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Annette Dasch (Elsa) und Petra Lang (Ortrud) in Richard Wagners "Lohengrin" in Bayreuth.

© Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath/dpa

Wie entsteht eine Kultinszenierung?: Buhs und Bumerang

Erst Pfui, im nächsten Jahr schon Hui? Udo Badelt besucht den "Lohengrin" bei den Bayreuther Festspielen - und wundert sich über die Genese von Kultinszenierungen.

Was muss das für ein Heulen und Schreien gewesen sein, 2010, als Hans Neuenfels – erstmals überhaupt – in Bayreuth inszeniert hat. Und sich nach dem „Lohengrin“ dem Publikum stellte, diesem mächtigen Ungeheuer, dessen Anblick schrecklicher sein kann als der Fafners in der Neidhöhle. Glaubt man denen, die dabei waren, prasselte ein Buhgewitter auf den Regisseur nieder, als würde sich der Schlund der Hölle öffnen. Und warum? Weil der Chor Rattenkostüme trägt!

Bei der Wiederaufnahme vergangenes Wochenende wurde auch geschrien. Vor Freude: stehende Ovationen, trampelnde Füße – was ja auf dem Holzboden im Festspielhaus besonders gut klingt –, Jubel, mindestens 20 Minuten lang. Der Applaus dauerte damit glatt drei Mal länger als bei der Eröffnungspremiere, Katharina Wagners „Tristan und Isolde“.

Klar, die Begeisterung gilt in erster Linie den „Lohengrin“-Sängern, allen voran Klaus Florian Vogt als betörendem, wenn auch etwas eindimensionalem Titelhelden. Aber von dem einstigen Hass auf die Inszenierung ist nichts mehr zu spüren. Umstandslos erkennt jetzt offenbar jeder deren Qualitäten an: dass es eben sehr sinnvoll sein kann, „Lohengrin“ in einem Versuchslabor anzusiedeln, weil hier alle Figuren gefangen sind in einem grausamen Spiel, dessen Regeln sie nicht kennen. Und wenn Hans Neuenfels den Schwanenritter bei der triumphalen Ankunft im ersten Akt nicht zeigt, sondern erst ganz am Ende der Szene verschämt durch eine Tür schlüpfen lässt, dann öffnet das geistige Räume, um das hohle Pathos, die Leere von Wagners Musik an dieser Stelle endlich mal (an)zu erkennen.

Oft wandeln sich heftig angefeindete Produktionen in relativ kurzer Zeit zu Publikumslieblingen. Wie entstehen diese geheimen Konventionen, dass „wir“ das jetzt plötzlich alle gut finden? Dem „Ring“, bei dem Regisseur Frank Castorf am Ende bekanntlich 15 Minuten alleine vor dem Vorhang Hohn und Spott ertrug (und herausforderte), wird es wohl ähnlich ergehen. Und auch Neuenfels’ bei der Premiere vehement abgelehnter „Nabucco“ an der Deutschen Oper Berlin (wo er den Chor zu Hummeln gemacht hatte) war bald Kult.

Buhs bei der Premiere sind analoger Shitstorm, und wie dieser ist die Haltbarkeit geringer als bei Milch, die man vergisst, wieder in den Kühlschrank zu stellen. Es scheint, als wäre ein gehöriges Maß an Anfangshass, an in die Welt hinausgeschleuderter Zuhörerleidenschaft geradezu nötig, um einer Inszenierung den nötigen Bewegungsimpuls zu verleihen – der sich dann auf mysteriöse Weise wie ein Bumerang umkehrt, in positive Energien umpolt. Für die schon am Samstag eher lauwarm empfangene Regie von Katharina Wagner kann das nichts Gutes bedeuten. Der „Ratten“-Lohengrin ist dieses Jahr leider zum letzten Mal zu sehen.

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