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Kultur: Wien und die Welt - Franzosen kämpfen, Angelsachsen dämpfen

Die heftigen Reaktionen auf die Regierungsbildung in Wien haben nicht nur die Österreicher erregt. In England und den USA mehren sich inzwischen die Stimmen, die fragen, ob man gegenüber Österreich mit den diversen Quarantäne-Androhungen nicht übereilt gehandelt hat.

Die heftigen Reaktionen auf die Regierungsbildung in Wien haben nicht nur die Österreicher erregt. In England und den USA mehren sich inzwischen die Stimmen, die fragen, ob man gegenüber Österreich mit den diversen Quarantäne-Androhungen nicht übereilt gehandelt hat. So halten sich die jüdischen Organisationen Amerikas, die einst gegen den österreichischen Präsidenten Waldheim stritten, durchaus zurück. Abraham Foxman, der Präsident der AntiDefamation League, protestierte sogar ausdrücklich gegen Vergleiche Haiders mit Hitler und gegen die europäische und israelische Boykottpolitik. Die amerikanische Presse ist nicht gnädiger. "Es ist nicht Sache Europas", schreibt das Nachrichtenmagazin "Time", "den Österreichern zu sagen, für wen sie stimmen sollen. Und es ist auch nicht seine Sache, Sanktionen zu verhängen, bevor die neue Regierung einen einzigen Tag im Amt war." Bei "Newsweek" zitiert der Historiker Tony Judt die Feststellung von Karl Marx, dass sich geschichtliche Tragödien nur als Farce wiederholen.

Auch die meisten englischen Zeitungen sind von der Weisheit der europäischen Drohgebärden nicht überzeugt. Der "Economist" beruft sich unter anderem auf Simon Wiesenthal, der Haider gegen den Verdacht, ein zweiter Hitler zu sein, in Schutz nehme. Der konservative "Spectator" spricht gar von einer neuen Breschnew-Doktrin der beschränkten Souveränität und dem Versuch der europäischen Linken, "jede Erinnerung an den Kommunismus durch die hypnotische Fixierung auf den Faschismus auszulöschen. Ihr Geschichtsbild hat sich auf eine gefährliche Tunnel-Vision reduziert, als ob das einzige Ereignis des 20. Jahrhunderts der Aufstieg Hitlers gewesen wäre".

Nur die französischen Journalisten und Intellektuellen sind weiter überzeugt, dass Europas Regierungschefs, indem sie Österreich wie die aufständische Provinz eines Bundesstaates behandelten, das Richtige getan haben. Zwar rät Claude Imbert, Herausgeber des Wochenmagazins "Le Point", den "hysterischen Exorzismus" abzubrechen. Aber er muss hinnehmen, dass BernardHenri Lévy in der gleichen Nummer gegen die "verbrecherische Regierung" in Wien zu Felde zieht. "Le Monde", Frankreichs seriöseste, links über den Parteien stehende Tageszeitung, findet nichts dabei, ihre Leser fast täglich durch Karikaturen zu erfreuen, die Haider mit Hakenkreuzbinde oder Österreich als KZ abbilden. In einem der zahllosen Artikel auf ihren Meinungsseiten vertritt ein Rechtsphilosoph der Sorbonne die aparte Ansicht, nicht Europa habe sich in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates eingemischt, sondern Österreich in die inneren Angelegenheiten Europas, "indem es seine Partner zwingen will, sich mit einer Kohorte inakzeptabler Leute an einen Tisch zu setzen". Und das Magazin "Express" beglückwünscht sich zu dieser Weiterentwicklung der europäischen Integration: "Von jetzt an ist die Bildung der nationalen Regierungen eine Sache von allen." In derselben Ausgabe warnt Jacques Attali, wie stets großräumig denkend, vor dem Beispiel, das Österreich anderen ehemaligen Kaiserreichen geben könnte: "Was würde geschehen, wenn Haider einen Nachahmer fände, der mit Putin einen neuen deutschrussischen Pakt schließt?"

Da ist sie wieder, eine der Lieblingsvisionen der französischen Vordenker - das Lagerfeuer, an dem Hermann der Cherusker und Iwan der Schreckliche den Rest Europas verbraten. Dafür, dass Paris in der Anti-Haider-Kampagne an vorderster Front kämpft, gibt es aber noch andere Gründe. Zum einen ist der Antifaschismus eine der wenigen Gewissheiten, die die Linke aus der Konkursmasse ihrer Überzeugungen gerettet hat. Der Fall der Mauer und das Ende der Sowjetunion hat ihr Weltbild erschüttert. Zwar regiert in Paris wieder die alte "Volksfront", doch ist sie seit Mitterrands abruptem Kurswechsel 1983 kaum noch zu erkennen: Während die Kommunisten betreten schweigen, suchen die Sozialisten Anschluss an das kapitalistische Europa. In dieser verwirrenden Lage ist ein Mann wie Haider hoch willkommen. Hinter dem neuen antifaschistischen Schutzwall findet sich die versprengte Gemeinde wieder. Dass der Gegner auf dem ideologischen Prokrustesbett erst in die richtige Fasson gebracht werden muss, nimmt man gern in Kauf.

Aber auch der keineswegs sozialistische Staatspräsident Chirac ist mit von der Partie. Mit dem belgischen Ministerpräsidenten gehörte er sogar zu den vehementesten Anwälten einer europäischen Strafaktion. Ihn treibt die Furcht um, die Gaullisten könnten sich an der ÖVP ein Beispiel nehmen und mit dem Front National koalieren. Zwar lehnt es dessen Führer Le Pen ab, sich mit der verderbten Bourgeoisie zu verbünden, doch sein abtrünniger Vize Bruno Mégret würde nichts lieber tun. Dass der freche Kärntner Chirac empfahl, vor seiner eigenen Tür zu kehren, und unter Hinweis auf die unglücklichen Wahlen von 1997 dessen staatsmännischen Sachverstand anzweifelte, machte die Sache nicht besser. Und dann ist da noch dritter Grund für die französische Entrüstung: die Abneigung gegen den Liberalismus, in der Regel als "Ultraliberalismus" geschmäht. lang vorbei sind die Zeiten, in denen Jean-Baptist Say für den Freihandel und die Laissez-faire-Wirtschaft eintrat, Montesquieu für die Gewaltenteilung und Tocqueville für eine Demokratie nach amerikanischem Muster. Weder die Sozialisten noch die Gaullisten wollen vom paternalistischen Vorsorgestaat lassen. Dass es sich Haider in den Kopf gesetzt hat, die österreichische Proporzbürokratie zu zerschlagen, kann in einem Land, in dem jeder vierte Beschäftigte aus dem Staatssäckel besoldet wird, nur Widerwillen erregen.

Martine Aubry, Frankreichs Sozialministerin, die ihren Landsleuten die 35-Stunden-Woche per Gesetz verordnen will, verlas am letzten Freitag in Lissabon einen Auszug aus Stefan Zweigs "Welt von gestern", in dem der Autor an den schleichenden Aufstieg der Nazis erinnerte. Als Elisabeth Sickl, die neue österreichische Ministerin, das Wort ergriff, verließ Madame Aubry mit ihrer belgischen Amtsschwester den Saal. Das nächste Mal könnte vielleicht Frau Sickl ihrerseits etwas Literarisches vortragen, zum Beispiel jene Stelle aus dem "Opium der Intellektuellen" von Raymond Aron: "In England sind Linksradikalismus und Faschismus stets Randerscheinungen geblieben. In Frankreich standen sie im Mittelpunkt der Diskussion. Wieder einmal vergaß man das Land und seine bescheidenen Probleme, um sich ganz dem ideologischen Delirium hinzugeben."

Jörg von Uthmann

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