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Kultur: Wie der NS-Zeit gedenken?: Der Wirrwarr der Gedenkstätten ist unübersichtlich: ein Plädoyer für eine Neuordnung

Jetzt ist die Zeit gekommen: Die Gedenkstätten in Deutschland, besonders in Berlin und Brandenburg, müssen in einem Gesamtkonzept neu geordnet werden. Erst kürzlich hat sich der Bundestag für ein Holocaust-Denkmal in Berlin ausgesprochen, das von einer Stiftung getragen werden soll.

Jetzt ist die Zeit gekommen: Die Gedenkstätten in Deutschland, besonders in Berlin und Brandenburg, müssen in einem Gesamtkonzept neu geordnet werden. Erst kürzlich hat sich der Bundestag für ein Holocaust-Denkmal in Berlin ausgesprochen, das von einer Stiftung getragen werden soll. Die Hauptstadt Berlin und der Bund debattieren, welche kulturellen Einrichtungen von nationaler Relevanz seien und daher vom Gesamtstaat getragen werden sollten. Zu den bestehenden Berliner Gedenkstätten ist dabei das Jüdische Museum hinzugekommen. Die "Topographie des Terrors" ist in die Klemme geraten, weil die hochfahrenden Baupläne des Schweizer Architekten Peter Zumthor unverhoffte finanzielle Auswirkungen haben. Die "alten" Berliner Einrichtungen wie die Wannsee-Villa und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand geraten in den Windschatten der neuen Institutionen. Und die brandenburgischen KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück tragen noch immer am Erbe der DDR-Zeit, als Orte verfielen, missbraucht wurden oder die staatliche Erinnerungspolitik antifaschistisches Pathos nicht immer mit historischer Genauigkeit verband.

In Berlin und im Umland hat sich eine Gedenkstättenlandschaft entwickelt, in der Museen, Ausstellungen, Denkmäler, Mahnstätten, Archive, Bibliotheken und Veranstaltungen viel mitteilen, erklären und interpretieren über den Nationalsozialismus, seine Vorgeschichte, über die vielen Täter und die wenigen Widerständler, über die unterschiedlichen Schicksale der Opfer vom frühen Meuchelmord der SA an Erich Mühsam bis hin zu den von der SS organisierten Deportationen in die Vernichtungslager im Osten. Es gibt viele Orte in der deutschen Hauptstadt, an denen historische, politische und religiöse Gespräche geführt werden können über den Verfall einer politischen Kultur und das Aufkommen staatlich angeleiteter Barbarei. Das ist gut so und hilft vielleicht, dass die Grundwerte einer liberalen Republik so leicht nicht beschädigt werden.

Aber das Ganze ist nicht in den richtigen Strukturen, hat nicht das richtige Personal und keine adäquate Anbindung an die vitalen Bereiche der Gesellschaft. Jede Einrichtung hat ihre eigene Geschichte, Rechtsform, Philosophie und Organisation. Zwar gibt es seit einiger Zeit einen Gesprächskreis der einzelnen Leiter, dennoch arbeitet man punktuell. Die Berliner Gedenkstättenlandschaft ist wie ein Flickenteppich. Kein Besucher, kein Forscher findet einen Leitfadendurch den Institutionen-Dschungel.

Die Mitarbeiter kleben an ihren jeweiligen Einrichtungen, und so gibt es nicht wenige, deren lebenslanger Beruf es geworden ist, beispielsweise immer die gleichen Führungen über die ehemaligen KZ-Plätze zu veranstalten. Routine aber ist gerade beim Besucherservice in Gedenkstätten kontraproduktiv. Wer kann schon jeden Tag erneut eine Betroffenheit entwickeln, die sich den Besuchern mitteilt?

Auf wissenschaftlichem Gebiet, bei Ausstellungen und Projekten sind die Institutionen auf sich gestellt. Jede Gedenkstätte arbeitet auf eigene Faust: Immer mit dem gleichen Stammpersonal, ergänzt durch Zeitangestellte, wird konkurrierend bei immer den gleichen Finanziers - meist beim Bund oder dem eigenen Bundesland - um Gelder gebuhlt. So kommt es zu keiner Schwerpunktsetzung, keiner geistigen und fachlichen Mobilität. Erbhöfe sind entstanden, und sie werden sorgsam abgegrenzt gegen die neuen Höfe wie das Jüdische Museum und das Holocaust-Denkmal. Diese wiederum könnten gleichfalls zu Erbhöfen werden.

Es ist daher Zeit, die Gedenkstätten und ihr Zusammenspiel neu zu organisieren. Um ihnen mehr Leben und Initiative ein zu hauchen, um zwischen ihnen Synergien zu erzeugen, um sie qualitativ auf das Niveau zu heben, das die Gedenkstätten Yad Vashem bei Jerusalem und das Holocaustmuseum in Washington erreicht haben, ist die Gründung einer Nationalen Stiftung NS-Gedenkstätten notwendig, für die der Bund die Hauptverantwortung übernehmen sollte. Damit wäre auch ein Teil der Frage beantwortet, welche Kulturinstitutionen der Bund in Berlin in seine Trägerschaft übernehmen sollte.

Aber es geht nicht nur um eine Hauptstadtangelegenheit: Welch merkwürdiges Kompetenzdenken hat doch dazu geführt, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, sofern sie in und mit Gedenkstätten erfolgt, Ländersache sei. Weil die Gedenkstätten so etwas sind wie Museen, weil in ihnen Ausstellungen gezeigt werden und Denkmäler, gelegentlich sogar Wissenschaft dort betrieben wird, sind sie in der alten Bundesrepublik unter die Sparte "Kultur" gefallen. Und Kultur ist nunmal Ländersache. So kommt es, dass die Gedenkstätte Dachau in Bayern zur Stiftung Schlösser und Gärten gehörte, dass für Buchenwald das Kultusministerium von Thüringen zuständig wurde. Mittlerweile dürfte sich aber die Erkenntnis durchsetzen, dass die Beschäftigung mit der Zeit zwischen 1933 und 1945 Sache der gesamten Bundesrepublik Deutschland und nicht einzelner Länder oder Gemeinden ist. Schließlich waren es auch nicht die deutschen Länder, welche sich um den Häftlingsfonds von Politik und Wirtschaft kümmerten, sondern es war völlig zu Recht die Bundesregierung.

Eine Aufgabe des Bundestags

Es wäre zehn Jahre nach der Wiedervereinigung und 55 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Aufgabe des Deutschen Bundestages, eine entsprechende Verantwortung des Bundes zu formulieren. Die nationale Gedenkstättenstiftung sollte das Holocaust-Denkmal, die Topographie des Terrors, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, das Jüdische Museum, die Wannsee-Villa, die KZ-Gedenkstätten Buchenwald, Bergen-Belsen, Dachau, Sachsenhausen und Ravensbrück zusammenführen. In dieser Einrichtung sollten Schwerpunkte für Projekte geschaffen werden und Mobilität der Mitarbeiter erfolgen. Neben der Stiftung würden die zahlreichen kleineren Einrichtungen in der jetzigen Trägerschaft von Gemeinden, Vereinen und Verbänden bestehen bleiben können.

Die Länder sollten sich an der Stiftung mit einem Anteil bezogen auf ihre jeweilige Bevölkerungszahl beteiligen. Es ist nicht einzusehen, dass ein Land wie Brandenburg jährlich Millionenbeträge für den Unterhalt seiner Gedenkstätten bereitstellen muss, nur weil auf seinem Territorium zwei Konzentrationslager errichtet waren, während andere Regionen davon verschont blieben.

Alle Bundesländer sind in der gleichen Verantwortung und sollten einen Beitrag leisten für den Unterhalt einer Stiftung, die ansonsten aber zu über fünfzig Prozent vom Bund finanziert werden müsste. Nur eine nationale Stiftung wird in der Lage sein, mit all ihren Einrichtungen die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten aufrecht zu erhalten.

Anbindung in allen Bereichen

Freilich bedarf eine derartige Stiftung der gesellschaftlichen Anbindung. An der Spitze sollte das ein Stiftungsrat sein, dem hohe politische Vertreter des Bundes und aller Länder angehören, auf jeden Fall Politiker. Dass der deutsche Staat und alle seine Länder sich aktiv mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander setzen, muss darin zum Ausdruck kommen. Politisch verantwortungsfreie Fachbeamte haben in diesem Gremium nichts zu suchen; sie sollen sich darauf beschränken, ihre politischen Vorgesetzten zu beraten. Die gesellschaftliche Anbindung müsste in den Bereichen Wissenschaft und Bildung erfolgen. Deswegen könnten die wissenschaftlichen Mitarbeiter zugleich Angehörige eines "Instituts für das Gedenken an den Nationalsozialismus und seine Verbrechen" sein, das an einer der Berliner oder an der Universität Potsdam zu gründen wäre. Bestehende Institute wie die Antisemitismus-Forschung an der Technischen Universität Berlin oder das Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam könnten in dieses Institut integriert oder ihm assoziiert werden. Hier sind Ort, Sinn und Form des Gedenkens immer wieder zu überdenken, internationale Kontakte zu knüpfen und über Multiplikatoren einzuwirken auf die nachwachsenden Generationen, von dort aber auch eine Rückkopplung zu bekommen über die tatsächliche Wirkung der Gedenkstätten.

Denn hierüber macht man sich vielerorts noch Illusionen. Die fast alltäglichen Ausschreitungen junger Rechtsextremisten gegen Minderheiten und Ausländer gerade in Brandenburg und deren vielfältige Billigung durch Angehörige der älteren Generation belegen im Bundesland mit der nach Berlin wohl größten "Gedenkstättendichte" deren begrenzten Einfluss auf das soziale Bewusstsein. Sachsenhausen und Ravensbrück müssen dringend angekoppelt werden an einen nationalen Dialog über das Gedenken, und die hochfliegenden Pläne für das Holocaust-Mahnmal in Berlin brauchen eine Verankerung durch den Bezug auf die authentischen Orte. Hier haben Michael Naumann und Christoph Stölzl die Chance, aus dem Streit über die Kulturmillionen für die Hauptstadt herauszukommen und einen fundamentalen Beitrag zu leisten, der am Ende nicht einmal mehr kosten müsste als das, was die Steuerzahler schon heute für das Erbe und die Erinnerung der deutschen Geschichte aufbringen.

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