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Die Wut, die Trauer. Drei Frauen trauern um Soldaten der YPG-Miliz, die im Konflikt mit der Türkei starben.

© Carol Guzy

Wie aus Heldinnen „Terroristen“ wurden: Einst gefeiert, nun gejagt - Die kurdischen Kämpferinnen von Nordsyrien

Erdogan bezeichnet die kurdischen Kämpferinnen als „Terroristen“. Und die EU lässt sie im Stich. Ansichten einer Kurdin, die in Berlin wohnt.

Die Autorin ist in Syrien und Deutschland aufgewachsen. Sie studierte Jura in Damaskus und an der Humboldt-Universität. Seit Ende 2012 lebt und arbeitet sie in Berlin.

Vor zwei Jahren hat eine kurdische Kämpferin in einem Videointerview gesagt: „Wenn sich die IS-Verbrecher nähern, fangen wir an zu jubeln, mit dem orientalischen Freudenschrei. Dann rennen sie weg, wenn sie unsere Stimmen hören, denn sie glauben, sie kommen in die Hölle, wenn eine Frau sie tötet.“ Danach jubelten alle Kämpferinnen zusammen und lachten.

„Sie sind verrückt“, sagte eine andere kurdische Kämpferin. IS-Männer können Frauen töten, mit Frauen machen, was sie wollen. Dafür kommen die Verbrecher auch noch ins Paradies, wie sie glauben.

Wie stolz und selbstbewusst sie schauten, denn damals hat die ganze Welt über sie gestaunt und berichtet: Junge kurdische Heldinnen, die gegen die grausamste Terrorgruppe der Welt kämpfen.

Aber die Heldinnen, die noch gestern die Terroristen bekämpft und besiegt haben, werden heute vom türkischen Präsidenten Erdogan „Terroristen“ genannt und getötet, von Trump verraten und im Stich gelassen, von Russland „bewacht“ und von der EU ohnmächtig angeschaut.

Die Wut. In meiner Heimatstadt in Nordost-Syrien, wie es nun in den Medien heißt, oder in Rojava, wie wir Kurden es gerne nennen, wohnt eine Mutter, deren Tochter im Kampf gegen den IS gefallen ist. Wie kann diese Mutter verstehen, dass ihre Tochter und deren Freunde nun die „Terroristen“ sind, die sich zurückziehen müssen und Teile ihres mit Blut verteidigten Landes an Erdogan und seine neue Generation der Islamisten abgeben sollen.

Die Trauer. In meiner Heimatstadt wohnte das Kind mit seiner Schwester. Sie spielten in ihrem Garten, während die Mutter ihre Lieblingssuppe kochte. Nach nur ein paar Stunden der Invasion „Friedensquelle“ wurde dieses Kind getötet und seine Schwester verlor ihr Bein. Wie kann diese Mutter verstehen, dass der Täter jetzt gefeiert wird, weil er eventuell aufhört, weitere Kinder zu töten. Wie kann sie verstehen, dass ihre Opfer in Kauf genommene Verluste sind, die man von einem „wichtigen“ Nato-Mitglied erdulden muss.

Die Ungerechtigkeit. In meine Heimatstadt ist der Junge aus Ras Al-Ein geflüchtet, er wohnt mit seiner Familie und anderen Geflüchteten in einer Schule. Am meisten vermisst er sein weiches Bett. Wie kann dieser Junge verstehen, dass er nun in einer Schule auf einer dünnen Decke schlafen muss, weil man sein Bett, seine Wohnung und seine ganze Stadt an Erdogan und die Islamisten verschenkt hat, nur damit nicht weiteren Kindern ihre Betten weggenommen werden. So wird es in der türkisch-russischen Vereinbarung behauptet.

Die Angst. Aus meiner Heimatstadt und Erdogans „Sicherheitszone“ haben sich die kurdischen Kräfte offiziell komplett zurückgezogen. Kann einer der vielen Akteure in meinem Land den Kurden, Armeniern und Assyrern, die dort leben, garantieren, dass sie Erdogan und seinen islamistischen Milizen oder der wiedererstarkenden ISIS nicht schutzlos ausgeliefert sind. Kann jemand den Kurden garantieren, dass Erdogan jeden als „Rebellen“ bezeichnen wird und „seinen Kopf zerquetscht“, wie er immer wieder droht.

Die Enttäuschung. Unvorstellbar, dass im 21. Jahrhundert ein Nato-Mitglied ein Nachbarland angreift und eine klare ethnische Säuberung anstrebt. Unvorstellbar, dass man ihm Stücke von diesem Land abgibt und Rechte einräumt, damit er mit seiner Gewalt aufhört. Unvorstellbar, dass sein Partner, die mächtige EU, ohnmächtig und erpressbar dasteht. Und noch unvorstellbarer, dass Trump, der uns Kurden unter türkischen Bomben allein gelassen hat, jetzt zurückkommt, um unsere Ölfelder zu „beschützen“.

Mein Alltag. Heute und hier in Berlin gehe ich mit meinem Kind nach der Kita auf den Spielplatz, ich lächele es an und winke ihm zu, während es spielt, so wie andere Mütter es machen und ich sonst auch. Mein dreijähriges Kind hört plötzlich auf zu spielen, kommt zu mir und fragt: „Mama bist du traurig? Willst du weinen?“

Vinda Celebi

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