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Kultur: Wiener Festwochen: Wild East goes West: "Hotel Europa", eine Uraufführung

Ein Wiener Außenbezirk, mit trostlosen Unterführungen, häßlichen Fabrikgebäuden, doch einer schnurgeraden, lauschigen Allee. Dort liegt der imposante Bau des Kabelwerks, das kürzlich geschlossen wurde.

Ein Wiener Außenbezirk, mit trostlosen Unterführungen, häßlichen Fabrikgebäuden, doch einer schnurgeraden, lauschigen Allee. Dort liegt der imposante Bau des Kabelwerks, das kürzlich geschlossen wurde. Erste Station des internationalen Theaterprojekts "Hotel Europa", das von Festival zu Festival, von Land zu Land ziehen soll. Initiiert durch Chris Torch, den Leiter der schwedischen Produktionsgruppe Intercult und den in England lebenden mazedonischen Schriftsteller Goran Stefanovski, verantwortlich für Konzept und Szenen: für ein heruntergekommenes Hotel, in dem Heimatlose, Immigranten gestrandet sind. "Hotel Europa", Metapher für Unbehaustheit, für das Gefühl der Nichtzugehörigkeit der Osteuropäer zu Westeuropa.

Arien gegen das Vaterland

Die Zuschauer werden in kleinen Gruppen, nach Farben benannt, von Zimmer zu Zimmer, Szene zu Szene geführt. Am Eingang rechts und links Wachhunde hinter Glas. Gedränge. Wir sind die grüne Gruppe und die Hotelmanagerin führt uns, ihre Arbeitsbedingungen beklagend, über häßliche Treppen, häßliche Flure in einen großen Saal, der sich erschreckend füllt mit Zuschauern. Jede Gruppe in einer offenen Koje, mit Krankenhausbetten, Wiener Stühlen, einem Fernseher. Im Mittelgang treten auf Fitnessfahrrädern Menschen auf der Stelle. An zwei gegenüberliegenden Wänden laufen in Superbreitwand zwei Einstellungen einer Stadtlandschaft: Betonbrücken, Straßenbahnen, Autos auf der einen, Fußgänger nah auf der anderen. Könnte Wien sein. Angekommen im gesichtslosen Westen. (Alle Bühnenbilder: Sören Brunes).

In den Fernsehern laufen alte amerikanische Filme in schwarz-weiß, sehr laut. Amerika! Der Sehnsuchtsort von Generationen. Wir warten, nichts passiert. Es ist ziemlich ungemütlich inmitten dieses fremden Menschenhaufens und die Botschaft klar: So kommen sie an, die Immigranten aus dem Osten, fremd unter Fremden, zu viele, zu dicht, beschäftigungs- und ratlos, endlich im Westen, wo sie verzweifelt strampeln und doch nicht vom Fleck kommen. Die Zuschauer werden zum Glück bald aus dieser Stagnation erlöst. Gruppe Grün folgt ihrem neuen Führer, dem nächsten Hotelangestellten, treppauf, treppab zur ersten Szene. Eine Frau und ein Engel in einem Hotelzimmer. Aus Polen, sehr intensiv, sehr seltsam.

Gesprochen wird in der jeweiligen Landessprache, selten auf Englisch oder auch Deutsch. Prinzipiell versteht man erstmal nichts, ist verwirrt, verärgert, beschämt - und unversehens selbst in der Rolle des Fremden. Sechs Regisseure und ein Choreograph aus Lettland, Litauen, Polen, Rußland, Slowenien, Bulgarien, Mazedonien, inszenierten Goran Stefanovskis Szenen. Dazu gestaltete die Künstlergruppe Skart aus Belgrad "Empty Rooms": Ein rot angeleuchtetes, fast leeres Aktenarchiv, umbraust von Tönen kommunistischer Kampflieder; hintereinander gestaffelte Betten mit der schwedischen Flagge als Kopfkissen, einsam gelagert vor je einem Fernseher.

In sechs Zimmern und dem Festsaal treffen sich ein Patriot und eine Prostiuierte, tanzt Odysseus unter Wasser, im Weltraum oder irgendwo mit zwei Circen, singt eine lettische Familie beim heimlichen Schnapsbrennen Arien auf bzw. gegen das Vaterland, verletzt eine Frau das Gesetz der Blutrache, indem sie den Mörder ihres Bruders nicht umbringt. Baltikum und Balkan - die unbekannten europäischen Brüder. Der wilde, entwurzeltete Osten sucht nach neuen Identitäten, auch in der Kunst. In der Szene "Hotel Angels" kommt eine junge verzweifelte Frau in ein verlottertes Hotelzimmer, offensichtlich um sich umzubringen. Sie stopft sich den Riemen ihrer Handtasche in den Mund, um sich zu ersticken: Da öffnet sich die Schranktür und auf einer Schaukel hockt ein junger Mann, ein fremdes Wesen, ein Vogel, ein Engel. Die Frau hat Angst, versucht zu fliehen. Beide kämpfen, rollen engumschlungen auf dem Boden. Die Situation kippt, sie werden freundlicher, hocken schließlich wie Kinder oben auf dem Schrank und spielen Fliegen, stumm, bis die Frau immer glücklicher wird und stärker und hinausgeht. Zum Sterben?

Eine verzaubernde, wunderbar unwirklich schwebende Szene, inszeniert von dem polnischen Regisseur Piotr Cieplak mit zwei exzellenten polnischen Schauspielern, bei denen man sich einbildet, sie hätten ganz andere, eben Ost-Gesichter, sehr schön, sehr fremd, wie auf alten religiösen Gemälden. Die sogenannten "Locals", die diversen Hotelangestellten, die uns auf deutsch von Zimmer zu Zimmer und Szene zu Szene führen, sind leider eher schlechte Schauspieler aus Wien. In weiße Kittel verpackt wirken sie zudem wie Krankenwärter und nicht wie Hotelangestellte, das ist schade. Auch ihre Texte sind ziemliche Klischees.

Ein weiterer kleiner Höhepunkt, inszeniert von dem in Moskau lebenden mazedonischen Regisseur Ivan Popovski, ist "Maiden Voyage", Jungfernfahrt. Ein junges russisches Brautpaar in einem Westhotel zur Hochzeitsnacht. Die Zuschauer werden flüsternd und eilig in einen dunklen Raum geführt, stehen und sitzen hinter in zwei Halbkreisen gestaffelten Holzwänden und starren durch Guckkästen auf die mit Gaze verhängte Szene, in der alsbald das junge Brautpaar erscheint. Eine poetische Peepshow, mit zwei bezaubernd unschuldig und kraftvoll wirkenden russischen Schauspielern: der junge Mann ist völlig westfanatisch, küßt das Westdoppelbett und will ein Westbaby produzieren, findet dann allerdings eine Küchenschabe im Bett. Sie ist scheu und weniger westeuphorisch. Sie stellen ihre Heiligenfiguren auf, beten und versprühen Weihwasser, dann entdecken sie einen Koffer unterm Bett, voll mit Geldscheinen und einem blutigen Herzen(!), machen sich die Hände blutig und schieben den Koffer samt Herz schnell wieder unters Bett, bevor die ersehnte Vereinigung im Westen stattfinden kann.

Die Braut schießt

Eine sehr osteuropäisch anmutende Mischung aus deutlicher, nicht banaler, märchenhafter Symbolik. Das Timing des Projekts ist beeindruckend. Die vielen verschiedenen Gruppen treffen sich zur Halbzeit schon, erschöpft vom Treppauf, Treppab, im großen Festsaal: für die Kern-Szene "Grand Hotel Casino Europa", inszeniert von dem bulgarischen Regisseur Nedyalko Delchev. Ein Emporkömmling aus dem Osten, mit Mutter, Leibwächter, belgischer Dogge und Braut, will das "Hotel Europa" zu einer abstrusen Mischung aus Immigranten- und Kapitalistenghetto machen, zu einem Superhotel und Casino, mit den Immigranten als Pool für auszubeutende Arbeitskräfte. Die Braut verweigert sich diesem Alptraum - und schießt.

Ulrike Kahle

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