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Einfach draufgehalten. William Klein fotografierte 1959 den sowjetischen Alltag wie in „Bikini, am Ufer der Moskwa“.

© William Klein

William Klein-Ausstellung in Berlin: Das pralle Leben

William Kleins Schwarz-Weiß-Fotografien fangen das Leben ein, seine chaotische Fülle, seine Widersprüchlichkeit und Komik. Das C/O Berlin zeigt erstmals eine Übersicht seines Werkes.

Wenn man um 1970 in eines der wenigen Programmkinos ging, hing unter den Plakaten am Eingang eines mit dem Titel „Mr. Freedom“, ein Film von William Klein. Von einem Außenseiter.

Das ist William Klein bis heute. In der aktuellen Ausgabe der Hauszeitschrift der Fotogalerie C/O Berlin ist ein Interview mit dem Künstler abgedruckt, in dem er unter anderem beschreibt, wie „Mr. Freedom“ 1967 entstand – und nach der Kinofreigabe 1969 sogleich, auf dem Hintergrund des gerade erst gewesenen Pariser Mai '68, missverstanden wurde. Vor allem in Paris. Da nämlich lebte Klein, geboren 1928 in New York als Kind ungarisch-jüdischer Einwanderer, seit einem Stipendium für US-Soldaten 1948 und bis auf den heutigen Tag. Bei C/O Berlin ist jetzt so ziemlich die erste Übersicht zum Werk des Fotografen – am Rande auch des Filmemachers – zu sehen, die es in Deutschland je gegeben hat.

Klein ist für seine schockartige Schwarz-Weiß-Fotografie berühmt, für das Draufhalten der Kamera auf Menschen in weniger als einer Armlänge Entfernung. Oder besser gesagt: Nähe. Nicht der moment décisif eines Cartier-Bresson ist Kleins Methode und Ziel, sondern die chaotische Fülle des Augenblicks, das pralle Leben und seine Situationskomik.

Klein fotografiert 1959 einen Georgier in Moskau, der vor der Universität stolz seinen Sohn ins Bild hebt.
Klein fotografiert 1959 einen Georgier in Moskau, der vor der Universität stolz seinen Sohn ins Bild hebt.

© William Klein

Schräge Typen bevölkern sein New York, dem er 1956 das Buch „Life is good and good for you in New York“ widmet, mit dem die Tetralogie seiner Städtebücher beginnt. In „Rom“ (1959) fing er die an bescheidenen Wohlstand heranrückende italienische Nachkriegsgesellschaft ein, für die eine „Vespa“ das Ziel aller Träume darstellte, in „Tokyo“ 1964 die Enge der erst in diesem Jahr der Olympischen Spiele sich dem Westen wirklich öffnende Traditionsgesellschaft Japans.

Danach erschien das vierte Buch, „Moskau“, das auch in einer deutschen Ausgabe herauskam; zur großen Zeit der Zeitschrift „twen“ und ihrer Ästhetik: Denn es waren die ganzseitigen, oft doppelseitigen Fotografien im Anschnitt, die Kleins textlose Bücher auszeichneten, eine letzte Hochblüte der Schwarz-Weiß-Fotografie und ihrer medialen Verbreitung.

So ungefähr ist auch die Ausstellung gestaltet; wie immer bei C/O makellos und ihrem Gegenstand gleichrangig. Großformatige Abzüge sind zu wandfüllenden Arrangements vereint, einzelne Filmausschnitte auf frei hängende Screens projiziert. Schreiend bunte Übermalungen auf hochvergrößerten Kontaktabzügen belegen Kleins in die Bildende Kunst ausgreifende Produktivität. Alles ist auf optische Überwältigung ausgerichtet.

Am Times Square in New York fängt Klein 1962 das Spiegelbild einer jungen Frau ein.
Am Times Square in New York fängt Klein 1962 das Spiegelbild einer jungen Frau ein.

© William Klein

Darum wird Klein 1955 von der „Vogue“ als Modefotograf verpflichtet: Weil er die bis dahin in sorgfältig ausgeleuchteten Studios arrangierten Models auf die Straße und in die Unmittelbarkeit seiner Street photography schickt. Hinreißend, wie zwei Models in schwarz-weißen Kleidern mit dem Zebrastreifen der römischen Straße harmonieren, die sie gegenläufig überqueren. Aber diese Art von Modefotografie funktionierte nur, weil sie die unerhörte Eleganz der damaligen Mode mit der Tristesse der noch nach Alltag aussehenden Alltagskleidung kontrastieren konnte. 1965 hängt Klein die Modefotografie an den Nagel.

Jungs und Mädchen aus der New-Yorker-Nachbarschaft posieren 1955 für Klein als Rock- und Filmstars.
Jungs und Mädchen aus der New-Yorker-Nachbarschaft posieren 1955 für Klein als Rock- und Filmstars.

© William Klein

Auf die Dauer – und bei C/O schon bei der dritten oder vierten Ausstellungswand – ermüdet der kalkulierte Schock der Fotos. Wenn Klein sich nur mehr Ruhe, mehr Innehalten gegönnt hätte! So, wie bei manchen Aufnahmen aus Moskau zu sehen, die tatsächlich von Dauer sind. So, wie der alte Redner bei einer schläfrigen Parteiversammlung der KPdSU, im Hintergrund das obligatorische Bildnis Lenins an der Wand: Treffender lässt sich die Erschöpfung der nachstalinistischen Sowjetunion nicht fassen.

Klein wurde, seinerzeit um die 40, von Vietnam und dem Pariser Mai radikalisiert; nur wirken seine Fotografien aus dem Quartier Latin seltsam fade. Zum Chronisten der Ereignisse war Klein nicht berufen. Insofern ist sein Ausweichen auf den Film, zumal den fiktionalen, folgerichtig. Im nämlichen Jahr 1968 dreht er einen 57-Sekunden-Werbespot für „Citroën“ und dessen erneuertes Modell DS mit kurvenabhängig schwenkbaren Scheinwerfen. Wie das Auto eine Gebirgsstraße hinabgleitet, das ist einfach großartig – allerdings für 1968 auch merkwürdig unpolitisch. William Klein ist ein Meister der Widersprüche.

C/O Berlin, Hardenbergstr. 22-24, bis 2. Juli. Kein Katalog. – www.co-berlin.org

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