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Wiener Akademietheater: Kein Licht in der Burg

Andrea Breth inszeniert "Quai West" – Saisonhalbzeit unter neuer Intendanz in Wien.

Tiefe Dunkelheit herrscht im Wiener Akademietheater. Minutenlang lauscht man wie bei einem Hörspiel der ersten Szene aus Jan Bosses „Othello“-Version, bis sich auf der heller werdenden Bühne (Stéphane Laimé) wie ein Schatten Joachim Meyerhoffs schuhcremeschwarzer Feldherr von der dunklen Bühnenwand löst: ein Gangboss im schwarzen Designeranzug mit Goldkettchen und Rolex, eine pubertierende Upper-Class-Zicke im Schlepptau (Desdemona: Katharina Lorenz).

Oder so: In gleißendem Licht erscheinen für Momente zwei menschliche Schattenrisse auf der Bühne des Burgtheaters, ehe die Szenerie in Dunkelheit versinkt. Minutenlang lauscht man wie bei einem Hörspiel der Eingangsszene aus Bernard-Marie Koltès’ „Quai West“, ehe sich Sven-Eric Bechtolf als Maurice Koch in Andrea Breths Regie wie ein Schatten aus der Düsternis einer devastierten Lagerhalle löst: Ein betrügerischer Geschäftsmann im grauen Designeranzug mit Rolex will Selbstmord begehen. An seiner Seite die patent-forsche Sekretärin Monique Pons (Andrea Clausen).

Zwei Inszenierungen, dasselbe Dunkel – es sind die gesellschaftlichen Gewaltstrukturen, die Shakespeares Eifersuchtstragödie von 1603 und Koltès’ hochaktuelles Zivilisationsdrama von 1985 gleichermaßen vermitteln und dabei das traurige Schicksal eines Schwarzafrikaners als Projektionsfläche rassistischer Vorurteile ins Zentrum rücken. Die Erkenntnis repressiver Mechanismen obliegt jedoch den Frauen auf ihrer Suche nach Nähe in gelungener Kommunikation.

Bei Bernard-Marie Koltès, der sich in den 1980er Jahren kometenhaft an die Spitze der französischen Gegenwartsdramatik geschrieben hatte, erscheint ein aufgelassener Hafen als Metapher unserer westlichen Zivilisation. Inspiriert von den heute abgerissenen Docks in New York, beschreibt Koltès, der 1989 mit nur 41 Jahren an Aids verstarb, in „Quai West“ den aussichtslosen Überlebenskampf Ausgestoßener vor den verschlossenen Toren eines besseren Lebens. In die elende Lebenssituation einer argentinischen Emigrantenfamilie ohne Visa und Zukunft (Hans-Michael Rehberg als gebrochener Kriegsveteran), eines jungen Gauners (Nicholas Ofczarek als schmieriger Frauenverächter) und eines illegalen Schwarzafrikaners (Maynard Erziashi als Abad), bricht plötzlich die reiche westliche Welt in Gestalt des zynischen Millionenbetrügers Koch ein.

Mit gebrochenem Bein humpelt er jammernd durch eine dunkle Landschaft aus Pflastersteinen und zerbrochenen Kanalrohren, um wenig später von Abad den Gnadenschuss zu erflehen. Erich Wonders Bühne ist ein düsterer Müllplatz der Gesellschaft, im Hintergrund von einem Plexiglasgang begrenzt, dessen scharfes Gegenlicht die Figuren zu kaum erkennbaren Silhouetten entmaterialisiert.

Ein „Purgatorium“ nannte Andrea Breth Koltès’ poetisches Textgeflecht aus epischen und dramatischen Sequenzen, aus surrealen Erinnerungsbildern und hoch dynamischen, teils zum Monolog tendierenden Wortgefechten. Short-Cut-Szenenwechsel strukturieren dieses dichte, stilistisch heterogene Amalgam einer hoch artifiziellen Sprache, die in raschen Tempiwechseln einen musikalisch-dramaturgischen Sog erzeugt. Es ist die anarchische Sprengkraft der geschliffenen Übertreibung, mit der Koltès seine Figuren aus der Gosse auf die Bühne hebt. Wo die Hoffnung auf Veränderung längst erloschen scheint, setzt Koltès auf Erkenntnis durch bestimmte Negation.

In bleierner Statik und mit falsch verstandener Texttreue zelebriert Andrea Breth Koltès’ sinnlich-abstrakte Poetik als langatmig-naturalistischen Krimi in Film-Noir-Ästhetik mit harten Black-Schnitten: Anstatt mit scharfer Leidenschaft die Brutalität und Einsamkeit der Figuren spürbar zu machen, setzt Breth auf gedehntes Pathos, garniert mit Spannungssounds (Wolfgang Mitterer). In einem Ensemble der falschen Töne – am schlimmsten Elisabeth Orth als lamentierende Indianer-Mutter – ist es allein die Monique der Andrea Clausen, die, in High Heels zu grauem Kostüm (Françoise Clavel), die unmittelbar sinnliche Ausdruckskraft und Ambivalenz von Koltès’ hypernaturalistischen Figuren erahnen lässt.

Nicht viel besser gelangen bis dato die anderen großen Inszenierungen in Matthias Hartmanns erster Burg-Saison. Ohne Interesse für gesellschaftlich bedingte Ursachen und mit einer geradezu rassistischen Stereotypik verfehlte Jan Bosse Shakespeares „Othello“. In einer platten, alltagssprachlich aufgelockerten Digest-Version setzte Bosse auf Komik, hohle Typisierung und einen Othello, der mit der langsamen Gestik des lauernden Wildtieres schließlich wie ein Affe auf Bäume klettert. Sein Mord am Ende erscheint als Resultat misslungener Sozialisation eines von Natur aus bösen Wilden.

Noch düsterer geriet Stefan Puchers Inszenierung von Shakespeares „Antonius und Cleopatra“, bei der in der Kurzfassung auch der Plot verloren ging. In einer bunten Ausstattungsrevue mit fahrbaren Karnevalswagen verspielten Wolfram Koch und Catrin Striebeck die Tragödie der Liebe in Zeiten des Krieges. Pop erschlägt Poesie mit der flachen Geste forcierter Unterhaltung.

Ähnlich Stefan Bachmanns Version von Alfred de Mussets „Lorenzaccio“: Bar jeglicher Tiefenschärfe auf die sozialpolitischen Sprengsätze des Historiendramas von 1834 geben Michael Maertens und Nicholas Ofczarek die zentralen Antipoden Lorenzo und Allessandro de’ Medici als pointenheischende Alleinunterhalter. Mussets Frage nach der Revolution erstirbt in Klamauk und Kunstblut.

Der stärkste Abend gelang dem Autor Roland Schimmelpfennig zu Saisonbeginn. Mit einem spielfreudigen Ensemble inszenierte er die Uraufführung seines magisch-realistischen Szenenmosaiks „Der goldene Drache“ gleich selbst: Mit wenigen Mitteln warf ein lustvolles Spiel der Verwandlung auf der weißen Spielfläche Johannes Schütz’ einen erhellend-analytischen Blick auf die Agonie unserer westlichen Mittelstandsgesellschaft. Es war ein schwaches Licht in der Düsternis einer anspruchslosen Burg-Saisonhalbzeit.

Christina Kaindl-Hönig

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