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Kultur: Wie rechnet sich Entschädigung?

Für alle Folgen ökonomischer NS-Verbrechen hatte die deutsche Wirtschaft mit einer Stiftung vorgesorgt. Doch jetzt gibt es den Fall Wertheim. Und Deutschland befindet sich in der bisher größten Restitutions-Affäre

Von Gerwin Klinger

Wertheim – seit 1892 stand der in Berlin für Pracht und Luxus. Wertheim war das Warenhaus der Extraklasse: Sein Mutterhaus in der Leipziger Strasse, vom Baedecker gepriesen, bot eine pompöse Inszenierung der überbordenden Warenwelt aus industrieller Massenproduktion. Grandios, aber ein Haus für jedermann, ohne Vorzugsbehandlung für „bessere Herrschaften“, darauf achtete der alte Georg Wertheim. 1933 wurde die Familie vertrieben, der Besitz enteignet. Auch der jüdische Name sollte getilgt werden – aber das Label war nicht „arisierbar". Aber wer das Recht hat, es zu nutzen, ist derzeit so unklar wie nie.

Der akute Restitutionsstreit um den ehemaligen Kaufhaus-Konzern (siehe Tsp vom 18.7.) gleicht einer Pokerrunde im Hinterzimmer der internationalen Geschäftswelt und ihrer Politiker. Auf dem Spiel steht Berliner Immobilienbesitz, darunter ein gewaltiges Areal am Leipziger Platz, geschätzt auf 250 Millionen Euro. Dort hat die Bundesregierung große Investitionen angeschoben: Die Bauvorhaben der Treuhandliegenschaftsgesellschaft, der Bauwert Property Group und des ECE Projektmanagements, auf 400 Millionen beziffert, sollen 2003 starten. Auf der politischen Ebene geht es darum, ob der Schlussstrich, den Regierung und Wirtschaft mit dem Zwangsarbeiter-Entschädigungsfonds ziehen wollten, funktioniert. Das deutsch-amerikanische Regierungsabkommen vom Juli 2000, das Firmen hier zu Lande vor Schadenersatzforderungen aus den USA schützen soll, wird durch eine Klage der Wertheim-Erben in New York belastet. Sie richtet sich gegen die KarstadtQuelle AG, die 1994 den Hertie-Konzern schluckte, welcher in den 50er Jahren Wertheim und damit Teile der Immobilien übernommen hatte.

Mehrdeutiges Schweigen

Angesprochen auf den Fall gibt sich KarstadtQuelle zugeknöpft: „Mit Rücksicht auf das schwebende Verfahren äußern wir uns nicht.“ Mehrdeutig klingt die Sprachregeluung des Bundesfinanzministeriums: „Die Gespräche werden zeigen, wo man sich annähern kann.“ Die grundstücksverwaltende Treuhand verfügt angeblich nicht mal über Listen der Immobilien. Die Jewish Claims Conference (JCC) lässt nur verlauten: Die Angebote der Gegenseite seien ungenügend, es werde verhandelt. Auskunftsfreudig sind lediglich die Anwälte der Wertheim-Erben, sie müssen sich ihren Platz am Spieltisch erst erstreiten.

Der Fall Wertheim, in dem sich internationale Politik unentwirrbar mit Unternehmensinteressen verschränkt, reicht zurück bis zu dem „Arisierung“ genannten Raubzug gegen jüdischen Besitz. Zug um Zug wurde nach 1933 der Wertheim-Besitz enteignet: Repressionen setzten mit den Boykott-Aktionen gegen jüdische Geschäfte im April 1933 ein. Unter dem Druck der Nazis überschreibt der getaufte Firmen-Chef Georg Wertheim 1934 seine Firmenanteile auf seine nichtjüdische Ehefrau Ursula, die sich später scheiden lässt. 1937, nach dem Ausscheiden Georg Wertheims, wird der Konzern für „deutsch“ erklärt und in AWAG (Allgemeine Warenhandels-Gesellschaft) umbenannt: Ein „arisches“ Konsortium verwaltet den Aktienbesitz, geführt vom Firmen-Justiziar Arthur Lindgens, der 1941, zwei Jahre nach dem Tod des alten Patriarchen, Ursula Wertheim heiratet, sowie durch Emil Georg von Stauß von der Deutschen Bank. Hermann Göring und NSDAP-Reichsleiter Bormann drängen auf die völlige Arisierung, zumal Wertheim-Grund für den Bau der Reichskanzlei gebraucht wird. Weitere Familienmitglieder werden auf der Flucht ins Exil zu Billigverkäufen ihrer Anteile genötigt. Nach Kriegsende, als die Wertheim-Neffen Günther und Fritz sich von den USA aus bei deutschen Gerichten bemühen, ihre Aktienpakete zurückzubekommen, reist Lindgens nach New York und erklärt den beiden, ihr Besitz sei von den Sowjets enteignet oder zerstört. Für je 20000 DM luchst er ihnen am 7. November 1951 die keineswegs wertlosen Anteile ab. Da hatte er mit dem Hertie-Chef Georg Karg, „Ariseur“ des Kaufhauses Tietz, längst einen Deal eingefädelt: Zehn Tage später wird Wertheim mit Hertie zusammengeführt.

Noch zweimal kann Hertie (später Karstadt/Quelle) aus dem dubiosen Wertheim-Deal Honig saugen. Erstens ist da das Lenné-Dreieck: Nachdem dieses Ost-Berliner Areal in Mitte durch einen Gebietstausch 1988 an West-Berlin übergegangen war, beansprucht der Kaufhauskonzern die dort liegenden Wertheim-Grundstücke und erhält sie 1991 vom Land Berlin zugesprochen; KarstadtQuelle, der neue Hertie-Eigentümer, verkauft die 20000 Quadratmeter im April 2000 für 150 Millionen Euro an den Metro-Gründer Otto Beisheim, der auf diesem Terrain für über 400 Millionen ein „Beisheim-Center“ plant, zur Vollendung des Potsdamer Platzes. Die zweite günstige Gelegenheit war mit dem Mauerfall gekommen: Unter Berufung auf den Vertrag von 1951 beantragte Hertie beim Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (Larov) die Restitution früheren Wertheim-Besitzes im Osten.

Aber die Wiedervereinigung ruft weitere Protagonisten auf den Plan: Da die Wertheim-Erben in den USA die Anspruchsfrist des Restitutionsgesetzes versäumen, kommt die JCC zum Zug, die als Generalsachwalter erbenlosen jüdischen Eigentums zeitig Anspruch auf die Ostgrundstücke erhoben hatte. Das Finanzministerium wiederum, selbst voller Begehrlichkeit, erklärt, bei diesem Ostberliner Gelände gehe es nicht um NS-Enteignung, vielmehr sei das Objekt – 1946 an Wertheims zurückgefallen – von den Sowjets enteignet worden: Das Rückerstattungsgesetz greife nicht, die Immobilie falle an den Bund. Nach jahrelangem Tauziehen befindet jedoch das Larov im Juni 2001, dass es sich seinerzeit sehr wohl um eine „Arisierung“ gehandelt habe. Noch im Sommer 2001 klagt das Finanzministerium gegen diesen Larov-Entscheid. Mit diesem drohenden Prozess ist die Kuh Nr.1 auf dem Eis.

Währenddessen sind Wertheims Erben in den USA nicht untätig. Eigentlich hätten sie wegen des Fristversäumnisses ihren Anspruch verloren. Doch die deutsche Einheit bringt alte Akten ans Licht. Die Erben-Anwälte Gary M. Osen und Olaf Ossmann stoßen auf Dokumente vom August 1951, welche belegen, dass Lindgens schon vor dem Vertrag mit Günther und Fritz Wertheim die Fusion mit Hertie vereinbart hatte. Für die Anwälte ist klar: Es geht nicht um Restitution, sondern um einen Betrug, der Nazi-Unrecht fortschreibt, begangen an US-Bürgern in New York. Dort reichen sie im März 2001 Klage wegen fortgesetzten Betruges gegen Hertie-Nachfolger KarstadtQuelle ein. Damit ist Kuh Nr.2 auf dem Eis. Laut Ossmann geht es um das gesamte West-Vermögen, das sich Lindgens durch den Kontrakt erschlichen habe, ein Wert in dreistelliger Millionenhöhe, und um den Sonderfall der Lenné-Grundstücke. Diese seien, da im Osten gelegen, nicht Teil des Lindgens-Vertrags gewesen, wegen des Gebietsaustausches 1988 aber auch kein Ost-Restitutionsfall.

Die Brache im Dornröschenschlaf

Wer dieser Tage vor dem großen Areal an der Leipziger Straße steht, das Finanzministerium in Görings ehemaligem Reichsluftfahrtministerium hinter sich, blickt immer noch auf eine zentrale Brache im Dornröschenschlaf. Neben einem Altbau mit Fassadenlöchern und dem Tor zum Technoschuppen „Tresor“, der Kellerdisco in den Räumen des Kaufhaustresores, spreizen sich Zeltgerippe über einem Vorstadt-Biergarten. Efeu, Strohmatten, rostige Gitter, ein staubiger Parkplatz, ein mit Plastik abgedeckter Erdhaufen. Hier scheint die Zeit zu stehen, indes Justitias Mühle zu mahlen beginnt: Da Hertie nie Ansprüche auf das Areal erworben habe, fordern nun Wertheims Erben den Erlös aus dem Verkauf des Terrains an Beisheim.

Beide Restitutions-Kühe möchte die Regierung ohne peinliches Prozessgetöse vom Eis bugsieren. Deshalb führt das Finanzministerium über die Treuhand und die Bundesanstalt für vereinigungsbedingtes Sondervermögen seit Mitte Juli Vergleichsverhandlungen mit der JCC, wegen der Ost-Restitution. Weil die juristische Position des Bundes auf Grund des eindeutigen Larov-Urteils schwach ist, hängt ein schnelles Verfahrensende vor allem von der Entschädigungshöhe ab. Das käme nun doppelt teuer: Dem „Wallstreet Journal“ zufolge hat das Ministerium bereits 1995, als KarstadtQuelle Anspruch auf einige Wertheim-Ost-Parzellen anmeldete, dem Konzern dieselben abgekauft. Diese müssten nun also zum zweiten Mal bezahlt werden, diesmal bei der JCC.

Mehr als Taschenspielertricks

Bemerkenswerterweise wird bei diesen Verhandlungen des Finanzministeriums keine Gesamtlösung anvisiert: Von einem Vergleich mit der JCC bliebe die New Yorker Klage unberührt. Sollte der United States District Court die Klage zulassen, käme es zu einem der größten Entschädigungsverfahren überhaupt. Es ginge um mehr als um Taschenspielertricks von „Ariseuren“, die zur Basis eines Kaufhaus-Imperiums wurden. Der Fall Wertheim könnte zur Nagelprobe auf den Schlussstrich werden, der vor zwei Jahren unter die Beteiligung der Wirtschaft an NS-Verbrechen gezogen wurde. Hinter jenem Abkommen ist KarstadtQuelle in Deckung gegangen: Der Konzern hat in ungenannter Höhe in den Fonds eingezahlt und jüngst, Ossmann zufolge, in seiner Klageerwiderung vorgetragen, die Klage sei unzulässig, da ja ihr Gegenstand von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ umfasst sei. Ob Zwangsarbeit oder Vermögensschaden: Diese Stiftung soll künftig die alleinige Adresse für Ansprüche aus der NS-Zeit gegen deutsche Unternehmen darstellen.

Das ist die Linie, auf der die Bundesregierung operiert. Ihr Bericht zur Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit dem Zwangsarbeiter-Fonds notiert: Die Klage „falle nach übereinstimmender Meinung der Bundes- und der US-Regierung in den Schutzbereich des D-US-Regierungsabkommens, da sonst auf diese Weise die abgeschlossenen Restitutions- und Wiedergutmachungsverfahren (West) in ihrer Gesamtheit infrage gestellt werden könnten". Die Regierung hat daher mehrfach zu Gunsten von KarstadtQuelle bei der US-Regierung interveniert: Ein Statement of Interest möge doch dem Gericht die Klageabweisung aus außenpolitischen Gründen empehlen. Die JCC dagegen hat im April 2002 schon mal, für alle Fälle, eine Erklärung zugunsten der Wertheim-Kläger abgegeben.

Unabhängig davon, ob das Gericht die Klage zulässt oder wie es in der Sache entscheidet: Deutlich zeigen sich hier die zwiespältigen Aspekte der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“. Nie ging es dabei nur um Empathie mit den Opfern. Die Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft hatte unter dem Stichwort „Rechtssicherheit“ eine Stiftungskonstruktion erstritten, die beinhaltet, dass diese Institution fortan als ausschließliche Anlaufstelle für alle Entschädigungsbegehren zu betrachten sei. Antragsteller müssen auf weitere Ansprüche verzichten, das Fondsvermögen wurde ohne Rücksicht auf potenzielle Antragszahlen gedeckelt; ein Abkommen mit der US-Regierung flankiert die Einrichtung. Zugunsten der Zwangsarbeiter-Entschädigung hat man seinerzeit über diese Einschränkungen hinwegsehen wollen: damit überhaupt noch etwas zu Lebzeiten der Opfer passiert. Im Fall Wertheim allerdings zeigt sich die Stiftung, wie sie von der Wirtschaft konzipiert war – als billige Versicherungspolice gegen die Ansprüche der Opfer und Geschädigten. Auch Entschädigung soll sich schließlich rechnen.

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