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Kultur: Willkommen im Katastrophenheim

Ladies first: Stephen Daldrys „The Hours“ mit Nicole Kidman, Meryl Streep und Julianne Moore

Zunächst die gute Nachricht: Philip Glass hat für die Filmmusik zu „The Hours“ nicht den Oscar bekommen. Diese sich zur Hauptdarstellerin aufspielende Akustikpaste, diese behäbig posierenden aufgelösten Akkorde, dieses Klavier- und Geigenallerlei für die simpelstmöglich konfigurierten Gehörgänge: Das war wohl denn doch zuviel für die sonst eindeutig gefühlsverstärkenden Reizen nicht abgeneigte Oscar-Academy. Durchs Ziel ging, nunja, Elliot Goldenthals Musik zu „Frida“.

Und nun die schlechte Nachricht: Nicole Kidman hat für ihre Hauptrolle in „The Hours“ ihren ersten Oscar bekommen. Und die allerschlechteste: Julianne Moore hat weder für ihre Hauptrolle in „Far from Heaven“ noch für ihre sogenannte Nebenrolle in „The Hours“ einen Oscar bekommen (den durfte Catherine Zeta-Jones einstreichen, eher ein Gesichtchen unter den Aktricen). Preisfrage: Hat das fast 6000-köpfige Oscar-Volk, das immerhin Philip Glass widerstand, womöglich bessere Ohren als Augen?

Genug des groben Academy-Bashings, gehen wir zum feineren über. Besonders schmerzhaft ist der Hauptrollen-Oscar für Kidman weniger im Vergleich zu den anderen Filmen (über den sich immer streiten lässt), sondern im Binnenblick. Denn Stephen Daldrys zweites großes Rührstück nach „Billy Elliott“ ist ein Schauspielerinnenfilm, in dem zahlreiche vorzügliche Schauspielerinnen vorzüglich miteinander und, das bleibt nicht aus, auch ein bisschen gegeneinander spielen. Und Nicole Kidmans Leistung als stereotyp verkniffene Virginia Woolf, die Mitte der Zwanzigerjahre im britischen Richmond an ihrem Meisterwerk „Mrs. Dalloway“ zu arbeiten beginnt, ist da eher im hinteren Mittelfeld der famosen Konkurrenz – und ihrer eigenen Möglichkeiten – zu finden.

Ganz besonders groß in „The Hours“ kommt Julianne Moore heraus: Schon wegen der Szenen mit ihr ist dieser Film ein Muss. Sie spielt – auf Zeitebene zwei – eine „Mrs. Dalloway“-Leserin in den Fünfzigerjahren, Mutter eines kleinen Jungen und hochschwanger, die lesend und lebend ihre Lebensleere erkennt und am Ende eines langen Tages daraus den ihr einzig möglichen Schluss zieht.

Es ist Papas Geburtstag, und der Kuchen, den Laura in ihrem proper besonnten kalifornischen Katastrophenheim zubereitet, misslingt. Alles misslingt. Und Julianne Moore baut für dieses Allesdennochzusammenhalten eine unvergesslich brüchige Fassade. Aber auch Meryl Streep in Zeitebene drei – New York, 2001 – hat einige große Szenen. Sie ist jene Clarissa, die ihr aids-todkranker Jugendgeliebter Richard (Ed Harris) zärtlich „Mrs. Dalloway“ nennt, getreu jener weltverlorenen Clarissa aus dem Woolf-Roman, der die Lebensstunden – nur unwesentlich sachter als bei Julianne Moores Laura – vor lauter Klaglosfunktionieren und Allerweltsfürsorge zerrinnen. Sie hält ihr Gesicht hin für den Selbsthass ihres sterbenden Freundes, für die muntere Eitelkeit seines Ex, für ihre eigene Geliebte auch, die ihr eine Art Frieden gibt seit einiger Zeit: eine Tapfere, die über die Schwächen anderer sanft hinweggeht, ohne den eigenen Schmerz zu verleugnen.

Nun, oscarmäßig war die bereits mit zwei Oscars gesegnete Meryl Streep ohnehin – in „Adaption“ – anderweitig nominiert, aber da sind, fast vor Kidman, noch zwei große kleine Figuren und Szenen in „The Hours“ zu nennen. Toni Collette als Lauras prächtig aufgedonnerte, sturzeinsame Nachbarin hat einen atemberaubenden Auftritt, nicht nur dank Julianne Moore; und Claire Danes als Clarissas Tochter bringt in diesen Reigen weiblicher Fehlleben spät und plötzlich eine wohltuende, wunderbar gezügelte Vitalität hinein. Endlich einmal eine Trösterin ohne Worte, die sich selber nicht vergisst.

Bleibt Nicole Kidman. Sie ist die Umdüsterte, die gleich zweimal ins Wasser geht. Sie ist die Dauer-Einsiedlerin, die notwendig fragile Künstlerin der klassischen Moderne, wie sie im Buche steht. Nur von der flirrenden Woolfschen Leichtigkeit, die Kidman ausdrücklich bewundert, nimmt die Schauspielerin nichts, aber auch gar nichts in ihre Rolle hinein. Und ihr demonstratives Leiden in jeder zerquälten Sekunde: Was ist es gegen jenen Seelenzustand, den der Zuschauer in den Gesichtern von Streep und Moore erst entdecken muss? Also: Gucken Sie diesen Film, unbedingt, trotz Kidman. Und trotz Oscar natürlich.

In Berlin ab Donnerstag in neun Kinos, OV im Cinemaxx und Cinestar, OmU im Odeon .

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