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Kultur: Wiener Melange

Moritat aus dem Milieu: Michael Sturmingers Film „Hurensohn“

Sie war das zauberische Mädchen in Veit Helmers „Tuvalu“, das wildverspielte in Bakhtiar Khudojnazarows „Luna Papa“ und Daniel Brühls zarter Krankenschwesterntraum in „Good Bye, Lenin!“: die großäugige Russin Chulpan Khamatova, Kind und Frau zugleich. Eine Fantasie hoffnungslos romantischer Männer also, ziemlich nicht von dieser Welt.

Nun spielt sie ihre erste harte Rolle – zunächst als kroatische Prostituierte in einer Wiener Schmuddelbar, bald aufgestiegen zum schicken Callgirl mit eigener Dienstwohnung. Und selbst dort, wo sie sich rau geben muss, spielt sie ihre Rolle sanft. Wahrscheinlich kann Chulpan Khamatova gar nicht anders. Das ist eines der Probleme von Michael Sturmingers „Hurensohn“. Aber die Probleme dieses ersten Langspielfilms des österreichischen Opernregisseurs sind, wundersamerweise, auch sein Charme.

Silvija ist mit ihrem Sohn Ozren um die große Ostwendezeit nach Wien gekommen und landet bald auf dem Strich. Abends, wenn sie zum Schein kellnern geht, kümmern sich Ersatzeltern um ihn: Onkel Ante (Kusturica-Stammschauspieler Miki Manojlovic) ist als Müllfahrer und strammer Freizeittrinker ein begnadet gottloser Philosoph, Tante Liljana (Ina Gogálová) sorgt für frömmelnden Ausgleich. Und da ist noch Pepi (genial nicht nur in Haneke-Filmen: Georg Friedrich), Faktotum in der Bar, in der Silvija am Anfang arbeitet. Unter dem Dach dieses insgesamt herzensguten Beziehungsgeflechts lernt der heranwachsende Ozren: Die Mama ist gar keine Kellnerin. Die Mama ist eine Hure.

Sehr gemächlich entwickelt Sturminger, nach einem Roman von Gabriel Loidolt, diese Coming-of-age-Geschichte einer doppelten Außenseiter-Kindheit: Ozren ist nicht nur der Sohn einer Emigrantin, sondern einer moralisch Ausgestoßenen. Wobei der Film die Restfamilienwärme immer gegen den Kaltkommerz des Hurengewerbes triumphieren lässt. Sogar die vergötterte, schöne, sich entziehende Mutter rebelliert eines Tages dagegen, dass er, mit 16, als Pepis Aushilfe anfängt. Silvija alias Monique mag sich hochgearbeitet haben, ihrem Sohn soll es – zumindest moralisch – eines Tages besser gehen. Doch da kommt es, arg plötzlich, zur Tragödie.

Eine Moritat aus dem Milieu? Gewiss. Vor allem aber ein liebevolles Genrebild aus der Welt der Emigranten ist dieser Film aus einem dunklen Vorstadtwien, dem der Fassbinder- und Wenders-Kameramann Jürgen Jürges ein schönes Restfunkeln abgewinnt. Stanislav Lisnic geht als pubertärer Ozren wie ein verlorener Candide durch diesen ewig traurigschmutzigen Winter; statt sich gegen seine Umgebung aufzulehnen, begegnet er ihr mit seltsam frühreifer, fast stummer Trauer. Die Endzwanzigerin Chulpan Khamatova wiederum, grenzwertig jung besetzt als Mutter eines Pubertierenden, hat als Silvija zwar nicht den reputierlichsten Beruf, liebt ihren Sohn aber, wie eine Mutter ihren Sohn nur lieben kann. Sagen wir’s so: „Hurensohn“ ist ein von vielen Seiten her verletzlicher Film. Romantiker aber müssen ihn lieben.

In Berlin in der Brotfabrik und im

Moviemento

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