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Treppauf zu Sound und Aussicht. Hanne Lippards Installation "Flesh" in der Ausstellungshalle der Kunst-Werke.

© Frank Sperling; Courtesy die Künstlerin und LambdaLambdaLambda, Prishtina

Wiedereröffnung der Kunst-Werke: Fuchs und Marder im Diskurs

Nach einer halbjährigen Sanierung eröffnen die Berliner Kunst-Werke wieder. Es ist auch der Start für den neuen Chef Krist Gruijthuijsen.

Nur was sich ändert, bleibt sich treu. Diesen Glaubenssatz scheint Krist Gruijthuijsen, der neue Direktor der Kunst-Werke, seinem Programm vorangestellt zu haben. Der niederländische Kurator begann im letzten Sommer zu einem Zeitpunkt, als das Institut für Zeitgenössische Kunst in der Auguststraße zwecks Sanierung geschlossen war.

Doch da hatte er längst mitentschieden, welcher Vorschlag des Architekturbüros Kühn Malvezzi für den neuen Eingang realisiert werden sollte. Der seitliche sollte es sein. Das Entree liegt nun nicht mehr in der Hauptachse, sondern befindet sich im rechten Seitenflügel, wo Platz für einen größeren Kassenraum und eine neue Garderobe gewonnen ist. Von dort führt der Weg dank zweier Wanddurchbrüche ins Hinterhaus, in den eigentlichen Ausstellungsbereich.

Nun also ist es so weit, der dreitägige Wiedereröffnungsreigen für Berlins umtriebigstes Ausstellungshaus beginnt und damit auch die Sichtbarkeit von Gruijthuijsens Ideen. Beim großen Jubiläumsfest zum 25-jährigen Bestehen der Kunst-Werke im November war der neue Chef als Dragqueen im Paillettenfummel mit weiß-blonder Lockenperücke aufgetreten und hatte als Conferencier „Ich bin die Zukunft, das Ungewisse“ gesäuselt, was die Erwartung gesteigert haben dürfte. Die Ouvertüre seines Programms aber stellt das Gegenteil vom schrillen Auftritt vor wenigen Wochen dar. Alles ist still, klar und weiß, die Kunst gibt sich minimalistisch, diskursiv. Eine intellektuelle Kühle zieht durch das Haus, die sich perfekt in die sanierten Räume fügt.

Plötzlich beginnt das Gebäude von seiner Vergangenheit zu erzählen

Kalkweiß sind die Wände, die freigelegten Tonnengewölbe aus rotem Backstein zeigen pur ihre Konstruktion. Und wo ein Riss verspachtelt werden musste, da ist auch das zu sehen. Dem gleichen bereinigenden Akt wurde auch die Ausstellungshalle unterzogen, die in den 90ern von Hans Düttmann angefügt worden war. Damit rücken die Fenster der quadratischen Halle wieder ins Bewusstsein, der Lichtschacht zwischen Anbau und ehemaliger Margarinefabrik gibt den Blick auf die historische Fassade mit ihren geschmiedeten Ankern frei. Das Gebäude gewinnt einen Charme, den man ihm nicht mehr zugetraut hätte. Plötzlich beginnt es zu sprechen von seiner Vergangenheit, als es 1842 errichtete wurde, und von der Gründerzeit des Kunstbooms nach dem Fall der Mauer.

Miteinander sprechen, das ist auch das Mantra des neuen Kunst-Werke-Chefs. Programmatisch eröffnet er mit dem in New York lebenden Künstler Ian Wilson, der zuletzt in den 60ern ein greifbares Werk schuf und es seitdem so weit sublimierte, dass es heute nur noch als gesprochenes Wort existiert. Wilson lädt nur noch zu Diskussionen über Zeit, Wissen und Nicht-Wissen, das Absolute ein. Übrig bleibt die gedruckte Einladung und ein Zertifikat für die Teilnehmer, Aufnahmen sind verboten. Als Tino Sehgal diese Praxis mit seinen Performances 2001 in den Kunstbetrieb einführte, schien das ungeheuer radikal.

Wilson aber hatte damit schon Jahrzehnte vorher begonnen. Nur war das den wenigsten bekannt, sein Werk hatte sich verflüchtigt. In den Kunst-Werken sind nun Postkarten zu sehen von Auftritten in Münchner, New Yorker, Basler, Pariser Galerien in den 70ern. Dazu ein mit Kreide gezeichneter Kreis auf dem Boden, ein anderer mit Bleistift an der Wand sowie eine sich leicht vorwölbende Scheibe aus Kunstharz, die bei längerer Betrachtung zur Kugel wird.

Hanne Lippard erhebt das gesprochene Wort zur Kunstform

Gruijthuijsen, der Kurator mit Entertainer-Qualitäten, gibt seinem Premierenpublikum trocken Brot zu essen. Und doch tut diese Beruhigung, das Herunterschalten gut in einem Kunstbetrieb, der wieder heiß zu drehen droht. Drei jüngere Künstler wurden gebeten, auf den Altmeister Wilson zu reagieren: zunächst die in Berlin lebende Norwegerin Hanne Lippard, später Adam Pendleton und schließlich Paul Elliman, deren Ausstellungen im Monatstakt folgen. Mit ihnen erfolgt die Übergabe jeweils eines weiteren sanierten Geschosses, als wären es Überraschungsboxen, wie es Gruijthuijsen formuliert.

Lippard macht den Anfang in der großen Halle, wo nun in der Mitte eine gewaltige Wendeltreppe steht. Eine Zwischendecke wurde eingezogen, sodass sich der Besucher oben auf Höhe des Fensterbandes befindet. Man darf sich niederlassen, die ungewöhnliche Aussicht auf die Umgebung genießen und Lippards Sound-Stück lauschen. „Flesh“ lautet der Titel, fleischig rosa ist auch der ausgelegte Teppich. Um Zellen, Blut, Muskeln geht es im Text.

Jede Stufe schwebt frei im Raum

Lippard rupft die Worte, setzt sie zu neuen Sätzen zusammen, zählt zwischendurch von eins bis zehn, fragt danach, wer wir sind, wovon wir träumen, wie lange wir unseren Atem anhalten können. Die spröde Poesie passt zu den vertrockneten Grashalmen auf dem Hallendach rundum, die durch die vereiste Schneedecke ragen. Auch Lippard erhebt das gesprochene Wort zur Kunstform. Wie nah sie damit Wilson kommt, dafür hätte es der kreisrunden Wendeltreppe eigentlich nicht mehr bedurft, diesem Monument für die Flüchtigkeit der Rede: Jede Stufe schwebt frei im Raum, nur im Zentrum wird sie gehalten.

Mit Wilson, Lippard & Co. positionieren sich die Kunst-Werke neu: nicht ranschmeißerisch, das sind sie nie gewesen, eher fein, für Kenner. Sie sollen künftig ein Ort von Künstlern für Künstler sein, hat Gruijthuijsen angekündigt. Das könnte elitär, kryptisch werden, doch die Kunst-Werke besaßen immer auch eine andere Seite, hier gab es Partys, große Eröffnungen. An diese Gemeinschaftlichkeit knüpft das Zentrum für Zeitgenössische Kunst nach seinem Neustart an. Im Keller wurde die in den 90er Jahren gegründete Pogo-Bar wiedereröffnet. Immer donnerstags ist ein Künstler Ehrengast, darf den Drink des Abends bestimmen, sich einen Act für die kleine Bühne wünschen.

Den Designer für die Innenausstattung, Robert Wilhite, hat Gruijthuijsen aus Amsterdam mitgebracht, wo er ihm schon einmal für den dortigen Kunstverein eine Bar gestaltet hat. Eine ausgestopfte Ente, Marder, Fuchs und Rabe von dort haben sich nun in Berlin niedergelassen. Sie liefern ersten Gesprächsstoff, sollte es zu Anfang mit großen Themen hapern.

Kunst-Werke, Auguststr. 69, bis 9. 4. / 14. 5.; Mi bis Mo 11 – 19 Uhr, Do bis 21 Uhr. Eröffnungswochenende mit Performances: kw-berlin.de

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