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Kultur: Willkommen im Schweinestall

Die "Tragödie", als die Oliver Bukowski sein neues Stück "Gäste" bezeichnet, ist allenfalls eine Tragikomödie, und in der Braunschweiger Uraufführung zeigt sie auch deftige Volkstheater-Merkmale.Bukowski, vor 38 Jahren in Cottbus geboren, hat schon viel geschrieben: von "Halbzeitwert der Kanarienvögel" 1991 über "London-L.

Die "Tragödie", als die Oliver Bukowski sein neues Stück "Gäste" bezeichnet, ist allenfalls eine Tragikomödie, und in der Braunschweiger Uraufführung zeigt sie auch deftige Volkstheater-Merkmale.Bukowski, vor 38 Jahren in Cottbus geboren, hat schon viel geschrieben: von "Halbzeitwert der Kanarienvögel" 1991 über "London-L.Ä.-Lübbenau" 1993 bis zum Drehbuch für Peter Kahanes gerade in den Kinos laufenden Spielfilm "Bis zum Horizont und weiter".Bei all diesen Plots sind Bukowskis Gattungsbezeichnungen eher ironisch gesetzt.Und überall ist zweierlei im Spiel: die Kneipe, die gewissermaßen "das Leben schreibt", und die Menschen im "Osten", deren angebliches Unglück nach der Vereinigung der Autor für weitgehend selbstgemacht hält.

Sein neues Stück "Gäste" wird im Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig gleich gänzlich in der Kneipe angesiedelt.Auch bei Szenen in der Dorfkirche oder auf dem Friedhof ruft Bühnenbildnerin Dorit Lievenbrück mit stupend einfach zum Hufeisen geordneten Wirtshaustischen und -stühlen die dumpf-doofe Atmosphäre eines schäbigen ehemaligen DDR-Dorfs wach.Die Bewohner freilich wünschen sich ihren Ort als Touristen-Attraktion, und wie diese Pläne scheitern, zeigt Bukowski als das komische Unglück ergötzlicher Dilettanten.

Nur eine, sie heißt Kathrin, hat alle Sympathie des Autors.Kathrin will mit ihrem Mann Kinder, doch ihr Erich hat nur eines im Kopf, aus dem ehemaligen Schweinestall einen gutbesuchten Gasthof mit Hotel für die Herrschaften aus dem Westen zu machen.Alle Beischlaf-Versuche, zwischendrein auf den Wirtshaustischen, mißlingen mehr oder minder grotesk, weil Erich nur an das eine beziehungsweise an den einen (und einzigen) Urlaubsgast denkt.Dieser Supersehnsuchts-Tourist, ein im Ruhestand befindlicher Vermessungsrat, wird hier in seinem bürgerlichen Sinn für beschauliche Ferien kräftig traktiert: von der Aufdringlichkeit des Metzgers mit seinen landgeschlachteten Wurstspezialitäten, von den Apfelschnaps einflößenden Handgreiflichkeiten des Wirts und dem grämlichen, gescheiterten Öko-Bauern Treitschke, verstärkt von den hinzudrängenden Dorfdamen, unter ihnen (Witz gib auf, du bist umzingelt) auch eine Blockflötenlehrerin.Last not least ist da noch ein völlig verkommener und ewig besoffener Pfarrer, von dem die Dörfler erst merken, daß er längst vom Dienst suspendiert ist, als er vom Kirchenturm fällt.

Durch dieses Gruselkabinett der vorhersehbar gescheiterten Hoffnungen geht Kathrin fast wortlos, distanziert und mehr und mehr leidend.Als sie sich in einem Akt von Haß dem Feriengast hingibt, wird sie endlich schwanger und hängt sich in Gegenwart aller an den bunten Fähnchen, die über den Gastraum gespannt sind, auf.Nun treten und spucken alle auf die Tote, denn endlich haben sie eine Schuldige für das eigene Ungeschick gefunden.

Gewiß kann man so ziemlich jede Anspielung in den Figuren als Metapher für die deutsch-deutschen Verhältnisse deuten - und für die hier zugehörigen Klischees.Braunschweigs Intendant Wolfgang Gropper aber hat in seiner Inszenierung diesen Aspekt klugerweise kaum bedient.Gropper zeigt vielmehr, wie man mit volkstheaterhaften Mitteln auch ernstere Themen vorführen kann, und Bukowskis Sprache, durchaus eine Kunstsprache, kommt ihm und seinen Schauspielern dabei zugute.Auch den Feriengast, den Weststädter, eigentlich den Usurpator, spielt Peter Pankalla mit Zurückhaltung durch kleine, beinahe schüchterne Gesten gegenüber Bukowskis eingeborenen Tölpeln.Und zwischen diesen geht Sabine Waibel als Kathrin traurig, zart und erst ladylike, dann verzweiflungsvoll durch Bilder, die sich des öfteren zu Polonaisen des deutschen Kneipenstumpfsinns formieren.

Wieder am 25.2., 4., 12., 17., 19.und 31.3.

LUDWIG ZERULL

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