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Wut macht schöpferisch. Thatcher-Gegner und Songwriter Billy Bragg.

© AFP

Wie Maggie Thatcher Künstler prägte: Als die Kunst sich mit dem Geld versöhnte

Margaret Thatcher unterwarf die britische Kultur den Marktgesetzen. Dafür wurde sie gehasst – und weckte den Unternehmensgeist.

Die Frage nach seiner wichtigsten Inspiration beantwortete der britische Sänger Billy Bragg gerne mit „Margaret Thatcher“. Der kreative Widerspruch zu Thatcher prägte eine ganze Generation von Künstlern. Auch am Tag ihres Todes rief Billy Bragg wieder zur Aktion: Statt „Thatcher-Todestag-Partys“ zu feiern, müsse man jetzt den Protest gegen die Regierung organisieren, schrieb er auf Facebook.

Die Nachhaltigkeit von Thatchers Wirkung macht sich auch in der Kultur bemerkbar. Die zur Ikone gewordene Überzeugungspolitikerin diente als letzte Chance für Künstler, sich gemeinsam an einem zeitgeschichtlichen Thema abzuarbeiten: dem grauen, kämpferischen England der Achtzigerjahre, dem Nebeneinander von versinkendem Arbeiterstolz und der Geldverehrung der neuen Yuppies. Während Thatcher mit ihrer Idealisierung des strebsamen Kleinbürgers, ihrem Hass auf den Stolz der Arbeiterklasse und die Arroganz der alten Eliten die Klassengesellschaft demontierte, konnte die Kultur noch einmal die Klassenthemen des alten England beschwören. Mit den Filmen von Mike Leigh und Ken Loach, Stephen Frears’ „Mein wunderbarer Waschsalon“ auf der einen und mit wehmütigen Reminiszenzen an die verlorene Upper Class in den Produktionen von Merchant-Ivory wie „A Room with a View“ oder TV- Serien wie „Brideshead Revisited“ auf der anderen Seite – bis zur populären TV–Serie „Downton Abbey“ in heutigen Tagen.

Als Protagonistin ihrer Zeit geistert Maggie Thatcher durch Literatur und Film wie einst Elizabeth I., die „Virgin Queen“, durch die englische Renaissance: im Musical „Billy Elliott“, im Londoner Bühnenhit „The Audience“, in Meryl Streeps Welterfolgsfilm „Die eiserne Lady“. Die Gegenkultur, die sie in den Achtzigern inspirierte, erscheint da wie eine Fußnote. Joe Strummers „The Clash“, Elvis Costello und Paul Weller gehörten zu dem von Billy Bragg organisierten „Red Wedge“ und standen in den Sozialkämpfen jener Zeit für Labour und die Bergarbeiter. Wenn sich Braggs Mitstreiter Morrissey – berühmt für „Margaret on the Guillotine“ auf dem Soloalbum „Viva Hate“ – jetzt noch einmal seinen Hass von der Seele schreibt und Thatcher im „Daily Beast“ als „Terror ohne ein Atom von Menschlichkeit“ bezeichnet, erinnert das an die Kriege von damals. Die ThatcherPuppe in der TV-Satire „Spitting Image“ – immer im Frack oder Anzug mit Zigarre als Verkörperung des Faschisten-Kapitalismus – zeugt zwar noch von der Bitterkeit jener Kämpfe (und von der grenzenlosen Freiheit des britischen Humors). Aber auch sie ist fast vergessen.

Geblieben ist der Kultur von Thatcher eher ein paradoxer Nebeneffekt: ein hohes Maß an Unternehmergeist und Improvisationstalent. Der britischen Szene fehlt jede Weinerlichkeit. Denn die Eiserne Lady hatte mit Kultur ja wenig im Sinn. Mitterands Vermächtnis war die Pariser Nationalbibliothek oder der neue Louvre, Thatcher hinterließ das neue Manhattan der Docklands, wo Bauvorschriften abgeschafft und den Architekten des Kapitals freie Hand gelassen wurde, Londons neue Skyline zu bauen.

Für ein Museum, eine Oper, ein Filmstudio machte sie Marktregeln geltend: Wenn deren Produkte keinen Absatz fanden, hielt sie Subventionen für sinnlose Verschwendung. So wurden Fördermittel reduziert, die Etats der Museen zusammengestrichen, es regnete durch die Dächer des Britischen Museums, der freie Eintritt wurde abgeschafft. Auch die Bedeutung der subventionierten Royal Shakespeare Company und des National Theatre schrumpfte. Dafür entstanden private Theatertruppen wie Kenneth Branaghs Renaissance Theatre Company.

Es war eine Rosskur, die den britischen Kultureinrichtungen bis hinauf zur Royal Opera den Dünkel austrieb. Dank der von John Major eingeführten National Lottery und den Investitionen der Labour-Partei sind etliche heruntergewirtschaftete Institutionen in neuem Glanz erstrahlt – und der freie Eintritt wurde wieder eingeführt. Aber in den Häusern herrscht jetzt ein vitaler Dienstleistungsgeist, der sich nicht scheut, Erfolg auch an der Zahl und Zufriedenheit der Besucher zu messen.

Es sind die Young British Artists um Damien Hirst, die zu Thatchers wahren Kindern wurden. Witterten sie in den vom Wirtschaftskahlschlag leer gefegten Fabriken doch ihre Chance, bauten Ateliers, präsentierten Ausstellungen, brachten Kunst an den Mann wie Autos. „Ich mache Kunst, die meine Mutter verstehen kann“, sagte Hirst, der thatcheristische Künstler par excellence. Die „Freeze“ als erste Ausstellung der Young British Artists datiert übrigens auf das Jahr 1988, als Morrissey „Margaret auf die Guillotine“ sang .

Das kulturelle Vermächtnis Thatchers ist wohl diese Versöhnung der Künste mit dem Geld und dem Unternehmertum. Labour hat ihr Erbe bewahrt: Image, Mode, Selbstdarstellung, das Spiel mit der Identität zählen mehr als die Suche nach dem sozial Authentischen. Im kreativen Großbritannien, im urbanen London findet Kultur in einem Koordinatensystem statt, in dem die soziale Gemeinschaft durch das „Anything goes“ der Globalisierung und einen eher wurzellosen Individualismus abgelöst ist. Das verleiht der Kultur von Thatchers Kindern ihre erschreckende Aktualität.

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