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Kultur: Winnetou und die Eisverkäuferin

Ansichten aus dem Wirtschaftswunderland: die deutschen Kinoträume des Horst Wendlandt

Von Georg Seesslen

Die erste Generation junger deutscher Kinogänger, die ihre Augen mehr oder weniger öffneten in den Kindervorstellungen mit Fuzzy, Charlie und Dick und Doof, wuchsen in einer merkwürdigen Spannung zwischen dem „Förster vom Silberwald“ und John Ford, Sam Fuller oder Nick Ray auf. Die Spannung für die nächste Generation war noch heftiger: Godard, Rivette und Truffaut, auf der anderen Seite „Der Frosch mit der Maske“ und „Der Schatz im Silbersee“. Diese andere Seite hatte zwei, drei n hinter den Gebrauchsregisseuren des deutschen Kinos. Einer dieser Namen war der von Horst Wendlandt. Er erfand das Kino der Wellen nach dem Kino der Genres, das Kino der Formeln nach dem Kino der Mythen, das Kino der Wiedererkennung nach dem Kino der Heimat.

Wie viele von denen, die heute den deutschen Film repräsentieren, sind aufgewachsen mit dem Serienkino Horst Wendlandts! Ob beliebt oder gehasst – ganz unbeeinflusst ist davon wahrscheinlich niemand geblieben. Denn anders als der Heimatfilm-Kitsch und der Ufa-Stil der frühen Nachkriegsjahre standen die Wendlandt-Serien kaum unter Ideologie-Verdacht; das Nostalgische und das „Moderne“ begegnete sich darin so unvermittelt und manchmal ungefähr so zynisch, wie damals produziert wurde. Was da an Drehorten in Jugoslawien mit virtuellen und realen Produktionsgeldern geschah, wie aus einem Haufen von Geschäftsideen eine romantische- paranoide Parallelwelt entstand, das war das zweite, untergründige Bild in den Filmen von Wendlandt: die Nachkriegsgesellschaft, die ihre Unschuld verloren hatte, beharrte auf ihrem Medientraum.

Als Wendlandt den Grundstein zu seiner Karriere legte, da war das Wirtschaftswunderland sich selber schon wieder so unheimlich geworden, dass man nur noch weit hinaus und zurück fliehen konnte. Wie in den Karl May-Filmen, die ja auch eine verschärfte Fortsetzung des Heimatfilms waren. Oder wie in den Wallace-Filmen mit ihren komischen Gruselkellern. Beides war Reaktion und Parodie zugleich auf die Kultur der Nachkriegsgesellschaft; in der einen Serie (60 Millionen Zuschauer) ging es buchstäblich um die Leichen im Keller, die nach den Jungen grabschen. In der anderen Serie, schön bunt und mit hirnerweichendem Sound, ging es um die hohe Kunst, diesen mörderischen Schritt ins Erwachsenendasein schlicht zu verweigern (50 Millionen deutsche Zuschauer. Das eine Genre trieb das Prinzip der Enge im Bild auf die Spitze: Das Bild bestand nur noch aus Mauern und Fallen. Und das andere übertrieb die Weite so sehr, dass man an den Bildrändern die vollständige Leere vermuten durfte. Allein dieses neurotische Raumempfinden entpsrach dem Zustand unserer Gesellschaft.

Das deutsche Fernsehen hielt sich damals noch für eine Bildungsinstitution: Es verabreichte gezielte gezielte Regression nur in pädagogischer Dosierung. Horst Wendlandt gab uns genau das, was uns das Fernsehen vorenthilet. Deswegen waren seine Filme auf eine krause Art sehr ehrliche Ware. Heute gibt uns das Fernsehen Horst Wendlandt und seine Erbschaft. Und mit der Ehrlichkeit ist das so eine Sache.

Wendlandts Erfolg lag vermutlich auch in einer Art Auflösung der Generationsstrukturen. Die Wallace-Filme waren für eine Altersschicht am attraktivsten, die die Filme eigentlich noch gar nicht sehen durfte. Und Winnetou betrachteten wir mit umgekehrtem Unbehagen (jedenfalls die ersten fünf Minuten): Waren wir für diesen sentimentalen Unfug nicht schon zu alt? Django war dann die Antwort auf dieses Unbehagen.

Horst Wendlandt hat den europäischen Western erfunden und zugleich provoziert. So wie seine Filme ein anderes Kino provozierten, das sich so weit wie möglich von jenen Filmen entfernen wollte, die in ihre eigene Kindischkeit und manchmal auch in die eigene Korruption verliebt waren. So waren beides originäre Erfindungen: der Autorenfilm wie die Wendlandt-Trashwelten. Zumal WendlandtFilme perfekt zu den Kinos jener Ära passten, in deren alter, heruntergekommener Pracht die Zeichen der verschärften Marktwirtschaft wucherten. Mit einem Bein im alten Glück der deutschen Träume, mit dem anderen in der wilden Welt der beschleunigten Waren. So entstand ein weiteres Kino-Syntagma: Winnetou und die Eisverkäuferin.

Mit Otto Waalkes und Loriot setzte Wendlandt seine Formel „Heftigkeit plus Regression“ erfolgreich fort. Bei Fassbinders „Lola“ und „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ passierte etwas anderes. Das Neue und das Alte begegneten sich hier nicht mit dem goldenen Touch des Wendlandtismus, bei dem man bei aller ästhetischen und intellektuellen Selbstbeschränkung auf kleine Ausbrüche des puren cineastischen Wahnsinns gefasst sein durfte. Es war anders herum. Mitten in Fassbinders purem cineastischen Wahnsinn gibt es ebenfalls Momente der Kino-Droge: jenes Kinos, das keinen Umweg über den Gedanken nimmt, sondern direkt ins Herz des Zuschauers und der Zuschauerin greift. Besonders moralisch war das nie. Aber manchmal furchtbar wahr.

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