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Kultur: Wilhelm im Pixelpark

Von Frank Peter Jäger Der größte Fernseher Berlins befindet sich an der Französischen Straße in Berlin-Mitte. Die tonnenschwere, vier auf sechs Meter große Video-Wand beherrscht das Foyer der Telekom-Hauptstadtniederlassung an der Ecke Französische / Oberwallstraße.

Von Frank Peter Jäger

Der größte Fernseher Berlins befindet sich an der Französischen Straße in Berlin-Mitte. Die tonnenschwere, vier auf sechs Meter große Video-Wand beherrscht das Foyer der Telekom-Hauptstadtniederlassung an der Ecke Französische / Oberwallstraße. Sie hängt an einem beweglichen Portalkran, wie man ihn aus Fabrikhallen kennt. Auch bei abgedrehtem Ton beherrschen ihre rastlosen Bilderfolgen das Entree. Eine technische Attraktion, demonstrativ ins Zentrum gerückt, dem Besucher zu beweisen, dass das Unternehmen im dritten Jahrtausend angekommen ist.

Innovative Kommunikationstechnik steckt bereits in dem Gebäude, so lange es steht: Seit 1863 wurden von hier aus Telegramme versendet, und 1881 richtete man im damaligen Kaiserliche Hauptelegrafenamt Berlins erste „Stadtfernsprecheinrichtung“ ein. Sie brauchte nicht viel Platz, denn es gab am Anfang nur 99 Anschlüsse. Herzstück des abschnittweise zwischen 1863 und 1902 errichteten Gebäudes ist ein turnhallengroßer, von gußeisernen Säulen gesäumter Saal, in dem einst die Telegrafisten in langen Reihen vor ihren tickenden Empfangsgeräten saßen. Er ist wiederhergestellt und dient heute für repräsentative Anlässe.

Das Berlin-Braunschweiger Architekturbüro Henze & Vahjen erhielt 1994 den Auftrag, die Immobilie zum Hauptstadtsitz der Telekom auszubauen. Der mit dem Projekt betraute Martin Weißer ergänzte den Altbau an Stelle eines im Krieg zerstörten Flügels durch ein gebäudehohes, gläsernes Foyer, das die Eckpartie zur Französischen und zur Oberwallstraße einnimmt. Damit hat das Haus drei verschiedene Fassaden: Neben der gläsernen eine schmuckvolle Sandsteinfassade im Neorenaissancestil zur Jägerstraße hin, außerdem die wieder freigelegte, klassizistische Ziegelfassade des Ursprungsbaus. Die helle Weitläufigkeit der neuen Foyerhalle ist angenehm. Tiefere Regungen weckt der verschwenderisch dimensionierte Raum nicht – vielleicht ist das der Gewöhnungseffekt. In Berlins Mitte bewegt man sich ja auf Schritt und Tritt durch haushohe Atrien.

Nachts werden der Lichthof und die Fassade bis in die letzte Fensterlaibung effektvoll ausgeleuchtet. Solch wohlkakulierte nächtliche Lichtdramaturgie geht meist auf Kosten der Wirkung bei Tage, denn wo viel Licht ist, ist wenig Wand. Auch das Telekom-Haus illustriert mit seiner blanken Schauseite das ästhetische Risiko großflächiger Glasfassaden: Im Stadtraum bildet sie sich nur als dunkelgraue, diffuse Oberfläche ab, die erst an ihren Begrenzungen überhaupt als Wand erkennbar ist.

Architekten sprechen in diesem Fall gerne von der dematerialisierten Fassade. Aber die ist gerade nicht gefragt an einem Ort, wo es darauf ankäme, der Zäsur zwischen zwei stadtgeschichtlichen Epochen räumlich Ausdruck zu geben: Auf Höhe der Friedrichwerderschen Kirche stoßen die rechtwinkligen Blöcke der barocken Friedrichstadt und der Grundriss des spätmittelalterlichen Berlin aneinander. Schaut man vom südlichen Schlossplatz in Richtung Friedrichstadt, geht der Blick geradewegs auf das Telekom-Haus. Dessen klare Blockkante verliert sich mit dem Übergang zur Glasfassade ins unbestimmt körperlose. Die gern gepriesenen Effekte gläserner Fassaden, ihre Durchsichtigkeit und Spiegelwirkung, werden nur aus nächster Nähe wirksam.

Auch formal gibt die gläserne Hülle Anlass zu Skepsis: Dass sie, inmitten einer vertikal gegliederten Fassade, am Foyer unvermittelt in ein horizontales Sprossenraster wechselt, ist so wenig nachvollziehbar wie elegant. Denkbar abrupt ist auch der Übergang vom gläsernen Teil des Gebäudes zum lebhaften Ziegelkleid des Altbaus, die die Architekten Stein für Stein restaurieren ließen. Die beiden Fassaden sind schon in der Farbe zu gegensätzlich, als dass sich zwischen ihnen ein positives Wechselverhältnis anbahnen könnte.

Die Kritik macht sich fest am Außeren des Hauses, an dem, was man sieht. Wesentliche, außerordentlich arbeitsintensive Leistung der Architekten aber lassen sich – erst auf den zweiten Blick – daran ablesen, was sie wieder ans Licht geholt haben von den Ausstattungen des alten Gebäudes. Die Auflagen der Denkmalpflege waren umfangreich, weswegen der Bau an keiner Stelle im großen Stil entkernt werden durfte. Vielmehr hatte die Arbeit der Architekten beinahe archäologischen Charakter: Sie schälten die historische Substanz unter den Einbauten von sechs Jahrzehnten hervor. Nach aufwändigen Recherchen rekonstruierten sie abgeschlagene Säulenkapitelle, restaurierten Terrazzoböden und Treppenhäuser – und fanden dabei zu so überzeugenden Kombinationen aus Wiederherstellung, Rekonstruktion und neu hinzugefügten Elementen, dass die Denkmalbehörde das Projekt anderen Bauherrn als Vorbild benannte.

Projektleiter Martin Weißer hat nach achtjähriger Betreuung des Umbaus eine enge Beziehung zum Haus entwickelt. Beim Rundgang bekommt er noch heute leuchtende Augen, wenn er die Stelle zeigt, wo er, einem Höhlenforscher gleich, mit der Taschenlampe durch eine Maueröffnung in eine Zwischendecke stieg, um nach einem verschwundenen Gewölbe zu fahnden – im Kegel der Lampe tauchte die verloren geglaubte Stuckdecke dann wieder auf. Jetzt wölbt sie sich strahlend weiß über dem Konferenzraum des Telekom-Managements.

Die langwierige, rund 76 Millionen Euro teure Wiederherstellungsarbeit hat sich gelohnt: Mit dem Gebäude und seiner wilhelminisch-herrschaftlichen Architektursprache ist ein Stück Berliner Technikgeschichte ins Zeitalter der Pixelparks hinübergerettet worden.

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