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Kultur: Wiener Walze (Kommentar)

Gut, dass das Talkshow-Schlachtross Günther Nenning dabei war. Nun hatten nämlich auch das Schauspiel Frankfurt und sein österreichischer Noch-Intendant Peter Eschberg zur Diskussion über Jörg Haider und die Folgen geladen.

Gut, dass das Talkshow-Schlachtross Günther Nenning dabei war. Nun hatten nämlich auch das Schauspiel Frankfurt und sein österreichischer Noch-Intendant Peter Eschberg zur Diskussion über Jörg Haider und die Folgen geladen. Nenning, der terrible simplificateur, der sich, ungreifbar zwischen Ernst und Sarkasmus schlingernd, gern als alt gewordenes enfant terrible geriert, behielt am Schluss in vielem recht: Zumal er sich als "Antihysteriker und Austrobuddhist" um den (freilich spärlichen) Beifall von der falschen Seite die Bohne schert. Nenning also verkündete, dass Österreich nach Hunnen, Türken, Deutschen und Russen auch die Nazis überstanden habe - darum auch Haider überstehen werde. Dieses aber quittierten seine Landsleute Schneyder und Turrini mit einem kräftigen Buh wegen hanebüchener Verharmlosung der Geschichte.

In Sachen "Brutalisierung des Kapitalismus" - dem "eigentlichen Problem Europas" - fand Nenning in Frankfurt dagegen den indirekten Beifall nicht nur des Hannoveraner Soziologen Oskar Negt, der im immer weiteren Aufklappen der Schere zwischen Arm und Reich, in der Krise der Arbeits- und Erwerbsgesellschaft auch die Ursache für den Aufstieg Haiders sah. Nennings These, dass Europa ein Naziland brauche, um von seinen Problemen abzulenken, differenzierte der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter nur noch aus: Gerade in Zeiten, da Länder wie Schweden und die Schweiz ihre Verwicklung in die Nazi-Geschichte entdeckten, sei solche Entlastung hochwillkommen.

Und Elfriede Jelinek, bei der sonntäglichen Lesung entschuldigt wegen einer Kehlkopfentzündung, hatte eine Rede gefaxt, die mit dem Zynismus der Verzweiflung auf Ähnliches wie Nennings (hinter?) listiges Wort vom "unschuldigen Österreich" zielte: dass das Bild vom jungen, feschen, sportlichen Skifahrervolk aus dem Fremdenverkehrsprospekt allmählich die Zivilisation ersetze in Österreich - und mit ihr eine Vorstellung von Politik, in der die Intellektuellen noch immer nach etwas wie Wahrheit in Rede und Gegenrede suchten. Haider, darüber bestand unter den sonst durchweg männlichen Wahrheitssuchern dieser Veranstaltung Einigkeit, ist mit solchen hergebrachten Kategorien nicht zu fassen. Wenngleich auf dem Humus eines braunen Elternhauses gewachsen, sei Haiders Wille zur Macht, so der Wiener Dramatiker Peter Turrini, ebenso gut grün oder rot einfärbbar gewesen.

"Blöde und hysterisch" nannte Werner Schneyder den EU-Boykott, der Österreichs 73 Prozent Nicht-Haider-Wähler mit in "Geiselhaft" nehme - während Daniel CohnBendit diesen Boykott auch gegen das ungleich stärkere und atomwaffenbewehrte Russland des "Mörders" Putin einforderte. Cohn-Bendit war es auch, der den Vorschlag zur medialen Ächtung Haiders als das kenntlich machte, was er ist: eine unfreiwillige Stärkung des Geächteten. Und zugleich Ausdruck der Feigheit vor einem rhetorisch begabten Demagogen.

Den vermeintlichen Kurzschluss des Tages produzierte Salman Rushdie in einer verlesenen Stellungnahme, in der er die "Schmiergeldartisten" Europas mit Haider ohne Federlesens in einen Topf warf. Dass darin allerdings ein Quäntchen Wahrheit steckt, hatte schon Horst-Eberhard Richter deutlich gemacht, der im jüngsten, durch schwarze Kassen bedingten Autoritätsverfall der politischen Parteien auch hierzulande die Sehnsucht nach einer starken Hand angelegt sah. Und so, im Blick auf die bundesrepublikanischen Verhältnisse, enthüllte auf verquere Art auch Günther Nennings Forderung "Lasst Österreich in Ruhe" noch ihren provokativen Stachel: Denn ein künstlerisches und intellektuelles Großaufgebot wie gegen Jörg Haider haben bundesdeutsche Affären und Skandale schon lange nicht mehr bewirkt.

Ruth Fühner

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