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Wiener Kunstkammer erstrahlt in neuem Glanz: Der Kaiser bittet zu Tisch

Prunk und Zauber:Die Kunstkammer im Wiener Kunsthistorischen Museum wurde zehn Jahre lang renoviert. Jetzt ist sie wieder geöffnet und zeigt Habsburgs Schätze. Sie stammen aus einer Zeit, als Objekte noch nicht in erster Linie nützlich sein mussten.

Vor zehn Jahren wurde in Wien die Saliera gestohlen, ein kostbares Pfeffer-undSalz-Behältnis des Florentiner Goldschmieds Benvenuto Cellini von 1543. Der dreiste Raub machte vielen erst bewusst, dass es im Kunsthistorischen Museum Wien nicht nur eine Fülle erstrangiger Altmeister-Gemälde zu bewundern gibt, sondern ebenso Schätze des Kunsthandwerks. Doch die Abteilung der Kunstkammer, in der sie versammelt waren, wurde 2002 geschlossen und ist erst jetzt, nach zehn Jahren Umbauzeit, wiedereröffnet worden. Das aber quasi mit Paukenschlag: Eine solch reiche Sammlung von Preziosen, wie sie die Habsburger, ob Kaiser oder Herzöge, gesammelt haben, hat weder in Madrid noch Dresden ihresgleichen, den beiden nächst bedeutenden Kunstkammern.

20 Säle, 2700 Quadratmeter, 2200 Objekte: Schon die Zahlen lassen erahnen, dass der Besuch der gründlich renovierten Wiener Kunstkammer zur tour de force wird, soll auch nur ein Überblick über die Sammlung und ihre im Laufe der Jahrhunderte mehrfach gewandelte Charakteristik gewonnen werden. Der Begriff Kunstkammer wird in Wien ohnehin frei verwendet, denn die eigentliche Kunst- oder Wunderkammer gab es in voller Blüte nur im mittleren Teil der hier betrachteten Zeitspanne vom Spätmittelalter bis zur Aufklärung. Kaiser Rudolf II. residierte von der Krönung 1576 bis zu seinem Tod 1612 auf der Prager Burg und trat damit ganz aus den österreichischen Stammlanden heraus; er ist die Zentralfigur einer Sammelleidenschaft, die sich auf Neugier gründete, aber auch auf die Ahnung dunkler, unbekannter und bedrohlicher Mächte.

Zur Kunstkammer gehören staunenswerte naturalia und artificalia, daneben die aus fernen Ländern stammenden exotica sowie ingeniös konstruierte scientifica. Rudolfs Sammlung, zu der auch die anthropomorphen Gemälde des Manieristen Arcimboldo gehören, wurde bald nach seinem Tod zerstreut. Wenn es, wie der neue Katalog der Kunstkammer mitteilt, nur die wertvollsten Teile der Kollektion sind, die den Weg nach Wien gefunden haben, dann kann man den Umfang der Prager Bestände nur erahnen.

Die Bronzebüste Rudolfs II. von Adriaen de Vries (1603)
Die Bronzebüste Rudolfs II. von Adriaen de Vries (1603)

© Kunsthistorisches Museum Wien

In der Wiener Raumfolge nimmt der Rudolf gewidmete Saal die zentrale Stellung ein. Im Kreis um die Bronzebüste des Kaisers von Adriaen de Vries (1603) sind Vitrinen angeordnet, die vorwiegend Automaten zeigen, jene Spielzeuge der Reichen und Mächtigen, in denen sich das Ingenium der frühneuzeitlichen Tüftler auslebte, ehe es sich zwei Jahrhunderte später auf die Konstruktion „nützlicher“ Instrumente fokussierte. Da gibt es ein Segelschiff (Augsburg 1585), das im Zuge seines uhrwerksmäßigen Auftritts sogar ein paar Kanonen abfeuert. Oder Diana auf dem Kentauren reitend (Augsburg 1602), der, augenrollend, einen Pfeil abschießt – mit der Maßgabe, dass der an der Tafel Getroffene den nächsten Trinkspruch ausbringen musste.

Die gesellige Tafel bildete den wichtigsten Schauplatz der Objekte. Allein die Saliera sollte Bewunderung erregen, wenn sie auf verborgenen Elfenbeinkugeln auf dem Tisch hin und her gerollt wurde, auf dass der Gast sich an den kostbaren Gewürzen labe. Dabei sollte er über die Allegorien von Wasser und Erde, Neptun und Tellus staunen, die das Salzfass zu einem der denkwürdigsten Objekte seiner Zeit machen. Daneben sieht man Prunkschalen aus Riesenmuscheln in vergoldetes Silber gefasst, Karaffen und Deckelpokale aus geschliffenem Bergkristall, Platten mit Perlmutteinlage nach Vorbildern aus dem indischen Gujarat, wie sie von süddeutschen Handelshäusern importiert wurden. Obwohl den Mächtigen nun wahrlich keine Stunde schlug, konnten sie sich an Augsburger Tischuhren des späten 16. Jahrhunderts erfreuen – die exakt gemessene Zeit als intellektueller Besitz, von dem das gemeine Volk noch auf Jahrhunderte ausgeschlossen bleiben sollte.

Das Zeitalter der Kunst- und Wunderkammern geht mit der Vernunft zugrunde

Die durchdachte Systematisierung der Kunstkammer-Aufstellung fördert nicht gerade das Wunderkammer-Gefühl. Sie hat allerdings die Geschichte auf ihrer Seite: 1891 zogen die Bestände in das neu errichtete Kunsthistorische Museum und waren dort von Anfang an der wissenschaftlichen Betrachtung unterworfen. Es dauerte bis 1991, ehe der lange verpönte Begriff der Kunstkammer wieder Anerkennung fand.

Die jetzige Neupräsentation trägt dem Doppelcharakter der Objekte Rechnung, als singuläre Kunstwerke wie als auratisch aufgeladene Zauberstücke. Die Anordnung in über 300 edlen Vitrinen hat HG Merz besorgt, der Architekt des neuen Lesesaals der Berliner Staatsbibliothek. Sein skrupulöser Umgang mit Alt und Neu stellt gerade in den überreich dekorierten Sälen des Wiener Museumsgebäudes eine gelungene Lösung dar.

Die Habsburger Schätze sind die Frucht jahrhundertelanger Sammelleidenschaft. So führt das Kunsthistorische Museum von Saal zu Saal weitere fürstliche Sammler ein, unter denen auch Rudolfs Onkel herausragt, Erzherzog Ferdinand II. von Tirol. Seit 1564 weilte er in Tirol, war verheiratet mit Anna Caterina Gonzaga vom verfeinerten Hof zu Mantua und machte sein Schloss Ambras bei Innsbruck zum Privatmuseum, in dem die ganze Welt in Objekten gebannt wurde. Ein weiterer Großsammler war Erzherzog Leopold Wilhelm. Dessen um 1660 in Brüssel erworbene Schätze gelangten nach Wien, zumal die Habsburger 1621 den genialen Beschluss gefasst hatten, alle Kollektionen von Mitgliedern des Hauses als unveräußerlichen Besitz zu behandeln. Kaiser Franz Joseph machte 1891 den Hausschatz erstmals öffentlich zugänglich, im imperialen Neubau des Kunsthistorischen Museums.

Straußeneier, Nautiluspokale, Korallenbäume, Bilder aus Steinschnitt oder, noch 1773, aus Mosaiksteinchen, Münzschränke aus Mantua (1582) oder Augsburg (1580), allegorische Darstellungen der vier Jahreszeiten von Wenzel Jamnitzer aus Nürnberg (1570), ein Saal mit Elfenbeinschnitzereien, manche in aberwitzige Höhen von 60 und mehr Zentimetern getürmt – alles ist Prunk und Reichtum pur. Nichts ist produktiv, wie es spätere, nüchternere Zeiten verlangten.

Mit einer unscheinbaren Ausnahme: ein reich verziertes Nähkästchen (Nürnberg um 1580), aber mit Polsterauflage zum Klöppeln, für die tugendhafte Fürstin. Und Kaiserin Maria Theresia ließ ein „Goldenes Nachtzeug“ anfertigen, auch dies ein kaum benutzter Gebrauchsgegenstand. Der Prunk verschwindet nicht, er wird nur diskret. Und in den marmornen Modellen der Tempel von Paestum (Rom 1805) manifestiert sich ein antiquarisches Interesse, das auch hohen Aufwand nicht scheute. Am Ende ist das Zeitalter der Kunst- und Wunderkammern an der Vernunft zugrunde gegangen.

Wien, Kunsthistorisches Museum, Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr. Begleitbuch im Brandstätter-Verlag, 39,90 €.

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