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Sterben vor der Kamera. Ausschnitt aus dem „Collateral Murder“-Video.

© dpa

Wikileaks Bilder vom Krieg: Die Pornografie des Tötens

Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, demontiert sich gerade selbst – aber Wikileaks hat unser Bild vom Krieg revolutioniert.

Auch Helden können erbärmliche Menschen sein. Der Kinderpsychologe Bruno Bettelheim, ein als Humanist verehrter KZ-Überlebender, soll jugendliche Patienten geschlagen haben. Oskar Schindler, der 1200 jüdische Zwangsarbeiter vor der Gaskammer rettete, muss ein großer Schwerenöter gewesen sein, der seine Ehefrau betrog. Und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer habe, so heißt es, wie ein Kolonialherr des 19. Jahrhunderts schwarze Eingeborene als Menschen zweiter Klasse behandelt.

Meistens sorgen solche Enthüllungen erst für Schlagzeilen, wenn ein vermeintliches Idol bereits gestorben ist. Sie können, je nach der Schwere der Vorwürfe, zu einem posthumen Denkmalsturz wie im Fall Bettelheim oder bloß, wie bei Schindler, zu ein paar neuen biografischen Fußnoten führen. Besonders jämmerlich ist es allerdings, wenn eine scheinbare Lichtgestalt bereits zu Lebzeiten demontiert wird. Oder, noch schlimmer: sich selbst demontiert. So ein Schauspiel lässt sich gerade in London beobachten, wo sich Julian Assange in die ecuadorische Botschaft geflüchtet hat, ein Asyl, das ihm zum Gefängnis geworden ist, weil er sofort von der britischen Polizei verhaftet würde, wenn er es verließe.

Nicht nur, dass der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks sich als angebliches Opfer politischer Unterdrückung in eine Reihe mit den zu Zwangslagerhaft verurteilten Sängerinnen der russischen Band Pussy Riot stellt und US-Präsident Obama der „Hexenjagd“ anklagt. Dabei soll er gar nicht in die USA, sondern nach Schweden ausgeliefert werden, wo wegen „sexueller Nötigung und sexueller Belästigung“ gegen ihn ermittelt wird. Noch skandalöser ist jedoch, dass Assange sich beim ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, der ihm politisches Asyl gewährt hat, für dessen „Mut“ bedankt. Damit macht sich der Meinungsfreiheitsaktivist mit einem lupenreinen Populisten gemein, der kritische Journalisten mit Bußgeldern verfolgen und auch schon mal einen aufmüpfigen Sender abschalten lässt.

Bilderstrecke: Julian Assange und Wikileaks

Assange und Wikileaks muss man trotzdem rühmen: Sie haben unser Bild vom Krieg revolutioniert. Daran erinnert Gerrit Walczak mit seinem Aufsatz „Wikileaks und Videokrieg“ in der neuen Ausgabe von „Mittelweg 36“, der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung (August/September 2012, 118 S., 9,50 €). Auf fast 40 Seiten analysiert der Bochumer Kunsthistoriker einen Film, der sofort für eine Sensation gesorgt hatte, nachdem er im April 2010 von Wikileaks unter dem Orwell’schen Titel „Collateral Murder“ ins Netz gestellt worden war.

Video: Diplomatisches Tauziehen um Assange

Die Bilder seien „viel widersprüchlicher, als es die Bearbeitung anerkennt“

Zu sehen ist aus der Gottesaugen-Perspektive eines über dem besetzten Bagdad kreisenden amerikanischen Apache-Kampfhubschraubers, wie am 12. Juli 2007 mehrere Männer durch das Feuer einer 30mm-Maschinenkanone getötet werden, wie weitere Salven in einen Kleinbus einschlagen, aus dem Augenzeugen einem Überlebenden zur Hilfe eilen, und wie schließlich drei Hellfire-Flugkörper ein Gebäude in Schutt und Asche legen. Es gibt keinen chirurgisch sauberen Luftkrieg – das zeigt das Video –, wie ihn die Militärs seit dem Zweiten Golfkrieg von 1991 der Weltöffentlichkeit zu verkaufen versuchen.

Karikaturen zu Wikileaks:

Damals hatte US-General Norman Schwarzkopf bei Pressekonferenzen Luftaufnahmen von explodierenden Industrieanlagen und in sich zusammensackenden Brücken vorgeführt. Doch im „Collateral Murder“-Video sterben echte Menschen, man kann ihre Körper, sogar die Gesichter erkennen. Zwei Opfer bekamen auch einen Namen, der Reuters-Fotograf Namir Nur-Eldin und sein Assistent Said Chmar, denen offenbar zum Verhängnis wurde, dass Pilot und Bordschütze ihre Kamera mit Teleobjektiv für eine Kalaschnikow gehalten hatten.

Allerdings manipulierte Wikileaks das Material, als es aus der 40-minütigen Rohversion ein 18-minütiges Video machte. Die Bilder, schreibt Walczak, seien „viel widersprüchlicher, als es die Bearbeitung anerkennt“. Assange hatte sich für eine personalisierte Erzählung entschieden, so stehen die beiden Journalisten im Zentrum der Schnittfassung. Aber es gab wahrscheinlich 23 weitere Todesopfer, unter ihnen zwei Kinder. Das Video wurde „Live-Action-Kriegsporno“ genannt. Der Zuschauer erlebt den Krieg aus der Zieloptik der Täter. Er kann sich am Töten aufgeilen.

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