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Cover der deutschen Ausgabe

© Promo

William Shaw: „Kings of London“: John, Yoko und die Drogen

Es geht um die Verbindung des Jahres 1968 mit der Gegenwart. In „Kings of London“ erzählt William Shaw von Drogenmissbrauch ium London der 60er Jahre.

Es ist ein düsteres Zeitporträt, das William Shaw in den ersten Sätzen von „Kings of London“ zeichnet: „De Gaulle wurde wiedergewählt. Robert Kennedy erschossen. Die Amerikaner kommen in Vietnam nicht weiter und stellen sich hinter Richard Nixon. Die Sowjets haben Panzer nach Prag geschickt.“ Von Aufbruch weit und breit keine Spur. Überall Stillstand und Depression, auch in der britischen Metropole: „Es ist der Herbst 1968. Und London bleibt London. Obwohl es schon den ganzen Sommer über geregnet hat, regnet es immer noch.“

Der Thriller „Kings of London“ ist der zweite Band einer Trilogie des englischen Popjournalisten William Shaw. Bereits der erste Teil „Abbey Road Murder Song“, der vor zwei Jahren auf Deutsch erschien, war ein Bericht von der dunklen Seite des Mondes: ein illusionsloser Blick hinter die Kulissen von Swinging London. Detective Sergeant Breen untersucht darin den Mord an einer jungen Frau, die im Oktober 1968 nicht weit vom legendären Studio der Beatles umgebracht worden ist. Der Nachfolgeband „Kings of London“ schließt hier nahtlos an. Cathal Breen und seine Partnerin DC Tozer werden an einem kalten, tristen Vormittag im Dezember 1968 an einen Tatort im Nordwesten Londons gerufen. Eine Gasexplosion hat ein Haus zum Einsturz gebracht, und in den Trümmern ist ein Toter gefunden worden: Francis Pugh, der Sohn eines Staatssekretärs aus dem Innenministerium. Offenbar ist er bereits vor der Explosion ums Leben gekommen. Ein Mord?

Kaum haben Breen und Tozer ihre Ermittlungen aufgenommen, bremst das Ministerium: Francis Pugh war ein Dandy mit zweifelhaftem Lebenswandel, und sein Vater, der es unter Harold Wilson in die erste Reihe der Labour Party geschafft hat, kann schlechte Presse überhaupt nicht gebrauchen.

Zeitgeist der 1968er Jahre

Shaw verknüpft diesen Handlungsstrang geschickt mit einer zweiten Geschichte – ein korrupter Polizist wird ermordet, Cathal Breen gerät unter Verdacht. Aber das Auffälligste an „Kings of London“ ist natürlich die sorgfältig in den Text eingewebte historische Signatur. Aus einem offenen Fenster hört man zeitgenössische Popmusik („I love Jennifer Eccles“ von The Hollies), in einem Radio-Rentals-Laden werden die ersten Farbfernseher beworben („Jeden Abend zwei Programme sehen“), der letzte Schrei ist ein schäbiges Restaurant in Westbourne Terrace („biologisch und makrobiotisch“), und wenn Helen Tozer ihrem erschöpften Partner anbietet, ihn im Dienstwagen nach Hause zu fahren, kann er nur müde lächeln, denn „Frauen waren bei der Polizei nicht am Steuer zugelassen“. Das alles ist das berühmte Jahr 1968, die Chiffre 1968, inklusive des legendären „Alchemical Wedding“-Happenings in der Royal Albert Hall, bei dem John Lennon und „die Japanerin“ sich für dreißig Minuten auf offener Bühne in einem weißen Sack verbergen – mit Tozer und Breen im Publikum.

Auf den ersten Blick würde man „Kings of London“ wohl in die Retroecke stellen. Ein melancholisch gestimmter, atmosphärisch dicht geschriebener Kriminalroman wird zum Container für eine Ladung gut abgehangener Popkultur: Das Prinzip ist das gleiche wie bei den Songs von britischen Musikerinnen wie Adele, Amy Winehouse oder x-beliebigen Indierock-Bands, die den Sound vergangener Epochen kopieren. Oder, und hier ist die Parallele noch offensichtlicher, bei der britischen TV-Krimi-Serie „Life on Mars“, in der ein Polizist nach einem Unfall aus der Gegenwart zurückversetzt wird in das nicht ganz so sagenumwobene Jahr 1973.

Geschichte des Drogenmissbrauchs

Linke Kritiker wie Simon Reynolds („Retromania“) oder Mark Fisher („Ghosts of my life“) haben mit Recht auf das reaktionäre Grundmuster dieses nostalgisch ausgerichteten Trends hingewiesen:Die Kulturindustrie schafft die Zukunft ab. Diesen Vorwurf kann man William Shaw allerdings nicht machen, allein schon wegen des Themas, das er im zweiten Band seiner Trilogie gewählt hat.

Die Geschichte der Popkultur - die ihm das Material für seine Erzählung liefert – ist bekanntlich eng verbunden mit der Geschichte des Drogengebrauchs, und die spektakulären Prozesse gegen John Lennon und Mick Jagger werden in „King of London“ auch erwähnt. Vor allem aber geht es um die Verschärfung des britischen Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 1968. Ärzte dürfen kein Heroin mehr verschreiben, was zu einem massiven Anstieg von Drogenkriminalität im Vereinigten Königreich führt, „Banden drängen auf den Schwarzmarkt“, verunreinigter Stoff gelanPhilippe JaccottetPhilippe Jaccottetgt auf die Straße, Junkies wandern ins Gefängnis oder verrecken an einer Überdosis.

Das ist der Kontext, in den auch der Tod von Francis Pugh gehört – der nämlich nicht einfach nur ein paar peinliche Hippiefreunde hatte, sondern an der Nadel hing. „Kings of London“ ist darum gerade kein nostalgisches Buch, sondern ein politisch argumentierender und auf die Gegenwart zielender Thriller, in dem sich ein scharfer Angriff auf eine über Jahre und Jahrzehnte hinweg verfehlte Drogenpolitik verbirgt. „Als James Callaghan 1971 das Gesetz gegen Drogenmissbrauch erließ“, stellt William Shaw in einer knappen Anmerkung am Schluss lakonisch fest, „gab es im Vereinigten Königreich weniger als fünftausend Drogenkonsumenten. Jetzt sind es über eine Viertelmillion, vorrangig abhängig von Heroin oder Kokain.“

William Shaw: Kings of London. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Connie Lösch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 472 Seiten, 14, 99 €.

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