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Imposant. Die "Roskilde 6" im Lichthof des Gropius-Baus.

© dpa

Wikinger-Ausstellung in Berlin: Helden ohne Hörner

Über die Wikinger kursieren viele Legenden. Sie seien blutrünstige Barbaren gewesen, die Helme mit Hörnern trugen. Nichts davon stimmt. Eine große Wikinger-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau versucht mit den Vorurteilen aufzuräumen.

Willkommen im Mittelalter, willkommen in der Horrorshow. Fünf Skelette liegen in wilden Verrenkungen auf dem Boden, unten ihnen deuten farbige Markierungen die Lage weiterer Leichen an. Es muss ein makabares Knäuel von Körpern gewesen sein, ein allerletzter Totentanz. Nur die Schädel liegen abseits, sorgfältig im Halbkreis arrangiert. Das Massengrab von Weymouth, 2009 bei Bauarbeiten entdeckt, enthielt die sterblichen Überreste von 54 Männern aus der Zeit um 1000, die allesamt eines gewaltsamen Todes gestorben waren. Wahrscheinlich handelt es sich um die Besatzung eines Drachenbootes der Wikinger, die hier, an der südwestlichen Küste Englands, in einen Hinterhalt der einheimischen Angelsachsen geraten waren. Einige Krieger, das zeigen Hiebspuren an ihren Schädeln, starben im Kampf, doch die meisten wurden gefangen genommen und später enthauptet. Eine barbarische Praxis, die sofort die Bilder von den Verbrechen der Isis-Gotteskrieger wachruft.

Schlachtszenen in der Endlosschleife

Die Rekonstruktion des Massengrabes von Weymouth ist der gruselige Höhepunkt der Großausstellung über „Die Wikinger“ im Berliner Martin-Gropius-Bau. In dem abgedunkelten Raum erstrahlen Schädel und Knochen im Punktstrahlerlicht, im Hintergrund laufen Schlachtszenen in der Endlosschleife auf einer Leinwand. Experten vom Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte, dem Kopenhagener Nationalmuseum und dem British Museum London haben sich zusammengetan, um mit einigen Vorurteilen über die Wikinger aufzuräumen. Schon der Name ist eine Beleidigung. „Vikingr“ steht im Altnordischen für Seeräuber, es gibt kaum zeitgenössische Belege dafür, dass die Skandinavier sich selbst so nannten. In den Beschreibungen ihrer Gegner erscheinen die Wikinger als blutrünstige Barbaren, die auf der Suche nach Beute auch über Frauen und Kinder herfallen. Die Angst vor ihnen gipfelte in der Gebetszeile „A furore Normannorum libera nos, domine!“ – „Herr, befreie uns von der Raserei der Nordmänner!“

Blick in die Ausstellung.
Blick in die Ausstellung.

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Aber das Beispiel von Weymouth zeigt, dass die Überfallenen mindestens genausosehr Barbaren waren wie die Angreifer. Als die Wikinger im Jahr 793 das Kloster Lindisfarne in Nordengland attackierten und plünderten, war der Schock im christlichen Europa so groß, dass ein Chronist noch Jahre später notierte: „Die Normannen aber hörten nicht auf, das christliche Volk in Gefangenschaft zu führen und zu töten. Auf allen Straßen lagen die Leichen von Geistlichen, von Weibern, Jugendlichen und Säuglingen.“ Allerdings gingen auch die christlichen Herrscher nicht zivilisierter mit „ungläubigen“ Gegnern um, bei den Kreuzzügen etwa oder dem „Blutgericht von Verden“, wo Karl der Große Hunderte von Sachsen hinrichten ließ. Die Wikinger waren auf Beute aus, nicht unbedingt auf Kampf. Oft tauchten sie mit ihren Schiffen vor Küstenstädten auf, verlangten Tribut und zogen wieder ab, wenn dieses „Danegeld“ gezahlt worden war.

Wikinger als Terroristen des Mittelalters

Ihrem Image als Terroristen des Mittelalters sind die Wikinger auch deshalb bis heute nicht entkommen – darauf weist die Historikerin Claudia Banck in ihrem erhellenden Buch „Alles Mythos! 20 populäre Irrtümer über die Wikinger“ (Theiss Verlag) hin – weil sie ihre eigene Geschichtsschreibung erst ab dem 12. Jahrhundert mit der Christianisierung und der damit verbundenen Einführung einer Schriftkultur entwickelten. In Glaubensfragen waren die Wikinger erstaunlich tolerant und flexibel. Sie vermischten ihren germanischen Götterglauben problemlos mit Elementen des Christentums und nahmen den Christengott ins Pantheon ihrer von Thor angeführten Götter auf.

Für diese Aussöhnung der Religionen stehen einige der schönsten Stücke der Ausstellung: dänische Reliqienkreuze, eine Kirchenglocke aus der Wikinger-Siedlung Haithabu in Schleswig-Holstein, die als älteste ihrer Art in Nordeuropa gilt, und herrliche, vergoldete Zierbeschläge, die die Taufe des Wikingerkönigs Harald Blauzahn zeigen. Harald, der Dänemark und Norwegen beherrschte, ließ sich um 960 vom Bischof Poppo aus Schleswig taufen. Seine Konversion folgte aber nicht Gewissensgründen, sondern dem politischem Kalkül. Im Christentum war der König von Gott eingesetzt und deshalb unangreifbar. Doch Haralds Sohn Sven Gabelbart inthronisierte gleich nach seiner Krönung die alten Götter wieder und verjagte die christlichen Missionare.

Die Wikinger waren vor allem eins: Seefahrer. Dass sie in der Blütezeit ihrer Kultur vom 10. bis zum 12. Jahrhundert die nördlichen Meere beherrschten, Beutezüge und Handelsmissionen bis hinab nach Gibraltar und Nordafrika führen konnten, hatten sie der Schnelligkeit ihrer Schiffe zu verdanken. Schiffe waren für die „Nordmänner“ Transportmittel, Kriegswaffen und Statussymbole. Zu Recht steht deshalb ein Schiff im Mittelpunkt der Ausstellung, die imposante, 37 Meter lange „Roskilde 6“, die 1997 im Hafen von Roskilde entdeckt wurde und nun mit bis zur Decke aufgespanntem rotweißen Segel im Lichthof des Gropius-Baus steht. Drumherum liegen in Vitrinen Ausgrabungsstücke, die die Dominanz des Nautischen in der Kultur der Wikinger belegen: Spielzeugschiffe, Fibeln in Schiffsform, der pferdeförmige Kopf einer Wetterfahne, die einst an Bord die Windrichtung anzeigte.

Helme mit Hörnern wurden von den Wikingern nie getragen

„Sie fuhren mannhaft fern nach Gold, gaben im Osten dem Adler Speise, sie starben im Süden im Sarazenenland“, steht – eine Aufschrift von einem Runenstein in Gripsholm – im Durchgang zu den Räumen, die sich den Handelsrouten der Wikinger widmen. Sie ließen sich in England nieder, gründeten das erste Großreich auf russischem Boden und segelten um das Jahr 1000 von Grönland aus als erste Europäer nach Amerika.

Zu sehen sind karolingische Beschläge, „Kiewer Eier“, Schmuck aus glasierter Keramik, und eine Steinplatte mit altarabischer Aufschrift. Was davon Raubkunst war und war Handelsgut, lässt sich heute nicht mehr klären. Zu idyllisch sollte man sich das Handelsgebaren der skandinavischen Fernfahrer nicht vorstellen. Als Handelsgüter werden neben Perlen, Schalen und Silbergegenständen auch eiserne Hand- und Beinfesseln gezeigt, die von versklavten Gefangenen getragen wurden.

Mit einem Mythos macht die klug kuratierte Ausstellung endgültig Schluss: Helme mit Hörnern, wie sie bis hin zu Helden wie Hägar oder Wicki unser Bild von diesem kampfeslustigen Volk prägten, wurden von den Wikingern nie getragen. Sie sind eine Erfindung von Richard Wagner, der bei der Uraufführung seines „Ring des Nibelungen“ (1876) die nordischen Figuren besonders martialisch aussehen lassen wollte.

Gropius-Bau, bis 4. Januar, Mi-Mo 10–19 Uhr. Katalog (Hirmer Verlag) 39,90 €.

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