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Kultur: Wie man (fast) unfehlbar bleibt

Vor Benedikts Türkei-Besuch: eine kleine Geschichte der päpstlichen Korrekturen

Hat Ihr Chef schon mal einen Fehler eingeräumt? Es war mal ein Papst, der dem Gesandten eines anderen Bischofs den Fuß küsste: 900 Jahre nachdem beider Vorgänger sich wegen Fußkussverweigerung verzankt hatten. Es war mal ein Papst, der zugab, in der Kurie sei zuletzt alles immer schlimmer geworden. Es war mal ein Papst, der abdankte, weil er vom Papstberuf nichts verstand. Und einer, der wie ein Schlosshund heulte, als ihm sein Versagen klar wurde. Halt, sagen Bibelkenner, das war kein Papst, sondern Petrus! Muss ein echter Papst stur sein?

Kurz vor dem Türkei-Besuch des Pontifex Nr. 265 blühen die Erwartungen: Wie Benedikt XVI. wohl den Muslimen begegnen wird – und dem Ehrenprimas der seit 952 Jahren von Rom getrennten orthodoxen Christen. Nachdem er die Resonanz auf seine Regensburger Rede vom 12. September bedauert hatte, war die Reaktion muslimischer Repräsentanten positiv, obwohl sein Pardon nur zwischen den Zeilen stand: Die zitierte Islamschelte eines byzantinischen Kaisers, kommentiert eine Fußnote auf der Vatikan-Homepage, sei „leider als Ausdruck meiner eigenen Position aufgefasst worden und hat so begreiflicherweise Empörung hervorgerufen. Ich hoffe, dass der Leser meines Textes sofort erkennen kann, dass dieser Satz nicht meine eigene Haltung dem Koran gegenüber ausdrückt, dem gegenüber ich Ehrfurcht empfinde.“ Selbstkritik, frohlocken Kirchenkritiker – als bröckele das Unfehlbarkeitsdogma.

Dabei kann von der Korrektur eines unfehlbaren Ex-Cathedra-Spruchs noch nicht die Rede sein. Doch im Jubel der Wunschdenker stecken Fragen: Ob „das einzige absolutistische System, das die Französische Revolution heil überstanden hat“ (Hans Küng), sich doch durch Stilwandel selbst reformiert. Ob es ein fossiles Kuriosum wird – oder ein Zukunftsmodell.

Zu den Stilreformen im Historienlauf gehörten sowohl der päpstliche Machtausbau als auch der Konziliarismus zur Stärkung des Bischofskollegiums und Kontinuitätsbrüche zwischen Amtsnachfolgern. So gab es einen Papst, der mit Irrlehren sympathisierte und von drei Nachfolgern und einem Konzil zum Häretiker erklärt wurde. Oder einen, dem, politisch motiviert, zwei Nachfolger den Prozess machten, indem sie seine Leiche massakrieren und in den Tiber werfen ließen. Oder einen, der seinen universalen Machtanspruch als heilsnotwendig für jede Kreatur erklärte und sein Standbild am Hochaltar platzierte. Schließlich jenen Papst, der als erster solo ein Dogma verkündete: dass die Mutter Jesu durch Gnadenvorschuss auf das Erlöserkonto ihres Sohnes allzeit sündenfrei gewesen sei – die „Unbefleckte Empfängnis“. Anthropologisch gedeutet: der Glaube an einen unzerstörbar guten Kern der Menschheit. 16 Jahre nach dieser Proklamation von 1854 wird das I. Vatikanische Konzil den Alleingang rückwirkend mit dem Unfehlbarkeitsdogma absegnen – und dem Papst „die Fülle der höchsten Vollmacht gegenüber allen Hirten und Gläubigen“ zusprechen. Hintergründig ergänzen sich die Dogmen von 1854 und 1870: Die Überzeugung, der Papst werde nicht irren, falls er („ex cathedra“) zum Äußersten schreitet, gründet in dem alten Glauben an eine Unfehlbarkeit der Kirche. An ihren unverfälschten Kern, den „die Pforten der Hölle nicht überwältigen“: die Hoffnung auf unverlierbare Wahrheit. Ein geplantes Pendant zur päpstlichen Machtformel – über die Gemeinschaft der Bischöfe – hat das Vaticanum I verhängnisvollerweise nicht mehr formuliert.

Seine Kritiker befürchten: Ein unfehlbarer Papst gefährde die Zivilisation, die Demokratie! Den Dialog der Kirchen. Denn orthodoxe Theologie kennen nur die Unfehlbarkeit des ganzen Gottesvolkes oder, davon abgeleitet, der gesamtkirchlichen Synoden. Und Luthers Überzeugung, die „allgemeine Kirche“ werde im Glauben nie irren, bezieht sich auf kein Amt, sondern auf die verborgene überkonfessionelle Gemeinde der wahren Gläubigen.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewältigen Päpste die Spannung zwischen monströsem Amt und Person unterschiedlich. Pius XII. panzert sich mit Unnahbarkeit und liefert 1950 den Ex-Cathedra-Casus Nr. 2. (noch ein Marien-Dogma). Der Bauernsohn Johannes XXIII. „der Gute“ regiert schlicht am „bedrohlichen Text“ des ihn mit „phantastischer Machtfülle“ überladenden Unfehlbarkeitsdogmas vorbei und beruft, „als er den Pressionen seiner Umgebung nicht mehr standhalten konnte, ein neues Konzil ein“ (Hans Urs von Balthasar). Paul VI. zerbricht an der Zerreißprobe, die Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil zwischen Tradition und Aufbrüchen zusammenzuhalten. Der Medienpapst Johannes Paul ersetzt den Pluralis Majestatis durch das Amtsträger-Ich, legitimiert seine Autorität durch omnipräsente Außenwirkung. Wo man sich bislang höchstens implizit entschuldigte, bittet er – allgemein – um Vergebung. Irrtümer kennt die vatikanische Chronik nach wie vor keine; und wo doch, sei das eben kein unfehlbarer Spruch im Sinne der Dogmatik gewesen.

Von Benedikt XVI. erwartet man, dass er wie sein Vorgänger den integrierenden Weltombudsmann gibt. Als sei das seine Hauptfunktion. Aber wie ein solcher Megapapa mit Bischofskollegen kommuniziert, wie sich Konzilien und Päpste zu- und miteinander verhalten, wie Basis und Chefetage sich in dieser Gesellschaft Gottes beeinflussen, wie man mit Macht umgeht, wo Gottes Geist oben und unten zugleich wirken soll: Das harrt, in schönen Dekreten beschrieben, der Umsetzung. Seltsamerweise wurde vor rund 900 Jahren die Entfremdungsspaltung zwischen West- und Ostkirche theologisch mit dem Dissens über einen Credo-Zusatz begründet, der besagt: Im Binnendialog der Dreieinigkeit gehe der Geist zugleich vom Vater und vom Sohn (lat. filioque) aus. Manche Theologen erkennen in solch einer paradoxen Aussage über Gott, der offenbar Kollektiv und Trialog sein soll, das Modell „Einheit in Vielfalt“. Wenn die personifizierte Einheit, der Heilige Geist, von „oben“ und „unten“ ausgeht, entstände wahre Einheit aus politisch spannender Polarität: hierarchisch und demokratisch zugleich.

Kirche und Zeitgeist korrespondieren – im Widerspruch. Der Säkularisation gingen im Mittelalter Kämpfe um die Machtbalance zwischen Papst und Kaiser voraus; aber bis der römische Bischof auf „weltliche Gewalt“ wie die Absetzung exkommunizierter Könige verzichtete, vergingen weitere Jahrhunderte. So muss auch der Islam, dem Benedikt XVI. in der laizistischen Türkei begegnen will, die Trennung geistlicher und weltlicher Macht theologisch noch verarbeiten.

Zentrale Lehrautorität heute gibt es für Jünger des Propheten nicht. Als unfehlbar gelten neben Mohammed und dem Koran seine Tochter Fatima und zwölf Nachfolger. Übersetzung ins Jetzt ist das Modernisierungsproblem: Ein historisch-kritisches Verständnis der Quellen fehlt. Weitere Konflikte mit dem Westen entstehen aus dem Zweifel am Modell demokratischer Pluralismus, dem der Sinn für das Heilige abgeht sowie die Balance zwischen den Rechten des Individuums und den verbindenden Werten des Kollektivs. Eine Kirche, die nicht „Roma locuta, causa finita“ sagt, sondern ihre Offenbarung historisch fortschreitend im Kontext der Gegenwart entfaltet, kann den muslimisch-christlichen Dialog anregen.

Doch kein Mufti wird das wegweisende, hierarchisch-demokratische Gesellschaftsmodell einer Kirche erkennen, deren Bischöfe nur Weisungen von Rom ausführen. „Episkopat und Primat“ hieß das Buch eines berühmten Jesuiten und eines jungen bayerischen Theologen 1961, vor Beginn des II. Vaticanums. Darin betont der Jesuit, Kirche sei keine absolute Monarchie, der Papst könne die Bischöfe nicht abschaffen, beide Ämter seien göttlichen Rechts. Anders als der Zölibat; weshalb die Kirche – trockener Scherz – auch eine Erbmonarchie sein könnte. Ebenso müsse eine Papstwahl durch alle Bischöfe denkbar sein! Der Bayer behauptet, das I. Vaticanum habe die „einlinigen Lösungen“ Episkopalismus und Papalismus verurteilt. Die Kirche sei kein Kreis ums Zentrum, eher eine dialektische Ellipse mit zwei Brennpunkten: Papst und Bischöfe dürfe man nicht „gegeneinander ausspielen“. Ihr „lebensvolles Zueinander“ realisiere sich in „allzeit menschlich gebrochener Gegebenheitsform“.

Das Nachspiel dieser Reflexion fand 38 Jahre später statt: Da attackierte Joseph Ratzinger, nunmehr Chef der Glaubenskongregation, seinen Kardinalskollegen Walter Kasper, den neuen Leiter des Päpstlichen Sekretariats für die Einheit der Christen, kurz nach dessen Amtsantritt. Kasper hatte in einem Aufsatz gemahnt, die Balance zwischen „universaler Kirche“ und Ortskirchen gehe verloren, wo Erstere von der Glaubenskongregation „unter der Hand“ nur mit Papst und Kurie identifiziert werde. Ratzinger kontert: Diese Sichtweise entstehe, wenn man die mängelbehaftete Institution betrachte und nicht „die große Gottesidee Kirche“. Der offene Disput wird weltweit in den Medien ausgetragen. Kaspers letzte Replik in einer Jesuitenzeitschrift stellt die Frage, „ob solche Überlegungen denn wirklich folgenlos bleiben müssen.“

Folgenlos ist das Treffen am Vorabend des orientalischen Weihnachtsfestes 1965 – die erste Begegnung eines Papstes mit dem orthodoxen Ehrenprimas, seit West- und Ostkirche sich 1054 vice versa exkommuniziert hatten – nicht geblieben. Am Ölberg in Jerusalem lesen der Grieche Athenagoras und der Italiener Paul VI. gemeinsam das Kapitel aus dem Evangelium, in dem Jesus seinen Freunden aufträgt, eins zu sein. Man liest im Wechsel: aus dem zweisprachigen Nestle-Aland Graece und Latine, einer klassischen protestantischen Edition, unverzichtbar für jeden christlichen Theologen. Eine Dialogszene von ökumenischer Symbolik, in der zwei weitere Religionen, topografisch bedingt, unsichtbar präsent sind. Sehen, lesen, hören. Das Protokoll tritt zurück. „Die Unterschiedlichkeiten doktrinärer, liturgischer und disziplinärer Natur werden geprüft werden müssen zu geeigneter Zeit, im Geist der Wahrheitstreue und brüderlicher Nächstenliebe“, sagt der Papst. Der gegenseitige Bann wird aufgehoben. Dann besucht man einander in Rom und Istanbul.

Benedikt, der Gutwillige, musste in Regensburg erleben, dass professorale Soli seinem Amt schaden. Zuvor hatte er im TV-Interview Unkenntnis der evangelischen Welt demonstriert, indem er „Bekennende Kirche“ und „Bekenntnisbewegung“ verwechselte (ohne den Lapsus in der Schriftform zu korrigieren). Wird der Hochgelehrte sich künftig helfen lassen? Auch dürfte orthodoxe Bischöfe interessieren, ob er nationale Bischofskonferenzen achtet oder gängelt – wie jüngst die amerikanische. Ob er den Episkopat brüskiert (wie mit seinem Plan, die vorkonziliare Messe wieder zuzulassen). Jede Zeit hält ihr Papstmodell für ultimativ. Der Primatsstil fürs 21. Jahrhundert soll noch gefunden werden. Seinen Nestle-Aland hat Papst Ratzinger dafür bestimmt auch in Byzanz dabei.

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