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Kultur: Wie sich das anfühlt: frei zu sein

Nennt mich nicht Sister Sadie. Zum Tod der Soulsängerin Nina Simone

Sie schenkt dem Publikum nichts, sie gibt fast alles, ihre ganze Wut, und die Leute klatschen, sonst müssten sie wohl gehen. „Dies Lied heißt ,Mississippi Goddam‘, und ich meine jedes Wort“, sagt die Überzeugungstäterin. „Dies ist ’ne Show-Melodie, aber die Show dafür ist noch nicht geschrieben“, ruft sie. Die Bässe der Band stampfen einen komischen Varieté-Drive; ihre Tirade ist eine gallig-schmissige Abrechnung mit der Rassentrennung. „Ich gehöre nicht hierhin, nicht dorthin“, singt sie, „ich hab’ sogar aufgehört zu beten.“ Sie attackiert die Go Slow-Beschwichtiger. „Wohin gehe ich, was mache ich – ich weiß es nicht!“, schreit sie. Dann ein Seitenhieb ins Parkett: „Ihr dachtet, ich mach Spaß? Hört auf, mich Sister Sadie zu nennen!“ Sie flucht auf ihr Land, das voller Lügen sei. Sie will keinen Kuschelfrieden, sondern Gerechtigkeit: „You don’t have to live next to me/ just give me my equality.“ Das Jahr: 1966. Die Sängerin: Nina Simone.

Eigentlich heißt sie Eunice Waymon; irgendwann hat sie – Verbeugung vor Simone Signoret – den Künstlernamen angenommen. Die Zornige, das wird zeitweilig ihr Markenzeichen. Die Bürgerrechtsbewegung war ihre politische Initialzündung. Sie hat ihren Kopf, macht aber vieles mit. Ist weder zu vergleichen mit der dunkelsüßen Mater dolorosa Billie Holiday noch mit der Scat-Artistin Ella Fitzgerald, noch mit der ebenfalls singenden Modern-Jazz-Pianistin Shirley Horne. Nina Simone treibt ihr Barklavier und das rauchige Organ durch den Soul, den Blues und den Jazz in Schwulstfelder von Pop, Schlager, Chanson. Zwischendurch klimpert sie klassische Miniaturen, die beweisen, wie seriös sie mal anfing. Wer ihre starken Songs der sechziger Jahre hört und manches Schnulzen-Recycling Jahrzehnte später, ahnt: Der ist was im Leben quer gekommen.

Eine typische Jazz-Vita. Kindheit in North Carolina, Eltern Methodistenprediger. Studium am New Yorker Konservatorium. Nachtklubpianistin. Mit Gershwins „I love you, Porgy“ profiliert sie sich als bewegender Balladen-Charakter, mit „I put a spell on you“ als Soul-Entdeckung. Für die verpatzte Klassik-Karriere macht sie die Diskriminierung verantwortlich. Alkoholprobleme. Vor dem Rassismus flieht sie nach Frankreich und in die Karibik. Ihre große Liebe, ein liberianischer Politiker, stirbt. Sie sei verbittert, sagen Freunde in den neunziger Jahren. Die Stimme ist kaputt, sagen Konzertbesucher.

„My Baby just cares for me“, Simones swingender früher Hit über das kleine große Glück, wurde 1987 durch die Chanel-Werbung (wobei die Sängerin finanziell leer ausging) zum Vehikel ihres Comeback. So federnd leicht wie dieser, ihr populärster Song, klingt auch ihr schönstes Lied, „I wish I knew how it woud feel to be free“. Ein ebenfalls federleicht souliger Gospelswing, die Hymne auf den Sixties-Traum – zu lieben, ganz frei und gemeint zu sein. Sie singt: Ich wünschte, du wüsstest, was es bedeutet, ich zu sein. Ich wünschte, ich könnte wie ein Vogel im Himmel zur Sonne fliegen und hinab zum Meer. Damit ich weiß, wie sich das anfühlt: frei zu sein. Ihre Abstürze, ihre Überlebenskünste und ihre Lieder, die Träume einer Entertainerin, erinnern auch an das Jahrhundert der fast zerbrochenen Utopien. Am Montag ist Nina Simone im Alter von 70 Jahren in ihrer Wohnung bei Marseille im Schlaf gestorben.

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