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Kultur: Wider die Berliner Lethargie

Was braucht die Kultur in der Hauptstadt? Eine Antwort auf Senator Flierls Thesenpapier

Die Hauptstadt braucht eine neue kulturpolitische Debatte. Im „Forum Zukunft Kultur“ haben sich Berliner Persönlichkeiten zusammengeschlossen. Diesen Herbst richten sie in Berlin einen internationalen Kulturkongress aus. Hier antworten die Forums-Gründer Nele Hertling (Ex-Intendantin Hebbel-Theater), Volker Hassemer (Ex-Kultursenator), Peter Raue (Anwalt und Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie) und Jürgen Schitthelm (Direktor der Schaubühne) auf das von Kultursenator Thomas Flierl vorgelegte Papier „Perspektiven durch Kultur.“

Wir begrüßen es, dass auch der Kultursenator jetzt eine kulturelle Standortbestimmung für nötig hält und vorlegt. Leider ist sie allerdings eher eine Fundgrube für Beachtliches als der Fundort für Antworten. Denn sie benennt die Herausforderungen nicht radikal genug und ist in den Konsequenzen zu wenig entschieden.

Der Senat muss festlegen, wie wichtig ihm Kultur für seine gesamtstädtische Zukunftsstrategie ist. Was er mit der Kultur und von der Kultur für die Stadt will. Erst davon kann man ihre Aufgaben ableiten. Kultur (in einem breiten Verständnis, Wissenschaft einbeziehend) ist nicht irgendeine, es ist die Basisressource Berlins. Wir vertreten die Auffassung, dass Berlin Kultur und Wissenschaft als die Grundcharakteristik der Stadt erkennen und zur Leitgröße seiner Entwicklungsstrategie machen muss. Senator Flierls Papier verwendet an diesem entscheidenden Punkt eher vorsichtige Formulierungen, gewissermaßen in geduckter Haltung. Augenmaß ist gut. Halbherzigkeit aber verursacht Mutlosigkeit, Kraftlosigkeit, ja Lethargie.

Ist Kultur die grundlegende Ressource Berlins, hat das Folgen für den Umgang mit ihr. Was so wertvoll ist, muss genutzt und eingesetzt, darf nicht vernachlässigt und verschwendet werden. Die Wahrheit ist aber, dass Berlin die seit 1989 eingetretenen geradezu revolutionären Veränderungen seiner Situation immer noch nicht – auch nicht im Kulturbetrieb – mit einer ähnlich revolutionären Neuausrichtung seiner Strategien beantwortet hat. Trotz der neuen Probleme und Möglichkeiten blieben im Wesentlichen die alten Ziele, Strukturen und Arbeitsbedingungen.

Es ist gut, dass sich Flierls Papier nicht an den bequemen bisherigen Grundsatz hält, alles im Zweifel so zu belassen wie es ist, sondern auf Veränderung setzt. Das Flierl-Papier mutet sich aber leider im Ergebnis weniger zu, als die jetzige Situation verlangt und ermöglicht. Eine heutige Standortbestimmung hat sich vorzunehmen, was fünfzehn Jahre lang nicht gelang. Sie darf nichts weniger sein als die Antwort auf die neuen Möglichkeiten und Einschränkungen (und nicht nur auf die Einschränkungen!), die Berlin seit 1989 erfahren hat.

Das allein der Politik oder gar dem Senator abzufordern, wäre billig. Wir brauchen einen Pakt aller Beteiligten. Alle müssen sich jetzt in ungewöhnlicher Weise bewegen, zu Veränderungen bereit sein: natürlich die Politik, aber auch die Institutionen und ihre Leiter, auch die Künstler selbst und auch die, die sich für sie interessieren, ob als Zuschauer oder Sponsor. Dazu müsste der Senator zunächst einmal den Anstoß geben - und alle zur Mitwirkung an einem Verfahren aufzufordern, das die Beteiligten gegenseitig in einen gerechten Zugzwang bringt. Um sich selbst und den Senat allerdings dann auch an die Spitze der Veränderungsbereitschaft zu setzen.

Es muss zum Beispiel die seit Jahren - und wieder im Papier des Senators - beschworene "Kooperationen im Verwaltungs- und Werkstattbereich" der Theater wirklich realisiert werden. Damit müssen zugleich aber auch die Rahmentarifverträge, die Vergütungsstrukturen - Grundvergütung, Ortszuschlag, allgemeine Zulage, Familienzulage - radikal, notfalls mit Haustarifverträgen in Frage gestellt werden. Damit schließlich eine neue Verlässlichkeit und Entschiedenheit der Öffentlichen Hand erzwungen wird.

Die Frage steht so klar, wie es der Titel des Senatorpapiers ist: Wie haben die Ansprüche, wie haben die Methoden auszusehen, wenn man wirklich „Perspektiven durch Kultur“ für Berlin entwickeln will? Einfach hat es der Senator nicht in seinem Senat und in der allgemeinen Rat- und Mutlosigkeit, wie sie zurzeit in Berlin herrscht. Wenn wir uns also wirklich einig sind über die große Bedeutung des kulturellen Beitrags für das Schicksal Berlins, können wir uns nicht abfinden mit der Kleinheit und Zaghaftigkeit kulturpolitischer Lösungsansätze

Die Idee der Opernstiftung haben wir begrüßt – die unter einem Dach möglichen Verschlankungen und Synergien zu nutzen, also durch Abbau von Doppelarbeit und Konkurrenzaufwand Mittel einzusparen und zugleich eine neue Klarheit des Auftritts zu ermöglichen; damit die geradezu historische Chance eines in Berlin jahrzehntelang nicht gelungenen Zentrums für Tanz und Ballett zu verbinden; zugleich in einer Stiftung die Allmacht der Senatspolitik zu relativieren und die Tür für die Mitverantwortung anderer, des Bundes wie Privater zu öffnen. Das war eine seit langem in Berlin nicht mehr vorhandene Herausforderung.

Die Realität? Der Senat hat das Thema klein gemacht, statt es sich groß vorzunehmen: Statt der vom Senator in seiner Standortbestimmung geforderten „Staatsferne“ wird der Stiftungsrat wieder ausschließlich nach Entscheidung des Senats besetzt. Und statt der versprochenen Funktion für Tanz und Ballett in Berlin ist auch im jetzigen Papier des Senators – ohne weitere Erläuterung – nur noch von Ballett die Rede. Die Opernstiftung hat bis zum heutigen Tage keines ihrer wesentlichen konstruktiven Ziele erreicht, manche schon endgültig verbaut. Sie ist kaum anders als als Sparmaßnahme kommuniziert und kommunizierbar. Sie hat alle Voraussetzungen, zu einem Paradebeispiel nicht der neuen Möglichkeiten, sondern der alten Unmöglichkeiten Berlins zu werden.

Zu den auf den ersten Blick sichtbarsten Neuigkeiten für einen zukünftigen Kulturbetrieb in Berlin gehört seine Funktion als Hauptstadt Deutschlands. Will man eine inhaltlich begründete und deshalb auch zuverlässige Hauptstadtkulturförderung aufbauen, muss sie sich auf Grundsätze beziehen, die auf diese heutige Hauptstadt Berlin zutreffen. Das aktuelle Engagement des Bundes soll hier nicht klein geredet werden. Wenn es aber seine Konkretisierung eher „nach Gefühl und Wellenschlag“ durch die handelnden Politiker erhält, entwickelt sich keine Beständigkeit.

Das Papier des Senators ist zum bisher erreichten Stand der Dinge ungewöhnlich realistisch und zutreffend. Es mangelt aber an der politischen Handlungsstrategie. Um was es geht, ist der angemessene Umgang Deutschlands mit seiner Hauptstadt, nicht die milde Gabe für das hilfsbedürftige Berlin. Was angemessen ist, leitet sich ab von Verantwortung und von nationalem Nutzen. Die Möglichkeiten Berlins müssen der Ausgangspunkt sein, nicht seine Probleme.

Der Senator spricht am Schluss von „strategischen Verabredungen“, sogar vom „Prozess gemeinschaftlichen Handelns“. Die Praxis seiner Entscheidungsfindung ist aber vom Text seines Papiers weit entfernt. Unser Eindruck ist: Er praktiziert nicht eine „Vergesellschaftung (im richtigen Sinne!) politischer Willensbildung“, sondern versteckt sich im krassen Gegensatz dazu regelrecht in der Vorbereitung seiner Entscheidungen.

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