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Das „Fräulein Heck“ bannte Lovis Corinth 1897 auf dem Starnberger See in impressionistisches Licht.

© Grisebach

Kultur: Wilde Wolken

Die Sammlung Colsman und restituierte Vormoderne: Die Frühjahrsauktionen von Grisebach locken mit Spitzenlosen.

Versunken blickt die junge Frau im Kahn an uns vorbei, über ihr leuchtet ein roter Sonnenschirm. Im Hintergrund öffnet sich in Blau- und Weißtönen das Landschaftspanorama des Starnberger Sees. Das Rot des Schirms taucht als Widerschein im Wasser auf und an der Hand der Porträtierten. Es ist die Schwester von Luise Halbe, der Frau des Dramatikers Max Halbe, den Lovis Corinth in seiner Münchner Zeit von 1891 bis 1901 regelmäßig traf. Corinths Gemälde entstand 1897. Wohl vom französischen Impressionismus inspiriert, hat sich der Maler hier von allen akademischen Zwängen befreit. Er konzentriert sich ganz auf das, was er vor sich sieht: die Kleidung und Züge der jungen Dame, die Stimmung der Landschaft dahinter.

Das eindrucksvolle Gemälde ist ein Glanzlicht im Segment der klassischen Moderne, die nun bei Grisebach gezeigt und in der kommenden Woche versteigert wird. Mit einem unteren Schätzwert von 280 000 Euro zählt es nicht einmal zu den Toplosen der aktuellen Frühjahrsauktionen mit insgesamt 1487 Gemälden, Fotografien, Grafiken, Skulpturen und Objekten, bei denen nach mittleren Schätzwerten 19,5 Millionen Euro Umsatz eingespielt werden sollen.

Hochkarätige Moderne lockt in die Abendauktion

Auf die Millionengrenze zielt das bewegte Wolkengemälde von Emil Nolde in kräftigen Blau-, Grün- und Weißtönen aus dem Jahr 1926 (Taxe: 1,2–1,6 Mio. Euro). Es gehört zu jenen zwanzig Werken aus der Sammlung Adalbert und Thilda Colsman mit Namen wie Nolde, Christian Rohlfs und Paula Modersohn-Becker, die in der mit hochkarätiger Moderne lockenden Abendauktion versteigert werden. 1915 wurde Adalbert Colsman Geschäftsführer der von seinem Vater mitbegründeten Seidenweberei Conze & Colsman in Langenberg. Schon früh hatte er Zugang zur Kunst seiner Zeitgenossen. Colsmans Schwester Gertrud war mit Karl Ernst Osthaus verheiratet, der in Hagen das Folkwang Museum gründete – als erstes Museum, das sich vorrangig der Gegenwartskunst verschrieb. Dort ließ sich Colsmans inspirieren, entdeckte seine Leidenschaft für die Moderne. Die „Weißen Wolken“ von Nolde erwarb er 1927 kurz nach einer Retrospektive zum 60. Geburtstag des Künstlers. Wunderbar aus dieser Sammlung sind auch Paula Modersohn-Beckers farbintensives Gemälde „Herbstlandschaft am Weyerberg mit Tümpel“ (Taxe: 100 000–150 000 Euro) und „Die Blauen Berge“ von Christian Rohlfs (Taxe: 120 000–150 000 Euro). Letzteres hing prominent im Salon der Colsmans.

Ein weiteres Spitzenlos der Abendauktion mit ausgewählten Werken sind Otto Muellers „Zwei Mädchen mit gegabeltem Baum“ mit einem Schätzwert von mindestens einer Million Euro. Es zeigt die für Mueller charakteristischen Elemente – schlanke Mädchengestalten in arkadischer Landschaft – in einer ebenso typisch zeitlosen Komposition in gedämpften Farben. Daneben warten weitere eindrucksvolle Werke der klassischen Moderne und zeigen einmal mehr, wo einst der Schwerpunkt von Grisebach lag. Zum Verkauf stehen hier George Grosz’ sozialkritisches Aquarell „Drinnen und Draußen“ (1925), Alexej von Jawlenskys melancholische „Variation: Mondenlichte“ von 1916, Max Beckmanns Grafikzyklus „Jahrmarkt“ (1921), Paul Klees wunderbarer „Seiltänzer“ von 1923, Otto Dix' interessanter Probedruck zu dem berühmten Blatt „Leonie“ aus demselben Jahr sowie Karl Hofers versonnen dreinblickende „Frau mit Papagei“ von 1940.

Drei restituierte Kunstwerke aus der Sammlung Mosse

Doch auch bei den Werken aus dem 19. Jahrhundert hält Grisebach einige Überraschungen bereit. Die Kunstsammlung des Berliner Zeitungsverlegers Rudolf Mosse war 1934 die erste, die im Auftrag der Nationalsozialisten zwangsversteigert wurde. Dank der Washingtoner Erklärung von 1998 und der Lost-Art-Datenbank werden inzwischen viele damals enteignete Kunstwerke jüdischer Eigentümer oder Sammler ausfindig gemacht und an die Erben restituiert. So verhält es sich auch mit drei bedeutenden Kunstwerken des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung Rudolf Mosse, die nun bei Grisebach versteigert werden. Dazu gehört Adolph Menzels zart ausgeführtes Pastell seiner Schwester Emilie in roter Bluse (Taxe: 300 000–400 000 Euro). Mit Emilie verband Menzel ein inniges Verhältnis, unermüdlich hielt er sie in Gemälden, Pastellen und Zeichnungen fest. Pastelle haben für Menzel darüber hinaus eine besondere Bedeutung: Sie sind keine Vorstudien für Gemälde, sondern vollgültige Arbeiten.

Das zweite Werk aus der Sammlung Mosse, das von Wilhelm Leibl 1871 gemalte „Bildnis des Appellationsrats Stenglein“ (Taxe: 120 000–150 000 Euro) demonstriert Leibls begnadete Porträtkunst. Zu Mosses Lebzeiten hing es in dessen luxuriösem Palais am Leipziger Platz. In diesem großbürgerlichen Ambiente stellte der jüdische Zeitungsverleger seine Schätze aus. Vermutlich im Musikzimmer war das dritte Bild der Kunstsammlung zu sehen, das bei Grisebach jetzt zum Verkauf steht: der „Frühlingssturm“ von Ludwig von Hofmann aus dem Jahr 1894/95, das einen nackten Jüngling mit einer Frau an jeder Seite farbenprächtig im Moment des Aufbruchs zeigt (Taxe: 200 000–300 000 Euro). Lange Zeit wurde das Werk auf der Mathildenhöhe in Darmstadt als Inbegriff des dortigen Jugendstils ausgestellt. Vor zwei Jahren gab es die Städtische Kunstsammlung Darmstadt an Mosses Erben zurück.

Auf dem Feld der zeitgenössischen Kunst bei Grisebach mit rund 140 Losen führt das dynamische Gemälde des japanischen Malers Kazuo Shiraga im Stil des gestischen Informel und mit einem Schätzwert von mindestens 500 000 Euro das Feld an, gefolgt von einem von Sigmar Polke festgehaltenen Geschlechtsakt (Taxe: ab 120 000 Euro) und einem atmosphärischen Stillleben von Neo Rauch (Taxe: ab 100 000 Euro).

Im Bereich Fotografie werden neben zahlreichen Klassikern, darunter begehrte Vintages, vor allem die Afrikamotive von Peter Beard interessieren. Beard bekam einen besonderen Exoten vor die Kamera: Andy Warhol posiert 1972 für ihn in seinem gerade erworbenen Haus in Montauk mit Sonnenbrille auf der Nase und Totenschädel im Schoß (Taxe: ab 50 000 Euro). Der Schädel war für Warhol ein Motiv, das er später in den „Scull-Paintings“ und verschiedenen „Self Portraits with Scull“ verwenden sollte.

Grisebach, Fasanenstr. 23, 27 und 73. Vorbesichtigung: 27.–31.5., Fr–Mo 10–18 Uhr, Di 10–15 Uhr. Auktionen: 1.–4. 6., www.grisebach.com

Angela Hohmann

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