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Vor 10 000 Zuschauern spielten die drei Acts Caspar, Kraftklub und K.I.Z am Samstagabend in der Zitadelle Spandau.

© Jana Weiss

„Wiedervereinigung 2“ in der Zitadelle Spandau: Den Schmerz weghüpfen

Mit zweijähriger Verzögerung. Casper, Kraftklub und K.I.Z geben endlich ihr gemeinsames Konzert in Berlin.

Zu Beginn gleich die Erlösung. Der Regen hat sich verzogen und mit „Alles war schön und nichts tat weh“ eröffnet Rapper Casper das Konzert in der Zitadelle Spandau. Er nimmt mit diesem Titel vorweg, wie sich für viele der Abend angefühlt haben wird. Begleitet von einer Cellistin und Caspers Gänsehaut-Beats, wähnt man sich hier im Paradies: endlich wieder ein großes, ein richtiges Konzert. Abstand weder möglich noch gewünscht.

Und es ist nicht irgendein Konzert. Bei „Wiedervereinigung 2“ begegnen sich Ost und West in Berlin: Kraftklub aus Chemnitz, Casper aus Bielefeld und K.I.Z. aus Berlin. Es ist auch eine Wiedervereinigung mit den Fans. Angekündigt wurde das Event bereits im Sommer 2020, als mit den Lockerungen langsam auch die Hoffnung aufkam, dass bald wieder Großveranstaltungen stattfinden können. Kaum jemand hatte wohl damals geahnt, dass es noch einmal fast zwei Jahre dauern würde, bis es tatsächlich so weit ist. Vor 10 000 Zuschauer:innen spielen die drei Acts nun an diesem Abend. Sämtliche Einnahmen aus dem Ticketverkauf sollen an die Crews gehen.

Zuletzt ist es auch eine Wiedervereinigung der Künstler untereinander, die seit Jahren befreundet sind. Unvergessen ist der „Red Bull Soundclash“ 2012, wo Kraftklub und K.I.Z auf zwei gegenüberliegenden Bühnen gegeneinander antraten und Letztere Kraftklubs ersten großen Hit „Ich will nicht nach Berlin“ umcoverten – und den Chemnitzern zu ihrer eigenen Melodie entgegen brüllten: „Verpisst euch aus Berlin!“

Dabei sind die Künstler auf den ersten Blick ziemlich unterschiedlich: Casper ist als „Emo-Rapper“ bekannt, der auf persönliche, emotionale Texte setzt, immer politisch korrekt. K.I.Z sind quasi das genaue Gegenteil: Ihre Fans bestehen aus Atzen und Antifa gleichermaßen, was man auch beim Konzert spürt: Während bei Casper alle friedlich mitwippen, wird bei K.I.Z, die zuletzt auftreten, geschubst und gequetscht. Ihren größten Auftritt hatte die Rap-Band, die ihren Namen mal mit „Kannibalen in Zivil“ übersetzt, mal mit „Künstler in Zwangsjacken“ – vermutlich als der AfD-Politiker Bernd Baumann ihre Texte im Bundestag zitiert und als deutschland- und christenfeindlich bezeichnet hat.

Nichts und niemand bleibt verschont

Ein Ausschnitt aus dieser Rede eröffnet ihr jüngstes Album „Rap über Hass“, und sie spielen ihn auch an diesem Abend in der Zitadelle – ohne die Freude darüber nur im Ansatz zu verstecken. K.I.Z-Texte bestehen zum großen Teil aus splatterhaft überzogenen Gewaltfantasien und Menschenverachtung, nichts und niemand bleibt verschont. Dass gerade eine Partei wie die AfD, deren Politik auf Hass und Hetze beruht, sich darüber echauffiert, ist genau das, was die Band erreichen möchte.

Brutal ist das alles trotzdem. Vor allem, wenn man sich dabei erwischt, wie man zusammen mit Tausenden Leuten den Refrain grölt: „Unterfickt und geistig behindert!“ K.I.Z haben ein großes Talent dafür, Unwohlsein zu erzeugen. Kraftklub sind die Sandwichband – sie spielen in der Mitte, stehen aber auch stilistisch irgendwo zwischen K.I.Z und Casper: Die Texte sind mal politisch, mal persönlich, aber immer radiotauglich. Im September bringen sie ein neues Album heraus, das letzte erschien 2017. Die beiden bereits erschienenen Singles „Ein Song reicht“ und „Wittenberg ist nicht Paris“ werden beim Konzert in der Zitadelle bereits groß gefeiert.

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Mit „Ein Song reicht“ ist der Band ein großartiges Comeback gelungen. Er löst bei vielen, die mit der Band erwachsen gewordenen sind, Gefühle der Nostalgie an die eigenen frühen 20er aus – der Song handelt vom Schmerz der ersten Liebe und besingt die großen Indiebands der frühen 2010er Jahre: „Immer wieder Mike Skinner, Kate Nash, Lykke Li/ Tame Impala und die Killers/ Florence and the Machine.“

Das Gefühl scheint anzukommen

Zwar dürfte die Hälfte des Publikums in der Zitadelle vor zehn Jahren eher noch den „Elsa“-Soundtrack gehört haben als die genannten Bands, aber egal, das Gefühl scheint trotzdem anzukommen: Alle singen mit als wäre es der große Hit der Band – und vermutlich wird er das in Zukunft auch sein.

Trotz der besonderen Umstände ist das Programm an diesem Abend bei allen drei Acts routiniert, Platz für Experimente gibt es kaum. Casper und Kraftklub spielen fast nur alte Songs, die hier jede:r im Schlaf mitsingen kann. K.I.Z sind immerhin selbstbewusst genug, viele Stücke von ihrem letzten Album zu spielen. Jeder hat etwa 45 Minuten, Verschnaufpausen gibt es nur während der Wechsel. Dazwischen wird gesprungen, gerufen und gemosht. Alles sitzt perfekt, ist tausendmal eingeübt, sowohl von Künstlern als auch den Fans.

Als Kraftklub die ersten Akkorde zu „Randale“ anspielen, ist allen klar, was in der Mitte des Songs passieren wird: Das Publikum geht tief in die Hocke, wippt unten mit und springt dann, wenn der Beat einsetzt, kollektiv nach oben, Becher, Haargummis und Pullis fliegen in die Luft. Und tatsächlich ist es wunderschön, ist es dieser eine Moment, den man in Erinnerung behalten wird, wenn auch so oft schon gesehen oder mitgemacht.

Man hätte sich ein bisschen mehr Interaktion der Bands gewünscht, Casper und Kraftklub spielen nur ihre üblichen Features zusammen: „Ganz schön okay“ und „Songs für Liam“. Ganz am Ende gibt es noch ein Stück zu dritt, eines, bei dem die Handys als Feuerzeugersatz in die Luft gehalten werden und zu dem es sich gut schunkeln lässt. Die Beine sind auch müde nach diesem Programm.

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