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Kultur: „Wie kommt die Kunst in das Kunstwerk?“

Tobias Rehberger verwirrt sein Publikum. Er lässt Sportwagen basteln und schafft Skulpturen, die „behindert“ sind

Herr Rehberger, nehmen sich die meisten Künstler zu wichtig?

Das ist wie bei anderen Berufen auch: Es gibt welche, die sich zu wichtig nehmen, und welche, die sich nicht wichtig genug nehmen. Ich kenne vor allem Künstler, die sich nicht so wichtig nehmen.

Ihr Werk wirkt wie ein lustvoller Generalangriff auf die Ernsthaftigkeit des Kunstbetriebs. Sie haben Handwerker aus Kamerun Möbeldesignklassiker nachbauen lassen, Museumswärterinnen strickten Pullover nach Ihren Bildern. Wollen Sie die Vorstellung vom Künstler als „Originalgenie“ Lügen strafen?

Darum geht es auch. Wobei ich mich nicht lustig machen will, für mich ist das ein ernsthaftes Problem: Wo kommt die Kunst her und wie gelangt sie in das Kunstwerk? Die Begrifflichkeit vom Künstlergenie stammt aus dem 19. Jahrhundert, ist aber immer noch omnipräsent. Beim Publikum noch mehr als bei den Künstlern. Deshalb arbeite ich an diesem Thema. Nicht weil ich es besser wüsste, ich zweifle nur sehr daran, dass Leute, die kreativ arbeiten, Genies sind. Gegen diese antiquierte Vorstellung gehe ich mit meinem Werk an.

Der Geniekult des 19. Jahrhunderts drängte Künstler in die Rolle von Ersatzpriestern, die einer immer stärker säkularisierten Gesellschaft Sinn geben sollten. Noch Beuys, der sich als Schamane inszenierte, bediente diese Vorstellung. Warum finden Sie dieses Künstlerbild lächerlich?

Weil es so naiv ist: Der Künstler ist nach dieser Vorstellung ein Auserwählter, er wird sozusagen von der Hand Gottes berührt, seine Geistesblitze kommen von ganz oben. Ich hingegen glaube, dass Kunst, sowohl beim Betrachter als auch beim Produzenten, ein Willensakt ist. Man muss einen Gegenstand als Kunst angucken wollen, dann wird er Kunst. Über die Sprudelflasche, die auf dem Tisch vor uns steht, kann ich auch als Skulptur diskutieren. Ideologische Begriffe, und Religion ist zweifellos einer, sollte man aus der Kunst heraushalten. Joseph Beuys hat interessante Arbeiten gemacht, aber der Teil, der mit Schamanismus aufgeladen ist, gehört für mich nicht dazu.

Sein hohepriesterartiger Hut zum Beispiel?

Den sehe ich eher als Marketingtechnik.

Auch in Ihrer neuen Arbeit „major problems in minor societies“ spielen Sie mit Originalität und Autorschaft. Im Mittelpunkt stehen acht Skulpturen, deren Form von Minimal-Art-Klassikern und vom Achtzigerjahre-Design inspiriert wurde.

Von dort aus gedacht habe ich es nicht, es ist eher eine Collagetechnik, in der es sehr viele Anspielungen zu entdecken gibt, von Frank Stella bis zum Memphis-Design. Ich glaube, als Künstler ist man eine Art Katalysator, es gehen sehr viele Dinge durch einen hindurch. Mit der Fragestellung „Original oder Nichtoriginal?“ hat die Arbeit weniger zu tun, es ging mehr um die Frage der Funktionalität: Welchen Gebrauchswert hat ein Kunstwerk? Die Objekte sehen nach klassischer autonomer Skulptur aus, haben aber alle eine Fehlfunktion eingebaut, sind quasi behindert.

Aus einer Skulptur tropft Wasser, bei einer anderen flackert ein kaputtes Licht. Sie nennen diese Werke „handicapped sculptures“, behinderte Skulpturen. Haben Sie keine Angst, dass Ihre Kunst als Kalauer missverstanden wird?

Habe ich nicht, weil ich weiß, wie ernsthaft ich mich mit den Problemen beschäftige, um die es in meiner Kunst geht. Man kann natürlich auch eine Rolle Filz als Kalauertum begreifen. Kunst ist nicht dafür da, etwas zu lösen. Sie stellt vielmehr ungelöste Probleme dar. Und man kann als Betrachter versuchen, daran seine Beschränktheiten zu überwinden.

Sie haben Künstlerfreunde in Form von Blumenvasen porträtiert und Doppelbetten nach Vorlagen befreundeter Frauen gebaut. Wer nicht genau hinschaut, kann Ihre Skulpturen für Design halten.

Mir geht es nicht darum, die Grenzen zwischen Kunst und Design zu verwischen. Dadurch, dass ich mich mit meinen Arbeiten in diese Gefahr der Verwechselbarkeit begebe, lernt der Betrachter, Dinge zu unterscheiden. Ich bin an Differenzen interessiert, nicht an Ähnlichkeiten. Die Ähnlichkeiten sind offensichtlich, spannender sind die Unterschiede.

Und worin bestehen die Unterschiede: im Kontext eines Gegenstands?

Das wissen wir seit knapp hundert Jahren, seitdem Duchamp sein Urinal ausgestellt hat. Aber warum kann nicht das gute Gefühl, das man hat, wenn man sich im Sommer auf eine Skulptur von Richard Serra setzt, auch ein Qualitätskriterium für eine Serra-Skulptur sein? An solchen Fragen arbeite ich.

Zu den Merkmalen Ihrer Kunst gehört die geteilte Autorschaft. Sie haben eine Idee, ein anderer führt sie aus.

Es gibt auch den umgekehrten Fall. Für eine Ausstellung habe ich Schreinerarbeiten ausgeführt, bei denen die Entwürfe vom Schreiner kamen. Das war eine Serie von Regalen, die am Ende tatsächlich funktionstüchtig waren. Da sind wir wieder bei der Frage, wo denn die Kunst herkommt. Der Künstler ist der Urheber, er hatte die Idee, aber wo kommt sein Input her? Wenn ein Künstler morgens auf dem Weg ins Atelier an einer gelben Straßenbahn vorbeikommt und deshalb nachher beim Malen die gelbe Farbtube in die Hand nimmt, geschieht das unbewusst. Das möchte ich aber ein bisschen sichtbarer machen, deshalb versuche ich oft, Entscheidungen abzutreten. Dass ein Künstler völlig kontrolliert, was er herstellt, ist ein Mythos.

Sie geben die Kontrolle aus der Hand.

Ich versuche, eine gewisse Metakontrolle zu kriegen, indem ich bestimmte Dinge offensichtlich von anderen kontrollieren lasse. Das funktioniert auch.

Waren die Marcel-Breuer-Sessel und Rietveld-Stühle benutzbar, die Sie nach Skizzen aus Ihrem Gedächtnis von afrikanischen Handwerkern bauen ließen?

Man konnte auf ihnen sitzen, aber sie waren teilweise nicht so super gebaut. Wenn man jemanden mit Formen konfrontiert, auf die er seine Technik bisher noch nicht oft angewandt hat, ist das eine Überforderung. Bei einem Alvar-AaltoHocker zum Beispiel hatte der Handwerker die Beine einfach angenagelt. Das war ziemlich wackelig, im täglichen Gebrauch müsste man da alle zwei Tage neu nageln. Und natürlich musste heftig improvisiert werden. Das Stahlrohr für einen Marcel-Breuer-Sessel wurde aus alten Wasserleitungen zurechtgebogen.

In der Hamburger Kunsthalle gibt es einen Raum von Ihnen, der dem Wartesaal des Basler Bahnhofs nachempfunden ist. Weil er sich in einem Durchgang befindet, wirkt er wie ein Flur. Macht es Ihnen Spaß, Museumsbesucher zu verwirren?

Ich versuche nur, Differenzen zu lokalisieren. Eine Technik dafür ist die Camouflage. In Hamburg könnte sich der Museumsbesucher fragen: Warum gucke ich so unsensibel auf diesen Raum, dass ich nicht gleich bemerkt habe, dass er Teil der Ausstellung ist? Woran macht es sich fest, dass ich Kunst sofort bemerke, außer wenn eine Bronzeskulptur mitten im Raum auf einem Sockel steht?

Die Beleuchtung des Hamburger Raums wird durch ein gegenüber stehendes Bürogebäude gesteuert. Wenn dort eine Lampe eingeschaltet wird, wird es auch in der Kunsthalle heller. Ihr Kommentar zur wachsenden Vernetzung der Welt?

Vielleicht. Aber das hat wieder diesen Kontrollaspekt, der mich auch in einem Museum interessiert, das vorgibt, die Kontrolle über alle Dinge in seinem Inneren zu haben. Es gibt Spezialisten in so einem Haus für alles, aber ein ganz wesentlicher Teil von Kunst ist ihre Visualität, und wenn das Licht weg ist, wird ihr sozusagen der Boden unter den Füßen weggezogen. Nur weil eine Sekretärin im Büro gegenüber mal aufs Klo geht.

In Thailand haben Sie einen Porsche 911 und einen McLaren F1 nach Ihren Zeichnungen konstruieren lassen. Haben Sie sich einen Kindertraum erfüllt?

Mittlerweile habe ich neun Autos bauen lassen. Dem Kindheitstraum nahe kam nur eine Arbeit, ein Mercedes C111. Das war der Prototyp eines Sportwagens mit Flügeltüren aus den siebziger Jahren, der nie in Serie ging. Da habe ich mir über Ebay ein altes Autoquartett besorgt, um nach dem Bild daraus das Auto in Auftrag zu geben. Interessiert haben mich Fragen wie: Was ist Modell, was die wirkliche Arbeit? Die riesige Diskrepanz zwischen einem minimalen Entwurf mit sehr wenigen Informationen und dem sehr komplexen Ergebnis finde ich spannend. Im Lauf der Zeit habe ich die Angaben immer weiter minimiert. Der nächste Schritt waren zwei Entwürfe des VW Käfers, die Skizze des ursprünglichen KdF-Wagens von Ferdinand Porsche aus den dreißiger Jahren und eine Skizze von Hitler. Das sind fitzelige, fünf Zentimeter große Zeichnungen. Die habe ich den Jungs in Thailand geschickt und die haben daraus Autos gemacht. Als ich zuletzt zwei Renault Alpines bestellte, habe ich nur noch angerufen und gesagt: Baut mir so ein Auto. Da gab es nicht mal mehr die Zeichnung, nur noch die Vorstellung von dem Wagen.

Sind die Autos fahrbereit?

Man kann mit ihnen fahren, die würden bloß niemals vom TÜV zugelassen. Das waren meine einzigen Vorgaben: Man muss die Autos lenken und bremsen können und sie müssen vorwärts kommen. Klappt alles. Die Entscheidung, wie viel sie von den Autos selber bauen, lag völlig bei den thailändischen Herstellern. Sie hätten mir auch ein fertiges Auto kaufen können. Einige Handwerker haben bis zum Fahrwerk alles selber gebaut, anderer haben nur ein Chassis genommen und darauf eine Karosserie gebastelt.

Wer sitzt heute in den Autos?

Niemand, sie stehen bei Sammlern in Italien, Mexiko, und eins gehört dem Centre Pompidou.

– Das Gespräch führte Christian Schröder.

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