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Wilde Komödie aus dem Norden: Du Hippie, ich Punk

Coming-of-age-Geschichten sind im Kino immer en vogue. Neuerdings müssen die Jugendlichen dabei gegen ihre dauerjungen Eltern rebellieren. Gar nicht so einfach, wie Jens Liens „Sons of Norway“ zeigt.

Und dann erscheint dem kleinen Nikolaj der selbstgebackene Gottvater höchstpersönlich, wie im Traum. Er ist Mitte 50, hat immer noch diesen stechenden Blick und das struppige Haar, und zwecks Bestätigung eines weiteren Markenzeichens spuckt er ein paar alte Töne: Chaos ist Dreck, Individualität übrigens auch! Freiheit ist Scheiße, Scheiße ist Freiheit! Also: Alles ist möglich!

Aus so einem Koma muss man einfach aufwachen. Ausgerechnet John Lydon alias Johnny Rotten ist es, die Fratze des Freaks als älterer Herr, jener Untote der früh verblichenen Sex Pistols, der da seinem Fan diese Dödeldialektik wie eine rostige Sicherheitsnadel ins Hirn rammt: Da muss man auch als Unfallopfer gucken, dass man flink zurück ins Leben findet. Und tatsächlich, von da an geht’s bergauf mit dem kleinen Nikolaj.

Nikolaj heißt Nikolaj, weil „Sons of Norway“ auf den „Theorie und Praxis“ genannten Kindheitserinnerungen des Norwegers Nikolaj Frobenius basiert. Frobenius war 13, als die Sex Pistols sich bereits wieder auflösten, und „Sons of Norway“ erzählt ganz einfach, mit Asmund Hoeg in der Hauptrolle, das dreizehnte Jahr des kleinen Nikolaj. Als die Mutter nach einem Fahrradunfall stirbt und der bislang dauerglückliche Hippie-Papa namens Magnus (Sven Nordin) in Depressionen verfällt, wird Nikolaj lieber Punk. Aus so einer Restfamilie muss man schließlich irgendwie raus in die Zukunft, No Future hin oder her.

Eine Coming-of-Age-Geschichte also, eine der insofern noch neueren Art, als sie nicht im spießig-dumpfen, sondern wild-alternativen Milieu gedeiht. „Sommer in Orange“ von Marcus H. Rosenmüller war zuletzt so ein Vergangenheitsbewältigungsfall, der das orangefarbene Treiben einer Bhagwan-WG aus konsternierter Kinderperspektive betrachtete. „Sons of Norway“ spitzt das Thema doppelt zu. Nikolaj, der als Gegenüber nach dem Tod der Mutter nur noch seinen Fusselhippie von Vater hat, will selber revoltieren. Und als er denkt, Punk schlägt Hippie, wird der Papa selber Punk.

Tragisch ist das, und komisch natürlich auch. Regisseur Jens Lien, Jahrgang 1967, pinselt mit Nikolaj Frobenius, der seine Punk-Memoiren zum Drehbuch umarbeitete, diese Bilder einer Jugend liebevoll aus. Da ist der zum norwegischen Holzhaus umgebastelte VW-Bus, da ist das Nudistencamp, in das Magnus seinen Sohn mitschleppt (Nikolaj bleibt bei seiner Union-Jack-Badehose), und als der Vater am Schlagzeug in Nikolajs SchülerPunkband einspringt, ist Schluss mit lustig. Nikolaj rast mit Papas Uralt-Motorrad durch die Glastür ins Gesamtschulfoyer. Und, tja, ab ins Kurz-Koma.

Was hübsch ist: Dieser kurze Film über das Nichtmehrkindsein lässt sich Zeit. Er blättert, und das macht nur ordnungsbewusste Gemüter unruhig, bloß hin und her in diesem Jugendjahr 1978. Alles ist gleich wichtig und gleich würdig: der kindische Vater, das wütende Kind, die Hippie-Ausläufer in der skandinavischen Provinz, das bisschen Punk ebenso, und kaum bündeln sich all diese Symptome zu einem Panorama trauriger Mutterlosigkeit, ist auch dieses Tränchen schon wieder getrocknet. So undeutlich das alles wie ein Kinderjahr, wenn man so alt ist wie John Lydon heute oder wie Jens Lien, und so mehr geträumt als gewesen, wie ein Film.

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