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Kultur: Wie es euch gefiel

Zeitenreise: Andreas Lewins Dokumentarfilm über die Schaubühne von Peter Stein.

Manchmal braucht es nur eine sehr einfache Idee. Der Berliner Dokumentar-Regisseur Andreas Lewin hatte für seinen neuen Film „Lontano. Die Schaubühne von Peter Stein“ den schlagenden Einfall, seinen Protagonisten vor einen PC zu setzen und ihn die Fernsehaufzeichnungen und Verfilmungen seiner eigenen Inszenierungen noch einmal anschauen und selber kommentieren zu lassen. So sehen wir mit ihm und ein bisschen wie durch seine Augen nun Ausschnitte des legendären Bremer „Torquato Tasso“ (von 1969) mit Bruno Ganz in der Titelrolle, gleichsam die Vorgeburtsstunde der ein Jahr später in Berlin-Kreuzberg am Halleschen Ufer begonnen Stein'schen Schaubühne. Sehen Therese Giehse in Brecht/Gorkis „Mutter“ als Steins Schaubühnen-Auftakt und dann Sequenzen beispielsweise aus dem über siebenstündigen „Peer Gynt“, aus „Shakespeare's Memory“, „Wie es euch gefällt“, aus dem „Sparschwein“, der „Trilogie des Wiedersehens“, „Groß und klein“ und der „Orestie“.

Peter Stein, heute 75, wird so zum Zuschauer einer geisterhaften künstlerischen Zeitreise. Und manchmal blickt er, der längst Wertkonservative, sich selbst wieder ins Gesicht, sieht in alten Interviews oder Probenausschnitten den jungen, idealkommunistisch-basisdemokratischen Mitbestimmungstheatermacher vor gut 40 Jahren. Aus Steins Privatbesitz gibt es zudem Urlaubsaufnahmen, Super-8-Filmszenen etwa von einer Sommerferienreise des Schaubühnen-Ensembles in die damalige Sowjetunion, zur Vorbereitung der dann fabelhaft intensiven Inszenierung von Gorkis „Sommergästen“. Im Gegenschnitt zeigt Lewin dabei die Theateraufführung und Steins Kinofilm mit denselben Darstellern. Man erlebt die jungen Gesichter, Gestalten, Gebärden von Edith Clever, Bruno Ganz, Jutta Lampe, Ilse Ritter, Otto Sander, Werner Rehm, Michael König und vielen anderen.

Das hat, vor allem für Kenner, seinen nostalgischen Reiz. Und gibt den Jüngeren, nicht Dabeigewesenen zumindest den Hauch einer Vorstellung, warum diese alte Schaubühne einmal ein Wallfahrtsort war für die Theaterneugierigen rund um den Globus. Dazwischen treten auch Schauspieler und künstlerische Mitarbeiter von einst auf und erinnern sich heute. Streifen wie Bruno Ganz (sichtlich bewegt) durchs Treppenhaus und den leeren, bis heute eher schäbigen Theatersaal am Halleschen Ufer (jetzt HAU 2), der sich in den Bühnenbildern von Karl Ernst Herrmann oder Antonio Recalcati einmal in wahre Wunder-Welträume verwandelt hatte.

Oder Schnappschüsse: die mädchenhafte Jutta Lampe bei einem frühen Schulungskurs mit einem Bändchen Marx-Engels in der Hand. Und Michael König, in seinen Anfängen ein radikaler Verehrer von Lenin und Mao, er zeigt jetzt unterm Kronleuchter auf seine Bücherwand. Ja, dort im Regal stehe nun die von ihm geschätzte „katholische Dogmatik“. König lächelt und fügt hinzu, auch die Bücher von Joseph Ratzinger, „den ich für den bedeutendsten Geist unserer Zeit halte“.

Wie sich die Zeiten ändern. Davon erzählt Andreas Lewins „besinnlicher Film“ (so Peter Stein) ganz implizit, ohne eigenen Kommentar, mit sanfter Melancholie. Nichts freilich von den Gründen, warum Stein die Schaubühne 1985 im Streit verließ. Keine kritische Wertung, die nicht. So kommt auch die Wandlung der Schaubühne vom Kreuzberger „Vorstadttheater“ zum Theatertempel am Kurfürstendamm kaum vor. Nur der Schauspieler Willem Menne erwähnt wie beiläufig ein Mal, dass das, was „hinterfotzig untergründig“ die Szene aufgemischt habe, danach eher „hehr und edel“ geworden sei.

Auch Peter Stein rechnet hier nicht mehr rotzig ab mit seinen vermeintlichen Gegnern im heutigen Theater oder in den Feuilletons. In nur schattenhaften Zwischensequenzen streift er durch die Gärten und Wälder seines Anwesens in San Pancrazio in Umbrien, schon aber sitzt er wieder im Sessel und erläutert jovial, sommerlich gebräunt und mehr Gutsherr als Theaterguru, wie das so kam und war mit der alten Schaubühne. Man hat ihn in einem öffentlichen Dokument selten so entspannt und heiter gesehen. Und wunderbar wirkt es, wenn er beim Betrachten der alten Szenen, die er oft noch auswendig mitspricht und rhythmisch skandiert, ganz Zuneigung ist für seine Schauspieler, für Edith Clever, Bruno Ganz, Elke Petri oder Libgart Schwarz.

Der größte Moment in „Lontano“ – italienisch das Wort für „entfernt", ein Begriff auch aus der Musik: Corinna Kirchhoff erzählt, wie ihr als gerade von der Schauspielschule gekommene blutjunge Irina in „Drei Schwestern“ (1984) der Theatergott P. S. ein festes Engagement angeboten habe, mit dem Hinweis, dies müsse nun ihr „Lebensinhalt“ werden. Die Schauspielerin wendet sich da ab von der Kamera, hält inne, sagt dann nur leise: „Das war das Ende meiner Jugend.“ Stein wiederum, der ihr an seinem Apple-PC vor der Kamera zusieht bei der Verkörperung des Tschechow-Mädchens von einst, bemerkt: „Wenn man sich vorstellt, wie damals Theater gespielt wurde!...“ Es sei das alles ja noch gar nicht so lange her, aber inzwischen? Peter Stein hat plötzlich feuchte Augen und will die Szene nicht weiter kommentieren. „Es ist für mich zu traurig.“ Peter von Becker

Der Film hat morgen, 7. September, um 20 Uhr Premiere in der Berliner Akademie der Künste (Hanseatenweg 10).

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