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Kultur: Wiener Staatsoper: Gnade den Topfwärmern!

Als junger Theatermann hatte Günter Krämer an Gustav Rudolf Sellners Deutscher Oper in Berlin ein prägendes Erlebnis. Er sah Verdis "Nabucco" - und marschierende Chormassen mit so etwas wie Topfwärmern auf dem Kopf.

Als junger Theatermann hatte Günter Krämer an Gustav Rudolf Sellners Deutscher Oper in Berlin ein prägendes Erlebnis. Er sah Verdis "Nabucco" - und marschierende Chormassen mit so etwas wie Topfwärmern auf dem Kopf. Krämer beschloss aus einer Regung plötzlichen Unwohlseins heraus, diese Oper niemals in seinem Leben zu inszenieren. Dieser Vorsatz hielt recht lange. Bis die Wiener Staatsoper ihn damit lockte, den allerersten "Nabucco" im Haus am Ring überhaupt zu inszenieren. Hugo de Ana, ein Liebling der Scala - da er gar nicht erst auf die Idee kommt Regie zu führen, sondern gleich die Bühne mit altgoldenen Skulpturen vollstellt - war aus dem Projekt "ausgestiegen". So vergaß Krämer sein Gelübde und zog aus, einen Buh-Sturm zu ernten.

Um nicht in die Verlegenheit zu geraten, mit historisierendem Prunk Jerusalem und Babylon nachbauen und Choristen mit Topfwärmern ausstatten zu müssen, schob er die Dimension des verschleppten und mit dem Tode bedrohten israelischen Volkes einfach in den Hintergrund. In der Tiefe des Bühnenraums lagert es nun, ausstaffiert wie Ostjuden des 20. Jahrhunderts, den Koffer der letzten Reise in der Hand. Doch Krämer will sich nicht mit dem Holocaust auseinandersetzen, er will Shakespeare inszenieren - ein Königsdrama, den "Lear". Die Gestalt des alten Herrschers, der sich von seinen beiden Töchtern verraten sieht, hat es ihm angetan. Und während im Vordergrund das kleine Einmaleins des Familiendramas aufgesagt wird, warten die Kinder Israels im Hintergrund noch immer auf ihre Deportation. Das scheußlichste Dekor, das sich denken lässt. Ein Ornament, das wirklich Verbrechen ist.

Was sind gegen Krämers achtlose Tyrannenhuldigung schon de Anas altmeisterliche Bühnenbilder oder Sellners Topfwärmer? Zum Lachen. Dieser "Nabucco" aber ist zum Brüllen, nur nicht komisch. Was die Wiener zusätzlich erregte, waren Krämers unverhohlene Selbstzitate. Erst wenige Tage zuvor zeigte er beim Gastspiel seiner Kölner "Intolleranza"-Inszenierung, dass die Aggression ihren Hort im bürgerlichen Kinderzimmer hat (nun mit Ballett-Eleven wackelig während der "Nabucco"-Ouvertüre angedeutet) und projizierte Schriftbilder auf die Bühne, die jetzt hebräische Kreise zogen und ab und an - wohl durch ein Computervirus - zum Absturz ins Unleserliche gebracht wurden. Das sah aus wie der kollabierende Schriftzug, der bei "Wetten dass" eine verlorene Wette anzeigt. Nabucco - ein abgedankter Wettkönig.

Nicht ohne eine gewisse Häme hatten die Wiener Zeitungen vor der Premiere Fabio Luisi nach seinem geplatzten Engagement als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper befragt. Und der zackige Maestro antwortete ohne Umschweife: "Plump und provinziell" sei man mit ihm in Berlin verfahren. Eine Klage wegen möglicher Verdienstausfälle gegen die Deutsche Oper behalte er sich weiterhin vor. Wien griff da erstmal zu und sicherte sich Luisi als Verdi-Experten gleich noch für eine geplante "Falstaff"-Premiere. "Nabucco" näherte sich der Dirigent wie ein Koch mit hochgekrempelten Ärmeln, der Angst davor hat, dass sein Essen womöglich nicht italienisch genug schmecken könnte - und deshalb zur Sicherheit eine ganze Hand voll Oregano in den brodelnden Topf wirft. Alles auch nur irgendwie Dramatische wird schnell und schneller gespielt, der Wiener Philharmoniker-Klang schnurrt zusammen wie Schweinefleisch in der Pfanne, bis nur noch die etwas schrillen Karussell-Höhen übrig sind, wie sie Verdi wohl weiland bei der Banda von Busseto vorgefunden hat. Im Gegenzug drohen alle kontemplativen Einschübe - und die gibt es genug - im Nichts zu versanden, weil Luisi sich mit der genauen Rezeptur nicht aufhalten wollte. Die Führung von Sängern und Chören ist bestenfalls angedeutet und beruht ansonsten auf der Haltung "Atme - wenn Du kannst". So leiert das berühmte "Va pensiero" dahin, als ob ein müdes Kollektiv von der Verrentung träumt. Das mag ja manchem "italienisch" anmuten, zeugt aber eher von mangelndem Geschmack und Luisis Schielen nach bloßen Effekten. Ein Theaterdonnern ohne Nachhall.

Inmitten dieses überwürzten "Lear alla bolognese" rührt Leo Nuccis Nabucco noch am stärksten: Ein kleiner älterer Mann im graublauen Anzug, der wirkt wie das Oberhaupt eines greisen Politbüros, das längst nicht mehr weiß, was im Lande vorgeht. Auch wenn ihm im 60. Lebensjahr etwas das balsamische Volumen in der Stimme fehlt, brilliert Nucci als Gestalter von Rang: stilsicher, effizient, elegant. Da muss der Rest des Ensembles noch lange üben. Besonders Maria Guleghina als Abigaille singt immer wieder mit Vehemenz Spitzentöne an, die ihr grausam fremd sind. Das schmerzt. Die späte Ankunft des "Nabucco" in Wien - ein mühsamer Einzug auf die hinteren Plätze des Staatsopern-Repertoires.

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