mit Hemden der Sparkasse auflaufen beziehungsweise die Geschäftsstelle die gesamten achtziger und neunziger Jahre mit drei elektrischen Schreibmaschinen bestreiten.Während man in anderen Stadien in der Halbzeitpause diverse Speisen und Limonaden einnehmen konnte, blieb es im Olympiastadion bis heute bei der Bratwurst mit Senf und Fanta sowie einer Single, die man früher auf einen Plattenspieler legte und auf 45 Umdrehung umschalten mußte.Als Herthas Neuzugang Mandreko gefragt wurde, was er denn von seinem neuen Verein wisse, sagte er: "Hertha BSC war ein populärer Verein in der DDR.Nachdem die Mauer weg war, lief bei Hertha etwas schief." Sportlich gesehen war das eigentlich mehr oder weniger schon immer so: 1965 Zwangsabstieg, dann Aufstieg und danach ein paar Jahre mit Glücksmomenten und einem zweiten Tabellenplatz; später wieder der Abstieg.1982 erneuter Aufstieg mit gleich anschließendem Abstieg und nochmaligem Abstieg in die Regionalliga.Man spielte gegen Remscheid und gegen Erkenschwick, auch im Derby gegen Wacker 04.Erst 1988 kehrte man zurück in die 2.Liga, dann 1990 in die 1.Liga, aus der man 1991 wieder abstieg in die 2.Liga, wo man auch bis heute blieb.Aber: Wenn alles gut geht, dann ist Hertha spätestens am Sonntag wieder aufgestiegen in die 1.Liga, und Berlin wird jubeln und jubeln wie nach der Hauptstadt-Entscheidung. Pressekonferenz im Hotel "Antares": Dieter Hoeneß, der Manager, lehnt sitzend an einer weißen Säule, daneben Präsident Zemaitat im englischen Polohemd; rechts Trainer Röber, der immer angespannter einen Filzstift hin und her biegt, je mehr der Manager vom Triumph des Aufstiegs spricht.Röber hört vermutlich im linken Ohr den Triumphmarsch und im rechten Ohr die Götterdämmerung.In drei enttäuschenden Spielen hatte Röber vor dem Meppen-Sieg nur zwei enttäuschende Punkte geholt.Wenn Röber jetzt nicht den sprichwörtlichen Matchball verwandelt, dann kann Huber die halbe Geschäftsstelle wieder abreißen lassen und Berlin sein neues Hertha-Hauptstadt-Gefühl begraben. Die meistverwendeten Begriffe auf der Pressekonferenz sind "Aufstieg", gefolgt von "Neueinkäufe", "Leistungsträger", "Erfahrene Stützen" und "Die Stabilisierung der glanzlosen Abwehr als Fundament".Wenn man dann nach der Pressekonferenz durch Berlin mit dem Auto vorbei an den Baustellen fährt, wird plötzlich klar, daß Hertha sich ungefähr in demselben Zustand befindet wie der Potsdamer Platz.Es soll etwas ganz Tolles werden, aber im Moment befindet man sich noch in der langen Phase der Vorbereitung mit Rückschlägen, allgemeiner Glanzlosigkeit und der Suche nach Stützen und Fundamenten.Am Rande von Abgründen. Vor wenigen Tagen um 9.30 Uhr auf dem Berliner Maifeld: Röber, der Trainer, läßt leichte Lockerungsübungen absolvieren und geht dann zu einem stundenlangen Kurzpaßspiel über, später zu einem schnellen und geordneten Spiel aus der Abwehr heraus.Die Sonne scheint, das Klima ist mild, der Rasen saftig grün, aber es liegt eine sehr spürbare Angespanntheit in der Luft.Dann passiert plötzlich dies: Der Konditions-Trainer verwechselt den Reporter mit einem taktischen Beobachter von den Stuttgarter Kickers, bezichtigt ihn der Spionage und beendet an dieser Stelle abrupt die weitere Berichterstattung - bis nach dem Spiel gegen Unterhaching.

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